So nicht, Genosse Seitz!

zu Norbert Seitz, Vorsicht, Dino-Falle!, Berliner Republik 6/2012

Einen derartig von Unterstellungen und Vorurteilen gezeichneten Artikel habe ich seit langem nicht gelesen. Norbert Seitz, obwohl durchaus Genosse, begreift einfach nicht, dass es der SPD im Jahre 2013 nicht um ihr Alter gehen wird oder um „triefendes“ traditionsbelastetes „Gehabe“. Schon gar nicht wird die SPD auf den kritischen Blick auf ihre Geschichte verzichten, wohl aber auf oberflächlich dahingefaselte Formeln wie „verpasst“, „vermasselt“, „herummogeln“. Ich wundere mich, was Norbert Seitz alles schon zu wissen glaubt, bevor ihm vorliegt, was über die 150 Jahre SPD-Geschichte im Jahr 2013 gesagt und geschrieben werden wird.

Sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, ist ein Teilstück der Identitätsbestimmung, die handlungsfähig macht. Die SPD hat ihre Geschichte des demokratischen Sozialismus. Die Partei „Die Linke“ hat diese Geschichte nicht, weshalb sie wie einst ihre Vorläuferin, die SED, versucht hat, auf die sozialdemokratische Geschichte zuzugreifen. Die SPD war gut beraten, dies zu konterkarieren. Die CDU/CSU hat auf das verzichtet, was ihre historische Identitätsfindung hätte bewirken können, nämlich die katholische Soziallehre und die evangelische Sozialethik. Noch nicht einmal auf den CDU-Staat von Konrad Adenauer oder von Helmut Kohl mag sie sich noch berufen, und so bleibt ihr nur, sich als „Merkel-Wahl- und Umfragezählverein“ anzupreisen.

Manches in den Ausführungen von Norbert Seitz grenzt an Geschichtsklitterung, etwa wenn er sich über die erfolglose „Systempartei“ SPD in der Weimarer Republik auslässt oder über den Traditionalismus der Partei nach 1945 und das angebliche Festhalten an diesem über das Godesberger Programm hinaus. Polemisch schick drapierte Wörter sind aber kein Analyseersatz. Fast unverschämt finde ich die andauernde oberflächliche Berufung auf Willy Brandt. Anstatt sich mit problematischem „Anzitieren“ zu begnügen, hätte der Genosse Seitz besser die 830 Seiten umfassende Dokumentation der Reden Brandts zur sozialdemokratischen und deutschen Geschichte unter dem Titel Im Zweifel für die Freiheit (Bonn 2012) lesen sollen, um zu erfahren, was es heißt, eine Geschichte zu haben. Vielleicht hätte er dann seinen Artikel gar nicht mehr schreiben können. Aber nein, er, der wohl auch ein großer Zyniker sein möchte, setzt noch eins drauf: Seitz fertigt Günter Grass als Spinner ab und tut Fritz Raddatz den Gefallen, ihn als zügellosen Tagebuch-Wüterich zu präsentieren.

Also bitte, so geht das nicht: mit hochwertig lackiertem intellektualistischen Zitatenschatz herumzuschmeißen, um die SPD gnadenlos vorzuführen. Das reicht nicht, um wirksam auf Gefährdungen aufmerksam zu machen. Doch gilt auch für Norbert Seitz: „Wo er Recht hat, hat er Recht“. In der Tat, liebe SPD-Leute, macht bitte aus dem 150. Geburtstag der Partei kein Vor-Wahl-Volksfest und bedenkt, dass Geschichte zu haben und zu feiern kein Ersatz sein kann für Politik jetzt, hier und heute, sondern nur eine Unterstützung, um zu erkennen, wer man ist und was man will.

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