Regieren mit der PDS

Mecklenburg-Vorpommerns Beitrag zur deutschen Einheit

Gut anderthalb Jahre ist sie bereits im Amt, die rot-rote Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern. Als sie im November 1998 gebildet wurde, galt sie als Sensation. Viele Sozialdemokraten hielten es für abenteuerlich, mit einer Partei zu koalieren, die sich neun Jahre zuvor noch SED nannte. Zu sehr widersprach diese Regierung den Traditionen der SPD in der alten Bundesrepublik, zu rasch kam die Zusammenarbeit für manche ostdeutschen Sozialdemokraten, die ihre Partei 1989 in heftiger Opposition zum DDR-Regime aufgebaut hatten.


Inzwischen, im Jahr 2000, hat sich die Aufregung gelegt. Die Landespolitik Mecklenburg-Vorpommerns genießt keine größere Aufmerksamkeit mehr als die von Rheinland-Pfalz oder von Baden-Württemberg. Für einen Regierungssprecher ist dies bedauerlich, für Kenner der Schweriner Politik jedoch kaum überraschend. Denn seit der Landtagswahl im Herbst 1998 hat das Land eine politische Stabilität erreicht, die es in den vergangenen 10 Jahren zu keinem Zeitpunkt gab. Mecklenburg-Vorpommern, da sind sich die Beobachter einig, wird von Ministerpräsident Harald Ringstorff mit ruhiger Hand regiert.


Welche Folgen diese Koalition für die SPD, für die PDS, für das Verhältnis beider Parteien zueinander und für die politische Landschaft in ganz Deutschland hat, lässt sich noch nicht absehen. Fest steht jedoch eins: Die rot-rote Landesregierung ist der spezifische Beitrag Mecklenburg-Vorpommern zur deutschen Einheit. Denn zum ersten Mal hat sich in Mecklenburg-Vorpommern ein PDS-Landesverband in einem Koalitionsvertrag ohne Wenn und Aber auf den Boden von Grundgesetz und Landesverfassung gestellt. Wovon zu Zeiten des kalten Krieges Adenauer, Schumacher und Heuss nur träumen konnten, ist in Schwerin eingetreten: Die ehemaligen Kommunisten sind in der Bundesrepublik angekommen. Der PDS-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern ist damit weiter als die Bundespartei, die sich auf ihrem letzten Parteitag in Münster immer noch um die entscheidende Frage herumgedrückt hat - um die Frage nämlich, ob sie die politische Ordnung der Bundesrepublik als Realität annimmt oder nicht.

Die Integration in das demokratische System der Bundesrepublik vollzog sich aber auch in der PDS Mecklenburg-Vorpommerns nicht ohne innerparteiliche Kämpfe. Ein beträchtlicher Teil insbesondere der älteren Mitglieder begleitete diese Entwicklung nur mit zusammengebissenen Zähnen und heftigem inneren Widerstand. Auch führen die Auseinandersetzungen dazu, dass sich die PDS mit realistischen Vorschlägen zur Lösung politischer Probleme immer wieder schwer tut. Doch die führenden Kräfte im Landesverband wissen, dass die historische Entwicklung seit der Wende unumkehrbar ist. Wie sollte man das Rad der Geschichte auch zurückdrehen können? Der Weltkommunismus ist zusammengebrochen, in Deutschland stehen keine sowjetischen Truppen mehr, und zur Mangelwirtschaft der DDR wollen selbst die Nostalgiker in der PDS nicht mehr zurück - vor allem dann, wenn sie den Quelle-Katalog in den Händen halten. An drei Händen kann man die Mitglieder abzählen, die sich in Mecklenburg-Vorpommern noch zur kommunistischen Plattform rechnen.


Auf Mecklenburg-Vorpommern hat die Koalition bislang drei konkrete Auswirkungen:

Erstens hat sich das politische Klima im Land entspannt. Die Gräben, die sich nach der Wende zwischen den verschiedenen politischen Kräften aufgetan haben, sind flacher geworden. Die drei großen Parteien im Land, die SPD, die CDU und die PDS, streiten sich zunehmend nicht mehr über Fragen der Vergangenheit, sondern widmen sich der Sachauseinandersetzung um die Probleme der Gegenwart. Dies bedeutet nicht, dass die Landesregierung die Vergangenheit in Vergessenheit geraten lassen will. Im Gegenteil, der historischen Wahrheit gilt es ins Gesicht zu schauen. "Die PDS bekennt sich dazu, dass die SED für politisches Unrecht in der DDR verantwortlich war", heißt es deshalb im Koalitionsvertrag. Doch für die Landesregierung hat die Aufarbeitung der Geschichte ein neues Ziel. Sie soll nicht mehr als Waffe im politischen Kampf missbraucht werden. Sie soll zur Versöhnung beitragen und "alle Menschen, die die Zukunft demokratisch und gerecht gestalten wollen, zur Mitarbeit am Aufbau Mecklenburg-Vorpommerns (...) gewinnen".

Zweitens ist die Zusammenarbeit von SPD und PDS in Mecklenburg-Vorpommern ein Zeichen für das gestiegene politische Selbstbewusstsein in Ostdeutschland. In Mecklenburg-Vorpommern haben die Ostdeutschen gezeigt, dass sie die neue politische Freiheit nutzen, um eigenständige Wege zu gehen.

Und drittens hat Mecklenburg-Vorpommerns rot-rote Landesregierung die neue politische Stabilität dazu genutzt, einen konsequenten Weg der Modernisierung zu beschreiten. Die treibende Kraft ist dabei die SPD. Wie selbstverständlich nimmt sie in der mecklenburg-vorpommerschen Dreiparteienlandschaft die Position der Mitte ein. Dies fällt ihr schon deshalb leicht, weil sie im bundesweiten Vergleich eben nicht zu den traditionalistischen linken Landesverbänden zählt, wie viele in Westdeutschland wegen der Koalitionsentscheidung zugunsten der PDS fälschlicherweise meinen. Eher ist es umgekehrt: Die SPD Mecklenburg-Vorpommerns ist durch und durch pragmatisch, Ideologien sind die Mitglieder abhold, ihre Politik ist bodenständig und wird mit Augenmaß geführt. Journalisten, die sich in Schwerin auskennen, sind sogar der Ansicht, der SPD in Mecklenburg-Vorpommern fehle der linke Flügel gänzlich - der sei schließlich in der PDS.

Nach anderthalb Jahren zeichnen sich erste Erfolge dieses Kurses der pragmatischen Modernisierung ab. So steht die neue Landesregierung für eine konsequente Politik der Haushaltskonsolidierung. Die Neuverschuldung wird, so wie im Koalitionsvertrag festgelegt, Jahr für Jahr in großen Schritten zurückgeführt. Rot-Rot in Schwerin kann genauso gut mit dem Geld umgehen wie Rot-Grün in Berlin. Zugleich werden jedoch die Investitionen, insbesondere bei der Verkehrsinfrastruktur, auf hohem Niveau fortgesetzt. Bis zum Jahr 2005 soll die Küstenautobahn von Lübeck bis zur polnischen Grenze fertig gestellt sein, desgleichen die A241 von Wismar nach Schwerin und die neue Rügenanbindung. Damit wird der Nordosten zum ersten Mal in seiner langen Geschichte sein verkehrliches Abseits verlassen. Die Häfen sind modernisiert, in Rostock ist der Umschlag inzwischen höher als vor der Wende. Und aus Rostock-Laage ist ein moderner Regionalflughafen geworden, der auch im Urlaubsverkehr eine beachtliche Rolle spielt. Auch in die Bildung wird konsequent investiert: 180 Millionen Mark fließen jedes Jahr in den Hochschulbau.

Die Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommerns reagiert positiv auf die Rahmenbedingungen, die in Schwerin gesetzt werden. Im verarbeitenden Gewerbe hat das Land ein Wirtschaftswachstum erreicht, das die Raten aller anderen ostdeutschen Länder übertrifft. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist so positiv wie sonst nirgendwo in Ostdeutschland, auch wenn die zurückgehende Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, der Stellenabbau in der Bauwirtschaft und der Personalabbau im öffentlichen Dienst den Aufschwung noch überdecken.

Vier Säulen tragen die Wirtschaft des Landes:

Die erste ist der Tourismus. Er boomt. Die Zahl der Übernachtungen stieg im letzten Jahr um sagenhafte 17,6 Prozent. Bei der Fremdenverkehrsintensität (Zahl der Übernachtungen pro 1000 Einwohner) hat Mecklenburg-Vorpommern erstmals seinen Konkurrenten Schleswig-Holstein überholt und steht unangefochten auf dem ersten Platz im Ländervergleich. Befürchtungen der CDU, durch Rot-Rot würden Touristen vergrault, sind damit widerlegt.

Positiv entwickelt sich auch die maritime Wirtschaft, die zweite wirtschaftliche Säule. Die Branche hat es nicht leicht, denn Südkorea macht auf dem Weltmarkt den vier Werften des Landes in Wismar, Rostock, Stralsund und Wolgast mit Dumping-Preisen Konkurrenz. Da sie sich jedoch spezialisiert haben, zu den modernsten in ganz Europa zählen und von dem günstigen Dollarkurs profitieren, können sie optimistisch in die Zukunft sehen.

Die dritte Säule, die Landwirtschaft und die Ernährungsgüterindustrie, entwickelt sich ebenfalls positiv. In Mecklenburg-Vorpommern dominiert der landwirtschaftliche Großbetrieb US-amerikanischer Dimension, der dem herkömmlichen westdeutschen Kleinbetrieb haushoch überlegen ist und, einen freien Weltmarkt vorausgesetzt, auch im internationalen Vergleich konkurrenzfähig sein kann. Beachtlich ist auch der große Anteil der ökologisch bewirtschafteten Flächen im Land und die hohe Qualität der Nahrungsgüterindustrie.

Die vierte Säule schließlich ist diemoderne Technologie. Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern um die beiden Universitäten Rostock und Greifswald und um die Fachhochschulen herum eine Reihe von Technologiezentren, die sich recht gut entwickeln. Ein besonderer Schwerpunkt sind die Biomedizin und die Biotechnologie im Raum Teterow. Gerade die Technologiebranche hat die Chancen erkannt, die sich dem Land aus der immer enger werdenden Zusammenarbeit im Ostseeraum bieten.

Mecklenburg-Vorpommern hat also allen Anlass, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Man sollte sich mit eigenen Augen davon überzeugen.

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