Schlaue Kinder, schlechte Schulen, doofe Politiker

Christian Füller hat einen lesenswerten Band über die Malaise des deutschen Bildungssystems geschrieben - und sich von seinem Verlag einen unnötig albernen Buchtitel aufschwatzen lassen

Der Bildungsjournalist Christian Füller hat Recht. Deutschland verspielt seine Zukunft, weil in unserem Bildungssystem immer mehr Kinder keine Chancen haben. Der Hauptgrund dafür ist das gegliederte Schulsystem, das von Beginn an auf Selektion statt auf Förderung ausgerichtet ist. Kinder mit schlechten Startchancen werden so fast automatisch zu Bildungsverlierern. Daran hat auch der Pisa-Schock wenig geändert. Ihm folgte eher hektische Betriebsamkeit als echte Reform.

Füller macht für diese Zustände zu Recht die Bildungspolitiker verantwortlich, die das dreigliedrige, hochgradig selektive Schulsystem so selbstverständlich verteidigen, als herrschte in Deutschland auch noch das Drei-Klassen-Wahlrecht. Diese Sorte Bildungspolitiker besitzt meist ein CDU-Parteibuch.

Plädoyer für eine echte Bildungsreform

Daneben gibt es noch die Kollegen von der SPD. Sie plädieren für das Ende dieses Systems, das außer bei uns nur noch in Österreich existiert. Und sie haben dem dreigliedrigen System mit der Einführung von Gesamtschulen, Gemeinschaftsschulen und sechsjähriger Grundschule auch schon einige Schläge verpasst. Zum Einsturz gebracht haben sie es jedoch nicht.

Eindringlich wird in dem vorliegenden Buch deutlich, welche Schäden die Schule bei Schülern anrichten kann. Füller schildert Beispiele von Schülern mit Migrationshintergrund, bei denen schon in der ersten Klasse feststeht, dass sie auf der Hauptschule landen werden. Er berichtet anschaulich von Hauptschülern ohne Perspektive auf eine Berufsausbildung, von verhaltensauffälligen Kindern, die in die Sonderschule abgeschoben werden. Das Buch ist ein leidenschaftliches Plädoyer für eine echte Bildungsreform in Deutschland. Es schildert umfassend die geschichtlichen Hintergründe des speziellen deutschen Bildungssystems, seine Unzulänglichkeiten und fordert endlich Taten von den Verantwortlichen.

Doch Füller will auch Mut machen, dass es anders geht. Er hat sich auf die Suche begeben nach Oasen glücklichen Lernens in den bildungspolitischen Wüstenlandschaften Deutschlands. Und er ist fündig geworden. In Schulen mit motivierten Lehrern, die ihre Kinder individuell fördern, die wirklich kein Kind zurücklassen und die – jenseits aller Kuschelpädagogik – zeigen, dass auch ohne das Aussortieren der Schwächeren Leistung erbracht werden kann.

Von Anfang an wird aussortiert

Christian Füller macht dabei zwei grundsätzliche Fehler der Schule in Deutschland aus. Der wichtigste: Die deutsche Schule ist von Anfang an auf das Aussortieren der Schwachen ausgerichtet. Wer den Unterrichtsstoff nicht schafft, wird in die nächst niedrigere Schulform versetzt, statt gefördert zu werden. Welche Verwüstungen die ständige Versagensangst in den Köpfen der Kinder anrichtet, schildert Christian Füller eindrücklich. Sein Buch ist eine Motivation für alle, die den Versuch noch nicht aufgegeben haben, Deutschlands Schulsystem doch noch zu reformieren.

Der zweite Fehler des deutschen Schulsystems besteht darin, dass es Ungleiches gleich behandelt. Wer Kinder auf ein einheitliches Niveau heben will und sie zu diesem Zweck so lange aussortiert, bis homogene Lerngruppen entstehen, der wird bei Pisa nicht nach vorne kommen. In anderen Ländern der Erde gibt es weniger Analphabeten, weniger Kinder ohne Schulabschluss, keine Sonderschüler auf Extraschulen. Alle Kinder werden als Individuen behandelt, die jeweils eigene Stärken und Schwächen besitzen. Dort entwickeln Lehrer wie selbstverständlich individuelle Lehrpläne für jedes einzelne Kind. So wird gefördert statt selektiert.

Auch in Deutschland gibt es, wie Füller zeigt, solch herausragende Beispiele. Zu ihnen zählt die staatliche Montessori-Oberschule in Potsdam. Welche Bedingungen dafür unerlässlich sind und wie gelungene individuelle Förderung systematisch betrieben wird, darauf bleibt das Buch leider Antworten schuldig. Welche Modelle gibt es, um Kindern aus Einwandererfamilien am Anfang der Schulzeit die notwendige Sprachkompetenz zu vermitteln? Wie viele Sonderpädagogen sind an Grundschulen nötig, um die Förderschüler erfolgreich zum Schulabschluss zu führen? Was muss in der Lehrerbildung getan werden, damit Kinder kreativ lernen, statt mit Frontalunterricht malträtiert zu werden?

Was Autor und Verlag zu wünschen ist

Christian Füllers Buch ist dennoch empfehlenswert für alle, die an einer genaueren Analyse der Probleme des deutschen Schulsystems interessiert sind. Dem Autor und seinem Verlag wären allerdings zu wünschen, dass sich Bücher über Bildungspolitik auch dann verkaufen, wenn sie weder Lehrer- noch Politikerbeschimpfungen auf dem Titel tragen. Christian Füllers Überlegungen sind jedenfalls wesentlich differenzierter, als der reißerische Titel des Bandes vermuten lässt.

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