Nazi-Versammlungen können auch verboten werden.

Berlin braucht keine erweiterte Bannmeile

Das Brandenburger Tor ist ein geschichtsbeladener, magischer Ort. Das klassizistische Tor ist auch eine Kulisse und der Pariser Platz eine Bühne: ein Ort für Touristen, für Neugierige und immer häufiger für Demonstrationen. Gelegentlich hat man den Eindruck, dass für manchen Veranstalter eine Demonstration nur Sinn macht, wenn sie durch das Brandenburger Tor geführt wird. Für Aufmerksamkeit im Fernsehen ist kein besserer Ort in Berlin zu finden. An diesem Ort werden die besten Bilder geschossen.

Seit dem Umzug von Bundestag und Bundesregierung macht Berlin neue Erfahrungen. Hauptstadterfahrungen. Demonstrationen nehmen spürbar zu. Sie sind in aller Regel friedlich. Allerdings verursachen sie mancherlei Behinderungen im Straßenverkehr und mögen gelegentlich lästig sein.

Anstoß und Empörung erwecken indes die Demonstrationen von Neo-Nazis. Am 29. Januar zogen mehrere hundert NPD-Anhänger mit volksverhetzenden, den Mord an den Juden leugnenden Parolen durch das Brandenburger Tor. Das war eine bewusste Provokation, die dem Ansehen unseres Landes schweren Schaden zufügte und die Opfer der Nazis verhöhnte. Am 12. März erlebte Berlin erneut eine Demonstration der NPD. Wieder war Zielpunkt das Brandenburger Tor. Aber diesmal hatten sich die NPD-Anhänger "verkleidet". Sie traten bewusst friedlich und gesetzestreu auf. Im Schafspelz gleichsam. Eine weitere NPD-Demonstration fand am 1. Mai in Berlin statt. Sie musste von zahlreichen Polizisten geschützt werden.

Ist der demokratische Rechtsstaat hilflos gegenüber den Feinden der Demokratie? Müssen wir uns wieder an Nazis am Brandenburger Tor gewöhnen? Berlins Innensenator Werthebach hat zwei Rezepte vorgeschlagen: die Bannmeile um den Reichstag auf das Brandenburger Tor und den Pariser Platz ausdehnen oder das Versammlungsgesetz verschärfen. Beide Vorschläge beziehen sich auf Bundesgesetze.

Wird der Bundestag den Wünschen von Senator Werthebach folgen? Klipp und klar: nein!
Wenn ahnungslose Politiker nicht weiter wissen, rufen sie nach neuen Gesetzen. Den gelernten Juristen Werthebach bitte ich endlich zu begreifen, was alle Fachleute der Berliner Politik raten: Die bestehenden Gesetze sind völlig ausreichend, um mit Extremisten fertig zu werden. Man muss diese Gesetze lediglich klug, konsequent und umsichtig anwenden. Die Bannmeile schützt ausschließlich die Funktionsfähigkeit des Bundestages. Diese ist bislang zu keiner Sekunde eingeschränkt worden. Es ist kaum vorstellbar, dass Demonstrationen am Brandenburger Tor die Beratungen des Bundestages stören könnten. Die räumliche Entfernung ist zu groß. Die anstößigen NPD-Demonstrationen fanden im übrigen stets am Wochenende statt. An Wochenenden tagt der Bundestag aber nicht. Es ist deshalb Unfug, die Ausweitung der Bannmeile zu fordern.

Das Versammlungsgesetz ermöglicht ausdrücklich das Verbot rechtswidriger Demonstrationen. Unsere Gesetze sind nicht blind gegenüber der Gefahr, dass die Versammlungsfreiheit missbraucht werden könnte. Deswegen schützt das Grundgesetz nur Versammlungen, die "friedlich und ohne Waffen" stattfinden. Versammlungen können verboten oder aufgelöst werden, wenn von ihnen eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeht. Gewalt, ausländerfeindliche Parolen, das Verhöhnen der Opfer der Nazis, das Tragen von uniformähnlicher Bekleidung - all dies reicht aus, um eine Versammlung der Neo-Nazis zu verbieten.


Verbotsentscheidungen müssen aber mit einer sorgfältigen Gefahrenprognose begründet werden. Andernfalls werden Verbote von den Verwaltungsgerichten kassiert. Wenn sich jedoch extremistische Demonstranten friedlich und gesetzestreu verhalten, müssen ihre Veranstaltungen bis an die Schmerzgrenze ertragen werden. Denn auch Extremisten sind Inhaber von Grundrechten.

Die Verbotsverfügungen, mit denen die NPD-Demonstrationen in Berlin untersagt wurden, sind häufig schlampig begründet worden. Insbesondere fehlten mehrfach Erkenntnisse des Berliner Verfassungsschutzes. Sollte der Berliner Verfassungsschutz auf einem Auge blind sein? Hat Werthebach keine Ahnung von der rechtsextremistischen Szene in Berlin? Man muss kein Hellseher sein, um vorherzusehen, dass sich Konfliktlagen mit extremistischen Demonstranten wiederholen. Da hilft kein Lamentieren. Werthebach meint offenbar, seine Verantwortung für die Berliner Nazis auf die Verwaltungsgerichte oder auf die Rot-Grüne Koalition im Bundestag abschieben zu können. Für Versammlungen in Berlin ist aber ausschließlich der Innensenator zuständig und verantwortlich. Er soll seinen Job machen und nicht die Verantwortung anderen zuschieben.

zurück zur Ausgabe