Polen und Deutsche: Eigentlich ziemlich ähnlich

Tobias Dürr und Benjamin Triebe treffen AGNIESZKA ŁADA, Direktorin des Europaprogramms am Warschauer Think Tank Instytut Spraw Publicznych, in der "Böse Buben Bar", Marienstraße 18, 10117 Berlin (geöffnet Montag bis Sonntag 10 Uhr bis open end)

Wir treffen Agnieszka Łada an einem sonnigen Nachmittag in der Böse Buben Bar unweit des Bahnhofs Friedrichstraße. Łada ist Expertin für deutsch-polnische Beziehungen und leitet in Warschau das Europaprogramm des unabhängigen Think Tank Instytut Spraw Publicznych (ISP), also des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten. Sie reist regelmäßig nach Berlin. Konferenzen und Symposien sind ihr täglich’ Brot – aber für ebenso wichtig hält Agnieska Łada Hintergrundgespräche über die deutsche und europäische Politik. Besonders gut für solche Treffen eignet sich die Böse Buben Bar: schnell erreichbar, im Zentrum der deutschen Hauptstadt gelegen, bietet das Lokal mit seinen meterlangen Bücherregalen, seinen leckeren Kleinigkeiten und seinem guten Hausbier das ideale Ambiente für den informellen Austausch in entspannter Umgebung.

Hierher kommt Agnieszka Łada gern, wenn sie in der Stadt ist. Die promovierte Politikwissenschaftlerin kennt sich auch sonst gut aus in Berlin. Hier hat sie am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität studiert, bevor sie 2006 in Dortmund promovierte. Ihr Thema war der „neue deutsche Patriotismus“, der damals während der Fußballweltmeisterschaft über das Land schwappte. Überhaupt habe sie bereits früh begonnen, sich mit Deutschland und deutscher Politik auseinanderzusetzen. Davon zeugen Praktika bei der polnischen Botschaft in Berlin, der Konrad-Adenauer-Stiftung und diversen Think Tanks.

Wieso Deutschland? Ihre Eltern seien so klug gewesen, sie schon als Kind zu motivieren, Deutsch zu lernen. Das Interesse für das Nachbarland wurde schließlich durch deutsch-polnische Austauschprogramme auf dem Gymnasium und an der Universität verstärkt. So ist es nur konsequent und logisch, dass Łada als polnische Deutschland-Expertin nun bei einem Think Tank arbeitet, der sich besonders mit den Beziehungen beider Länder auseinandersetzt. Irgendwie sei dieser Weg geplant und doch zugleich glücklicher Zufall gewesen, „durch Möglichkeiten, die sich zur richtigen Zeit geöffnet haben“, wie Agnieszka Łada sagt.

Anders als viele öffentlich finanzierte deutsche Stiftungen und Institute agiert das 1995 gegründete Instytut Spraw Publicznych unabhängig von Parteien und staatlichen Stellen. Es hat sich unter anderem darauf spezialisiert, zu verschiedenen europäischen Themen empirische Umfragen durchzuführen. Seit 2005 gibt das Institut gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung das Deutsch-Polnische Barometer heraus. Als Autorin der diesjährigen Studie kennt Agnieszka Łada die aktuellen Ergebnisse genau: Das Bild Deutschlands in Polen ist mittlerweile sehr positiv, und die Polen sind überwiegend auch zufrieden mit der deutschen Europapolitik. Aber: „So richtig als Partner wahrgenommen von den Deutschen fühlen sich nicht.“ Angesichts der enormen wirtschaftlichen und strategischen Bedeutung Polens für Deutschland ein ernstzunehmender Befund.

Die größten Herausforderungen für die Beziehungen beider Länder liegen aus Sicht der Polen heute nicht mehr in der konfliktreichen Beziehungsgeschichte beider Länder, sondern in aktuellen Europafragen, besonders mit Blick auf das Verhältnis zu Russland. Agnieszka Łada betont, dies liege auch an der verzerrten Darstellung der deutschen Russlandpolitik in polnischen Medien: „Eigentlich sind beide Regierungen in dieser Frage auf einer Linie, aber die polnischen Medien stellen Deutschland oft als extrem russlandfreundlich dar.“ Dabei zeigen die Umfragen ihres Instituts, dass in beiden Ländern sehr ähnliche Ansichten vertreten werden, etwa wenn es um die wirtschaftliche Unterstützung der Ukraine oder um Sanktionen gegen Russland geht. Die Bereitschaft, sich notfalls auch militärisch zu verteidigen, sei bei den Polen zwar noch stärker ausgeprägt als in Deutschland. Doch auch in dieser Frage entwickelt sich Polen immer mehr zu einem „postheroischen“ Land westeuropäischer Prägung.

Agnieszka Łada berichtet, dass elf Jahre nach Polens EU-Beitritt in beiden Gesellschaften ein insgesamt wesentlich positiveres Bild vom jeweiligen Nachbarn vorherrscht. Zum Beispiel wird in Deutschland der Ausdruck „polnische Wirtschaft“ nicht mehr als Synonym für unordentliche Zustände verstanden, seit viele Deutsche den erstaunlichen Aufschwung zur Kenntnis genommen haben, der den Polen in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelungen ist. Tatsächlich blickt Polen auf ein jährliches Durchschnittswachstum von 4 Prozent seit 1990 zurück.

Andererseits weiß Agnieszka Łada, dass sich das Ausmaß der ökonomischen Verflechtung von Polen und Deutschland noch längst nicht allen Deutschen völlig erschlossen hat. Ein volles Viertel aller ihrer Importe und Exporte tauschen die Polen inzwischen allein mit Deutschland aus. „Gerade deutsche Mittelständler lassen viele ihrer Produkte in Polen produzieren und bringen damit große Dynamik ins Land.“ Großen Wert legt Agnieszka Łada auf die Feststellung, dass Deutschland höhere Einnahmen aus Exporten nach Polen als aus Exporten nach Russland erzielt. Mindestens ökonomisch gesehen ist Polen für Deutschland allemal das bedeutendere Land.

Nach einer schmackhaften Spinat-Frischkäse-Quiche mit Salat und einem ersten Böse-Buben-Hausbier kommen wir aber auch auf die weniger positiven Aspekte der engen wirtschaftlichen Verflechtung zwischen Polen und Deutschland zu sprechen. So besteht für Polen weiterhin die Gefahr eines Braindrain: Die niedrigeren Arbeitskosten machen das Land zwar zu einem günstigen Produktionsstandort für deutsche Unternehmen, doch weil Forschung und Entwicklung in Deutschland stattfinden, kann die Produktion auch schnell wieder abwandern. Zudem gehen viele gut gebildete Polen zum Arbeiten ins Nachbarland, weil sie hier wesentlich mehr Geld verdienen können. Diese Schattenseite des polnischen Niedriglohnmodells stellt zugleich eine Parallele zu Ostdeutschland dar, das ebenfalls vor allem als verlängerte Werkbank westdeutscher Unternehmen dient, zu wenig eigene Konzernzentralen oder Ideenschmieden aufweist. Hier liegt ein Ansatzpunkt für gemeinsames Nachdenken über nachhaltigere Entwicklungspfade.

Einig sind wir uns darüber, dass sich die deutsch-polnischen Beziehungen seit dem Regierungsantritt der Bürgerplattform (PO) vor acht Jahren so gut entwickelt haben wie nie. Doch Agnieszka Łada befürchtet, dass sich dies bald ändern könnte. Die PO stecke in einer schweren Krise und genieße nicht mehr genügend Vertrauen der Bevölkerung. Deshalb dürfte Jarosław Kaczynskis Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nach der Präsidentschaftswahl dieses Frühjahrs auch die Parlamentswahl im Herbst gewinnen und erneut die Regierung übernehmen. Mit einer PiS-Regierung werde es schwieriger, weitere Fortschritte im deutsch-polnischen Verhältnis zu erzielen, befürchtet Agnieszka Łada – unmöglich sei dies aber nicht.

Von Bedeutung könnte dabei auch ein Unterschied in der Diskussionskultur zwischen Deutschen und Polen sein, auf den uns Agnieszka Łada hinweist: „In Polen hat man früher nicht gelernt, wie man sachlich diskutiert, deswegen tun sich viele immer noch schwer, mit Kritik umzugehen. Viele fühlen sich persönlich angegriffen, wenn man anderer Meinung ist.“ Widerspruch auszuhalten, das könnten die Polen von den Deutschen noch lernen. Wir einigen uns darauf, auch schon einmal diskursunfähigen Deutschen begegnet zu sein. Sowieso sind wir drei der Ansicht, dass sich Deutsche und Polen eigentlich ziemlich ähnlich sind, jedenfalls überwiegen ihre Gemeinsamkeiten bei Weitem die Unterschiede. Diesen Blick auf die verbindenden Gemeinsamkeiten sollten sich, wie wir im Übrigen finden, alle Europäer zwischendurch immer mal wieder ins Gedächtnis rufen. Auf diese deutsch-polnische Einsicht noch ein Böse-Buben-Hausbier!

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