Respektvoller Dialog sogar mit Nordkorea - »Café Nö!«

Simon Vaut trifft bei Flammkuchen und Riesling Charles King Mallory IV, Direktor der Berliner Dependance des Aspen Instituts, in der "Weingalerie & Café Nö!", Glinkastraße 23, 10117 Berlin-Mitte, www.cafe-noe.de

Ein paar Schritte entfernt von der Hektik der Friedrichstraße ist das Café Nö! mit seiner von Pflanzen umwucherten Fassade eine kleine Oase. Das Nö! wird von Jazzdrummer Jens Kluge betrieben, der zu DDR-Zeiten Musiker bei den Bands Phonolog und DATA war. Woher der Name kommt? „Man soll lieber auch mal ‚nö‘ sagen“, meint Kluge, „statt immer ‚ja ja‘ das machen wir schon‘ – und dann passiert nix.“

Charles King Mallory IV ist seit fünf Jahren Direktor des Aspen Instituts Deutschland. Unser Gespräch beginnt mit der Gründungsgeschichte des Aspen Instituts: Im Jahr 1949 lud der deutsche Amerika-Immigrant Walter Paepcke 2.000 Gäste in das malerische Aspen tief in den Rocky Mountains ein, um Goethes 200. Geburtstag zu feiern. Dort entstand die Idee für das, was bis heute das Herzstück des Aspen-Instituts ausmacht: Seminare, bei denen sich Politiker, Künstler, Manager und Wissenschaftler mit den Meisterwerken östlicher und westlicher Philosophie auseinandersetzen. Führungskräfte aus unterschiedlichen Lagern und Kulturen sollen das Zuhören und den respektvollen Dialog trainieren. Es geht um Werte, die unabhängig von Zeit und Moden gültig sind. Auch wer die Texte aus der Universität kenne: Als erfahrene Führungskraft liest man sie anders und kann darin Grundlagen für wertebasierte Entscheidungen finden, erläutert Mallory. Im Jahr 1974 wollten Willy Brandt, Marion Dönhoff, Richard von Weizsäcker und Shepard Stone eine solche Institution auch in Deutschland haben. Sie gründeten den ersten internationalen Ableger des Aspen Instituts, damals auf der zauberhaften Insel Schwanenwerder im Wannsee. Seit einigen Jahren sitzt das Institut nun im Herzen des politischen Berlin.

Bei Flammkuchen und rheinhessischem Riesling erzählt Mallory seine eigene Geschichte. Der Kosmopolit, der in New Orleans geboren wurde und auch in Hamburg zu Schule ging, hat unter anderem in Schweden, der Schweiz und den Vereinigten Staaten für unterschiedliche Institutionen wie den legendären Think Tank RAND, die deutsche Stiftung Wissenschaft und Politik, das amerikanische Außenministerium und das Stockholmer Friedensforschungsinstitut gearbeitet. Zwischendurch war er für Private Equity- und Investmentfirmen tätig. Die härteste Zeit seines Berufslebens, sagt er, waren die ersten beiden Jahre beim Aspen Institut in Berlin. Es steckte 2007 in finanziellen Schwierigkeiten und hatte seine Reputation als offene Debattenplattform verloren, weil es sich unter Führung von Jeffrey Gedmin vorübergehend als Sprachrohr der Bush-Regierung profiliert hatte.

Mallory fand bei seiner Ankunft gleich mehrere Baustellen vor: Nach Jahren üppiger Förderung kam man kaum damit zurecht, dass mit dem nachlassenden Interesse an transatlantischen Beziehungen auch die Fördermittel schwanden. Und immer mehr Think Tanks konkurrierten in Berlin um die Aufmerksamkeit weniger Adressaten. Die Durststrecke des Aspen Instituts sei aber mittlerweile überwunden, sagt Mallory. Als Leiter eines Instituts ohne nennenswerte öffentliche Förderung habe er alle Risiken eines Entrepreneurs – allerdings ohne den Vorteil, dabei reich werden zu können. Aber vom großen Geld habe er sich mit seinem Ausscheiden aus dem Finanzsektor ohnehin verabschiedet. Er genieße es, mit interessanten Menschen zusammenzuarbeiten. In Bankerkreisen, sagt Mallory, gehe kaum ein Gespräch über Themen wie „Asset Backed Securities“ und Sportergebnisse hinaus. Vor allem seiner Zeit in Moskau, wo er von 1992 bis 1997 einen großen Investmentfonds leitete, trauert er nicht nach. Vieles, was dort geschah, wäre in anderen Ländern strafbar gewesen. Im Grunde habe er miterlebt, was Jahre später den Boden für die globale Finanzmarktkrise bereitete. Deswegen sei ihm die Aspen-Idee der wertbasierten Führung so wichtig. Die Sprache des Investmentbankers hat Mallory allerdings noch nicht komplett abgelegt. Wenn er über sein Institut spricht, rattert er auch Budgetzahlen runter, spricht von „creating value“ und „unique selling proposition“.

Ich spreche Mallory auf Peer Steinbrücks Rede bei der Eröffnung des neuen gemeinsamen Büros der Berliner Republik und des Think Tanks Das Progressive Zentrum an. Darin hatte sich Steinbrück zwei Dinge aus der angelsächsischen Welt für das politische Berlin gewünscht: mehr „public intellectuals“, die zwischen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft wechseln, und mehr Denkfabriken, die den politischen Betrieb mit Ideen beflügeln.

Es sei schwer, als unabhängiges Institut in Deutschland finanzielle Unterstützung zu gewinnen, beklagt Mallory. Der Jahresbeitrag des Freundeskreises vom Aspen Institut beträgt 675 Euro. Dafür biete das Institut exklusive Veranstaltungen und Zugang zu einem auserlesenen Netzwerk. Geld allein reicht für einen Think Tank jedoch nicht, um im Wettbewerb der Ideen zu bestehen. Mallory ist sich sicher, dass das Aspen Institut mit seinen begrenzten Mitteln mehr bewirkt als manch andere, größere Stiftung. Er wünscht sich, darin ist er sich mit Steinbrück einig, mehr Wettbewerb zwischen den Denkfabriken – denn Wettbewerb beflügele. Und dass Akteure unterschiedlicher Gesinnung und Herkunft an einem neutralen Ort zusammenkommen, um die ungelösten Fragen der Welt offen und respektvoll zu diskutieren. Genau das sei schließlich die zweite Säule des Aspen Instituts.

In Berlin, erzählt Mallory weiter, kam es gleich nach der Gründung des Aspen Instituts zu Gesprächen, die zuvor fast unmöglich erschienen. Schon im Kalten Krieg trafen sich hier in vertraulicher Atmosphäre Vertreter der USA mit Vertretern der Sowjetunion. Beide hätten sich wohl auch im Nö! wohl gefühlt, immerhin befindet sich unser Restaurant in der Nachbarschaft des Plattenbaus, in dem sowohl die nordkoreanische Botschaft als auch ein Hostel für Backpacker aus aller Welt residieren. Mallory steht in regelmäßigem Kontakt zu Nordkorea; seit drei Jahren organisiert das Berliner Aspen Institut Gespräche zwischen Pjöngjang, Deutschland und den USA. Die Gespräche haben laut Mallory dazu beigetragen, dass Nordkorea auf einen weiteren Atombombentest verzichtet hat. „Wir bieten Raum, um sich auch bei komplexen Problemen und extrem unterschiedlichen Sichtweisen respektvoll begegnen zu können. Und unterschiedlichere Positionen als die der USA und Nordkoreas gibt es kaum“, sagt Mallory.

Kürzlich sorgte ein vom Aspen Institut arrangiertes Treffen von amerikanischen Kongressabgeordneten und Vertretern der afghanischen Nord-Allianz, die der Karzai-Regierung kritisch gegenüberstehen, in Berlin für Aufsehen. Auch mit dem Iran steht das Aspen Institut in Kontakt. So lud Mallory einen iranischen Blogger zu einer öffentlichen Veranstaltung nach Berlin ein. Außerdem dient das Institut als „Briefkasten“ zwischen den offiziellen Stellen der iranischen und der amerikanischen Regierung, wenn diese nicht offiziell in Kontakt treten möchten. Mallory schätzt, dass 80 Prozent der Arbeit des Instituts im Verborgenen geschieht. Nun soll eine Kooperation mit dem Deutschlandradio, das ausgewählte Veranstaltungen überträgt, die Sichtbarkeit erhöhen.

Beim Kaffee kommen wir schließlich noch auf den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf zu sprechen. Mallory findet, dass die Amerikaner mit Romney und Ryan versus Obama und Biden eine klare inhaltliche Alternative haben. Darin sind wir uns einig. Für Mallory hat Obama bei dem wichtigsten Thema der USA, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, nichts erreicht. Deshalb habe er keine zweite Amtszeit verdient. Hier liegen unsere Meinungen sehr weit auseinander. Aber das diskutieren wir respektvoll und sachlich – ganz im Geiste von Aspen.

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