Russland, der Kaukasus und der Westen

Ronald D. Asmus über die großen Folgen eines kleinen Krieges

Im August 2008 hielt der Krieg zwischen Russland und Georgien die Welt für einige Tage in Atem. Erstmals nach den blutigen Konflikten und dem Genozid auf dem Balkan, von denen die neunziger Jahre überschattet wurden, führten europäische Staaten wieder Krieg auf dem eigenen Kontinent. Erst die diplomatische Mission des französischen Präsidenten brachte einen prekären Waffenstillstand, dessen Unzulänglichkeiten bis in die Gegenwart fortwirken. Für einige Monate sorgte der Waffengang für eine ernste Krise in den Beziehungen des Westens zu Russland. Doch fast ebenso schnell wie der Krieg ausgebrochen war, glätteten sich die Wogen. Spätestens seit die Regierung Barack Obama im März 2009 symbolisch den „reset button“ drückte, sind kaukasische Fragen wieder eine Fußnote der internationalen Politik. Zu Unrecht, findet der amerikanische Sicherheitspolitiker Ronald D. Asmus, der dem Kaukasuskrieg des Jahres 2008 eine gut recherchierte und gedankenreiche Studie gewidmet hat. Asmus interpretiert den Waffengang als Zäsur in den Beziehungen zu Moskau.

Das Buch über den „kleinen Krieg, der die Welt erschütterte“, gliedert sich in sieben Kapitel. Eingangs rekonstruiert der Verfasser das Geschehen, das am 7. August 2008 zum Ausbruch der Feindseligkeiten führte. Anschließend spannt er einen weiten Bogen und beleuchtet in drei Kapiteln die historischen Hintergründe. Dabei diskutiert er die Gemengelage im Kaukasus und den Präzedenzfall Kosovo. Außerdem erläutert er die diplomatischen Verwicklungen beim Nato-Gipfel in Bukarest im April 2008, als es um die Frage ging, ob Georgien in das westliche Verteidigungsbündnis aufgenommen werden soll. Bei der Anerkennung der Unabhängigkeit Pristinas und beim halbherzigen Aufnahmeangebot an Tiflis wurden – unter federführender deutscher Beteiligung – Entscheidungen getroffen, deren Konsequenzen nicht zu Ende gedacht waren. Die drei anschließenden Kapitel beschreiben dann die Eskalation des Konfliktes, das eigentliche Kriegsgeschehen sowie die diplomatischen Bemühungen um einen Waffenstillstand. In seiner Studie kann sich Asmus, der unter Bill Clinton im amerikanischen Außenamt tätig war, nicht nur auf seine eigenen Erfahrungen als Diplomat und Wissenschaftler stützen, sondern auch auf solide Recherchen und Interviews mit zahlreichen Beteiligten. Leider lehnte die russische Seite eine Stellungnahme ab, so dass der Verfasser primär mit westlichen und georgischen Quellen arbeitete. Dies ist bedauerlich, da der Leser wenig über die Motivlage Moskaus erfährt.

Mehr als ein Konflikt an der Peripherie

Im Abschlusskapitel spitzt der Verfasser seine Ergebnisse in Form von zwei fundierten und bedenkenswerten Thesen zu. Erstens ist Asmus der Auffassung, der eigentliche Kriegsgrund sei der Konflikt um das georgische Streben nach Souveränität. Der Streit um die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Süd-Ossetien werde vom Kreml instrumentalisiert, um den Einfluss über die eigenen Staatsgrenzen hinaus auszudehnen und die Anbindung Georgiens an den Westen zu torpedieren. Zweitens unterstreicht Asmus, dass der Krieg nicht am 7. August 2008 begonnen habe und sich Moskaus Intentionen nicht auf Georgien beschränkten. Es handele sich auch nicht primär um einen persönlichen Konflikt zwischen Vladimir Putin und Michail Saakaschwili – eine in vielen Medien reproduzierte Deutung. Vielmehr lasse sich belegen, dass der Kreml schon seit 2003 feindselig auf die Westorientierung Georgiens reagiert habe.

Der Autor versucht also zu belegen, dass der Krieg über den kaukasischen Kontext hinaus von grundsätzlicher Bedeutung sei, da es sich nicht um einen Interessenkonflikt an der Peripherie Russlands handle, sondern um die Grundsatzfrage der Souveränität europäischer Nationen bei der Gestaltung ihrer inneren Ordnung und der Wahl ihres Bündnisses. Mit dem Krieg sei Moskau offiziell von der Charta von Paris abgerückt, die Michail Gorbatschow 1990 unterzeichnet hatte und in der allen Nationen Europas das Recht auf freie Bündniswahl zugesichert wurde. Deshalb müsse sich auch der Westen auf diese Lage einstellen.

Der Krieg sei nur möglich gewesen, weil der Westen – ähnlich wie zu Beginn der Balkankriege Anfang der neunziger Jahre – zerstritten gewesen sei und zahllose Warnsignale ignoriert habe. Asmus zufolge hatten es die Europäer versäumt, sich im Kaukasus mit Friedenstruppen zu engagieren, und verfügten deshalb nur über geringe Einflussmöglichkeiten, als der Konflikt eskalierte. Nicht zuletzt sei Georgien ein Opfer der transatlantischen Verstimmungen nach dem Irak-Krieg. Eine zerstrittene Allianz habe Moskau die Möglichkeit zu unilateralem Handeln geboten. Der Westen habe dem Kreml keine Grenzen gesetzt und nicht verdeutlicht, dass ein massiver Militäreinsatz gegen Georgien nicht hinnehmbar sei. So blieb am Ende nur die überstürzte Friedensmission Nicolas Sarkozys mit ihren fragwürdigen Resultaten – in dieser Form sicher kein Vorbild für europäisches Krisenmanagement.

Saakaschwili kommt zu gut weg

Eine Schwäche des Buches ist, dass es die halsbrecherische Politik des georgischen Präsidenten Saakaschwili nur halbherzig kritisiert. Zwar verweist der Autor zu Recht auf die schwierige Situation, in der sich Tiflis im Sommer 2008 befand. Jedoch geht er nicht konsequent der Frage nach, welche Chancen zur Deeskalation Saakaschwili fahrlässig verspielte, bevor er den fatalen Beschluss fasste, auf die russischen Nadelstiche militärisch zu reagieren. Dennoch ist Asmus zuzustimmen, dass ein Land wie Georgien – unabhängig vom Temperament und der Weitsichtigkeit seiner Repräsentanten – das verbriefte Recht hat, sich an den baltischen Staaten zu orientieren und seine Einbindung in europäische und transatlantische Strukturen zu forcieren. Und es ist die Pflicht des Westens, eine junge Demokratie auf diesem Weg zu unterstützen und Moskau in die Schranken zu weisen. Ronald D. Asmus betont, dass eine neue Welle der Demokratisierung an der Peripherie Europas und in Zentralasien keine Verschärfung der dortigen Probleme, sondern ein Weg zu ihrer Lösung ist. Und dass dies eine Partnerschaft mit Russland keineswegs ausschließt.

Die von Ronald Asmus kenntnisreich und urteilsfreudig geschilderten Zusammenhänge berühren europäische und deutsche Interessen in ihrem Kern. Der Umgang mit einem innenpolitisch autoritären und außenpolitisch imperialen Russland muss überdacht werden. Leider ist vom deutschen Außenminister kaum eine ostpolitische Initiative zu erwarten.   

Ihm mangelt es an Interesse und am Verständnis für die Region; zudem verfügt er weder über die diplomatische Raffinesse noch über das strategische Denken, um langfristige Perspektiven zu eröffnen. Denn die Formulierung einer neuen Ostpolitik kommt dem sprichwörtlichen Bohren dicker Bretter näher als den schnellen Effekten, die Guido Westerwelle so schätzt. Die dürften auf diesem Feld kaum zu erzielen sein.

Ronald D. Asmus, A Little War that Shook the World: Georgia, Russia, and the Future of the West, Hampshire: Palgrave Macmillan 2010, 272 Seiten, 19,95 Euro


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