Nationalpark Sachsen?

Eine Überraschung war das Ergebnis der sächsischen Landtagswahl nur für Außenstehende. Längst war bekannt: Eine starke Minderheit im Land hält nichts von freiheitlicher Demokratie. Zurückzugewinnen sind sie nur mit klarem Kurs und besseren Lösungen

Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus“: So lautete noch vor einigen Jahren das persönliche Credo des damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf. Und was schlimmer war: Diese Meinung spiegelte sich auch in der Regierungspolitik der CDU wider. Für die Bekämpfung antidemokratischer Gesinnungen wurde wenig getan, die demokratische Bildung vor allem bei Jugendlichen zu wenig gefördert. Mit dem Ergebnis der Landtagswahl vom 19. September 2005 haben wir es nun Schwarz auf Weiß: Die Sachsen sind doch nicht immun. Die rechtsextreme NPD zog mit über 9 Prozent der Stimmen erstmals in den Sächsischen Landtag ein und stützt sich damit auf fast genauso viele Wählerinnen und Wähler wie die SPD.

So groß der mediale Aufschrei noch am Wahlabend war – überraschen konnte das Ergebnis nicht. Die NPD ist keine neue Kraft in Sachsen, sondern schon lange präsent und in einzelnen Gemeinden seit Jahren sehr erfolgreich. Auch im Wahlkampf zeichnete sich früh ab, dass mit der NPD zu rechnen war und dass trotz aller Bemühungen der demokratischen Parteien der Einzug in den Landtag nicht zu verhindern sein würde. Keine Wahlkampfveranstaltung und kein Zeitungsaufruf gegen Rechtsextremismus konnte die ungenügende Aufklärungsarbeit der vorangegangenen Jahre ausgleichen.

Nun haben wir die Braunen im Parlament, und es wird eine vorrangige Aufgabe sein, Mittel und Wege zu finden, diesen Erfolg der NPD zu einem einmaligen, nicht wiederholbaren Ereignis zu machen. Um dies zu erreichen, darf aber die NPD nicht als alleiniges Übel begriffen werden. Wir müssen es zum einen schaffen, uns in den Regionen, in denen rechtsextremistische Überzeugungen die Deutungshoheit gewonnen haben, demokratisch wiederzubeleben. Auf der anderen Seite müssen wir den Kampf mit der NPD ernst nehmen und einen parlamentarischen Umgang mit ihr finden, der es diesen Extremisten nicht ermöglicht, den Landtag zur Plattform ihrer Parolen zu machen.

Auf dem Land ist die Lage zum Teil verheerend

Die Bilder von den Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) kennen inzwischen auch außerhalb Sachsens viele. Vielleicht auch die Nachrichten von rechtsextremistischen Demonstrationen in Wurzen und Pirna. Die Angriffe von Rechten auf Ausländer in Berggießhübel und anderen kleinen Gemeinden dürften jenseits der sächsischen Landesgrenzen allerdings wenig Beachtung gefunden haben. Es ist eine traurige Wahrheit: In vielen ländlichen Regionen dominiert rechtsextremistisches Gedankengut die politische Weltanschauung. Das Abschneiden der NPD bei der Landtagswahl ist deshalb auch nicht auf bloßes Protestverhalten der Wähler zurückzuführen. Und wir dürfen auch nicht hoffen, dass sich das Problem ähnlich wie in Sachsen-Anhalt mit den kommenden Wahlen einfach wieder verflüchtigt.

Ein wichtiger Bestandteil des Rechtsextremismus ist die Meinungsherrschaft in den Kreisen gerade der ländlichen Jugend. Über 20 Prozent der Wähler bis 25 Jahre haben im sächsischen Durchschnitt NPD gewählt. In den ländlichen Regionen sind die Zahlen zum Teil verheerend. Rechte knüpfen hier enge Netzwerke und bieten Jugendlichen mittels kultureller Angebote und gemeinschaftlicher Aktionen eine „funktionierende“ Gemeinschaft. Alternative Kulturangebote sind selten vorhanden; wer nicht dazugehören will, findet sich schnell als Außenseiter wieder. Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus sind an sächsischen Schulen weit verbreitet. Der Uniformitätsdruck ist groß, demokratische Grundwerte werden kaum geteilt. Oft deshalb, weil man es eben nicht besser weiß. Weil es alle so halten.

Demokratische Bildung kam lange zu kurz

Rechtsextremismus ist allerdings nicht nur ein Problem der Jugendlichen und ihrer Cliquen, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem. Er betrifft die Eltern genauso wie die Lehrer, die Medien wie das Arbeitsumfeld – und natürlich die Politik. Erst wenn wir den Rechtsextremismus als ein umfassendes Problem erkennen, dass in allen gesellschaftlichen Schichten Fuß gefasst hat, werden wir auch Lösungen finden können.

Natürlich herrschte nach der Wahl vom 19. September große Aufregung. Das Medieninteresse war enorm, den Menschen in Sachsen wurde sehr deutlich, dass sich etwas Außergewöhnliches zugetragen hatte. So wenig überraschend das Ergebnis im Grunde war, hatte diese Aufregung auch etwas Gutes. Die sächsische SPD konnte diese Aufregung nutzen, um ein Problembewusstsein zu schaffen, dass vorher kaum existiert hat. So gelang es in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU trotz knapper Ressourcen, ein Landesprogramm zur Förderung der Demokratie durchzusetzen. Die Mittel sollen Vereinen und Initiativen zu Gute kommen, die sich für ein demokratisches Miteinander engagieren und über Rassismus und Diskriminierung aufklären. Das Landesprogramm kann zwar nur ein erster Schritt sein, die Signalwirkung sollte aber nicht unterschätzt werden. War es lange so, dass demokratische Bildungsarbeit von Vereinen und Initiativen durch den Bund gefördert wurde, setzt die neue Koalition in Sachsen ein Zeichen für mehr Engagement im Kampf gegen den Rechtsextremismus.

Die Mittel des Landesprogramms sollen hauptsächlich eingesetzt werden, um demokratische Bildungsarbeit anzubieten und in den von rechtslastigen Einstellungen dominierten Regionen eine alternative politische Kultur zu unterstützen. Ein Schwerpunkt muss hier natürlich das Angebot für Jugendliche sein. Daneben müssen aber in der Erwachsenenbildung Konzepte entwickelt werden, die dem politischen Umfeld gerecht werden. Das Ziel muss es sein, die vorhandenen Netzwerke zu unterstützen und nach Möglichkeit lokale Netzwerke dort zu schaffen, wo es sie bislang nicht gibt. Die engagierten Menschen vor Ort müssen spüren, dass sie nicht allein stehen. Nur so kann es gelingen, eine demokratische Gegenkultur zu stärken und den braunen Netzwerken den Boden zu entziehen.

Die NPD: Partei der „selektiven Intelligenz“?

Das sächsische Landesparlament wiederum muss lernen, wie mit der NPD umzugehen ist. Die ersten Plenarsitzungen haben gezeigt, dass es noch keine einheitliche Linie der Fraktionen gibt. Leider ist es der NPD deshalb mehrmals gelungen, die Themen zu bestimmen und die demokratischen Fraktionen vorzuführen. Schnell ist klar geworden: Die NPD-Fraktion setzt sich nicht aus dumpfen Kraftmeiern zusammen, sondern ist durchaus in der Lage, strategisch geschickt vorzugehen und die Schwächen der anderen zu nutzen. Zu Recht hat Cornelius Weiss, der Fraktionsvorsitzende der sächsischen SPD, den Begriff der „selektiven Intelligenz“ geprägt, welche die NPD kennzeichne. Wir können die NPD daher nicht einfach ignorieren, falsch wäre es aber auch, wenn sich die demokratischen Fraktionen die Themen von den Rechten diktieren ließen. Spielereien wie das Verlassen des Plenums führen ebenfalls nicht weiter. Die NPD ist zwar keine demokratische Partei, sie wurde aber leider demokratisch gewählt. Es würde die kleine Schar zu Märtyrern erheben, wenn nun versucht würde, die NPD durch undemokratische Mittel auszubremsen.

Im Übrigen würden dies auch die Wähler nicht honorieren. Zwar wurde die NPD nicht nur von Protestwählern gewählt, doch über eine starke, gebundene Stammwählerschaft verfügt sie ebenso wenig. Die Menschen fordern eine verantwortungsbewusste Politik, und sie werden uns an unseren eigenen demokratischen Werten messen. An einer formal korrekten Auseinandersetzung mit der NPD führt deshalb kein Weg vorbei. Dafür muss der Disput allerdings inhaltlich umso schärfer und klarer ausfallen. Deutschtümelei und Rassismus haben im Parlament nichts verloren und dürfen nicht akzeptiert werden. Phrasen und Begriffe der NS-Ideologie müssen auch in diesen Kontext gesetzt werden. Wir müssen den Menschen immer wieder zeigen, welchen ideologischen Hintergrund die NPD tatsächlich hat.

Gegenhalten, auch wenn es nicht einfach wird

Es ist zu vermuten, dass die NPD zukünftig vor allem auf dem Feld der Sozialpolitik zu Punkten versuchen wird. Auch hier brauchen wir eine klare Konfrontation. Eine Sozialpolitik, die zu Lasten von Ausländern und Randgruppen geht, ist mit uns nicht zu machen und widerspricht unserer demokratischen Grundordnung. Auch wenn sich viele Menschen über solche einfachen Botschaften freuen: Hier heißt es gegenhalten. Das wird umso einfacher und effektiver sein, je mehr alle demokratischen Fraktionen zu einer einheitlichen Position im Umgang mit der NPD finden. Hierzu finden zwischen allen demokratischen Fraktionen Gespräche statt.

Die Auseinandersetzung darf allerdings nicht nur im Plenum stattfinden. Es ist kontraproduktiv, Podien zu verlassen, nur weil ein NPD-Mitglied mit am Tisch sitzt. Auch hier müssen wir lernen, die Existenz der NPD zu akzeptieren, nicht aber deren Inhalte. Das ist deshalb eine besondere Herausforderung, weil sich Podiumsdiskussionen zu billigem Populismus besonders eignen. Aber auch hier gilt: Wir brauchen eine harte und ehrliche Abgrenzung zu der NPD, auch wenn das bedeutet, unpopuläre Botschaften zu vertreten. Eine klare Linie, die mit Kompetenz und Fachwissen vertreten wird, nutzt uns allemal mehr als unglaubwürdige und widersprüchliche Positionen.

Die letzten Monate haben deutlich gezeigt, dass es uns die NPD nicht leicht machen wird. In allen Fraktionen, aber auch in den Medien herrscht große Verunsicherung, worin die beste Strategie bestehen könnte. Unsere Fraktion hat viele Gespräche geführt und auch die anderen demokratischen Fraktionen immer wieder mit eingebunden. Diese Reflexion, auch mit Experten aus Wissenschaft und Verbänden, wird weitergehen. Wichtig ist es aber, dass wir uns auf eine konsistente, einheitliche und erkennbare Linie einigen. Nun besteht die Aufgabe der Abgeordneten darin, mit der NPD einen Umgang zu pflegen, der sie nicht zu Märtyrern stilisiert und dennoch eine scharfe inhaltliche Trennlinie markiert.

Es wäre zu schön gewesen, Kurt Biedenkopf hätte mit seiner Immunitätsvermutung Recht gehabt. Doch er lag falsch. In Wirklichkeit ist die NPD nur die eine Seite, das Symptom sozusagen. Die Wahlen haben gezeigt, dass es in Sachsen eine starke Minderheit gibt, die mit dem politischen System unzufrieden ist und von unserer demokratischen Grundordnung nichts hält. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, die Menschen durch politische Bildung, inhaltliche Konzepte und Präsenz davon zu überzeugen, dass die Politik den Gestaltungsanspruch nicht verloren hat, sondern die Demokratie im Allgemeinen sowie die Sozialdemokratie im Besonderen die besseren Alternativen bieten. Das ist keine leichte Aufgabe, und eine Imagekampagne (wie von der CDU gefordert) wird sie nicht lösen. Sachsen hat kein Imageproblem, sondern ein Problem mit dem Rechtsextremismus. Als Regierungspartner wird es die Aufgabe der SPD sein, dieses Problem durch aktive und soziale Politik zu lösen.

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