Rolle Rüttgers

Von der Leichtigkeit des Seins als Kandidat und dem Wechsel der Position in Wochenfrist

Sie kennen nicht den Bundestagsabgeordneten Jürgen Rüttgers? Obwohl der glaubt, die Deutsche BA, der deutsche Ableger der British Airways, könne ihn zum Bundeskanzler befördern - und darüber freut er sich offensichtlich in der Anzeigenserie der Airline, die ihn vielleicht mit Blick auf die NRW-Landtagswahl zur Zeit in eingängigen Zeitschriften sponsert.

Sie gehören zu dem Typ Mensch, der Anzeigen überliest? Dann kennen Sie Herrn Rüttgers vielleicht als gewesenen "Zukunftsminister" des Endes der Ära Kohl. Ihm ist es immerhin gelungen ist, als Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie den Forschungsetat bis 1998 auf 3,2 Prozent des Bundeshaushalts abzusenken (1982 noch 4,7 Prozent).

Doch genug der Polemik, widmen wir uns einem Problem, das in der Union zunehmend an Bedeutung gewinnt. Adenauer hat es so ausgedrückt: "Was schert mich mein Geschwätz von gestern?" Nicht nur, dass die Union in sechzehn Jahren Regierungszeit systematisch Arbeitnehmer- und Familieneinkommen gesenkt und eine Politik für die Institution Ehe und gegen die Institution Familie gemacht hat; dass die Situation von Familien verschlechtert wurde, wie es das Bundesverfassungsgericht mit seinem Kinderbetreuungskostenurteil ein weiteres mal drastisch belegt hat. (Die gleiche Union, die nun mit einem familienpolitischen Leitprogramm die Wende um 180 Grad als artistische Einlage absolviert.)

Neuerdings gelangt eine gymnastische Übung unter der Bezeichnung "Rolle Rüttgers" zu (un)sportlichen Wettkampfehren: Das Wechseln der politischen Position zwischen Ausschuss und Plenum des Deutschen Bundestages in genau einer Woche. Aus Opportunismus.

Worum ging es?
Mit der zweiten Stufe der Ökosteuerreform war die Förderung von hochwirksamen Gas- und Druckturbinenkraftwerken verbunden. Dadurch wäre ein in Lubmin, im strukturschwachen Vorpommern geplantes GuD-Kraftwerk mit einem bisher noch nie erreichten Wirkungsgrad von 57,5 Prozent netto begünstigt worden. Als weitere Wirkung wäre zudem eine Referenztechnologie für einen in NRW ansässigen Anlagenbaukonzern geschaffen worden.

Da ausgeschlossen werden sollte, dass eine Verdrängung der Braunkohle im Grundlastbereich der Energieerzeugung erfolgt, erklärten 57 überwiegend nordrhein-westfälische SPD-Bundestagsabgeordnete gemäß Paragraph 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, dass sie einer Fortführung der Steuererleichterung über den von der EU-definierten Zeitraum bis zum 31. März 2002 nicht zustimmen würden. Damit wurde durch Selbstbindung das Zeitfenster geschlossen.

Dies entsprach auch dem Sinn der Initiative des Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, der die Zustimmung seines Landes im Bundesrat mit einer gesetzlichen Regelung verbinden wollte, die die Verdrängung der subventionsfreien Braunkohle aus dem Grundlastbereich durch steuerlich begünstigte GuD-Kraftwerke ausschließt. Gleichzeitig sollte verhindert werden, dass der RWE-Konzern sein zugesagtes Kraftwerkerneuerungsprogramm - ebenfalls mit einem für rheinische Braunkohle-Kraftwerke außerordentlich erhöhten Wirkungsgrad - in Frage stellt. Ein für den nordrhein-westfälischen CDU-Spitzenkandidaten Rüttgers wahltaktisch höchst interessanter Konflikt.

Was geschah also?
Noch am 5. November 1999 - eine Woche vor Abstimmung im Deutschen Bundestag - diffamierten die CDU-Vertreter im Finanzausschuss die Forderung nach einem elektrischen Wirkungsgrad von 57,5 Prozent netto als Investitionsverhinderungsprogramm, weil damit die nach Auffassung der CDU "von der Umweltbelastung her erheblich schlechteren Braunkohlekraftwerke" begünstigt würden.

Der Vorstoß der CDU zugunsten eines niedrigen Wirkungsgrads von deutlich unter 55 Prozent zielte bewusst auf die Wettbewerbsfähigkeit der Braunkohlekraftwerke, die so unmittelbar der Konkurrenz ökologisch weniger anspruchsvoller GuD-Kraftwerke ausgesetzt wären. Den Kunstturner Rüttgers kümmerte dies nicht. Eine Woche später präsentierte er sich im Plenum des Bundestags als Schutzheiliger der Braunkohlereviere, vergessend dass gerade die rheinische CDU jahrelang zu den erbittertsten Gegnern eine Fortführung des Tagebaus in Richtung Westen gehörte - dokumentiert durch Resolutionen und Klagen vieler CDU-regierter Städte und Landkreise. Gleichzeitig hatte er erfolgreich verdrängt, dass er einst einem Kabinett angehörte, das durch die ungehemmte und unvermittelte Liberalisierung der Energiemärkte in Deutschland sowohl dem Konzentrationsprozess der Energieriesen gegen effiziente Stadtwerke Tür und Tor geöffnet als auch die Einspeisung hochsubventionierten französischen Atomstroms in den deutschen Markt vorangetrieben hat. Diese Formen von Teilamnesie sind ein zunehmend auftauchendes Phänomen der Unionspolitiker.

Ente gut, alles gut.
Die Haltung des Landes NRW und seines Ministerpräsidenten führte zu einem ökologisch und ökonomisch positiven Kompromiss zur Auflösung des sich abzeichnenden Konflikts: Die Steuerbegünstigung für High-Tech-Gas-und-Druckturbinenkraftwerke erfolgt nur für Anlagen, die bis zum 31. März 2002 errichtet werden und gibt damit einen Impuls zur Realisierung der Referenztechnologie in Lubmin. Nicht mehr und nicht weniger. Damit entfällt die Begründung für die RWE, aus dem Kraftwerkserneuerungsprogramm auszusteigen. Die durch die Liberalisierung des Energiemarktes gefährdete umweltfreundliche Kraft-Wärme-Kopplung in Kraftwerken vor allem selbständiger kommunaler Stadtwerke wird mit Hilfe eines Bonusmodells gestützt. Die Einspeisung von Strom aus Photovoltaik wird interessanter und das 100.000-Dächerprogramm wird verbessert. Gute Ergebnisse für alle.

Und Ente für die Union. Die von der CDU beantragte Sondersitzung des nordrhein-westfälischen Landtags wurde zum Eigentor, Wolfgang Clement hatte seine Handlungsfähigkeit bewiesen. Die Rolle Rüttgers als peinliche Übung. Was bleibt, ist die Verunsicherung der betroffenen Arbeitnehmer und Braunkohle-Umsiedler nach diesem unchristlichen Spiel.

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