Na so was! Stammen Amerikas Progressive von Faschisten ab?

Rechtzeitig zum Präsidentschaftswahlkampf werden hanebüchende Vergleiche aufgetischt

Die Faschisten sind unter uns. George W. Bush hat sie ja bereits in den Reihen der Islamisten ausgemacht, weswegen ihm seine Berater häufiger den Neologismus „Islamofaschismus“ in seine Reden geschrieben haben. Da die konservative Rechte den Linksliberalismus bekanntermaßen für mindestens genauso gefährlich hält, ist es nur naheliegend, dass sich der Publizist Jonah Goldberg rechtzeitig zur Wahl den Gemeinsamkeiten zwischen der Linken und dem Faschismus widmet. Mit beträchtlichem Erfolg: Sein Buch Liberal Fascism steht seit Wochen ganz oben auf den Bestsellerlisten. Ein Oxymoron zwischen Buchdeckeln, möchte man meinen. Doch Goldberg will eine „alternative Geschichte des amerikanischen Liberalismus“ präsentieren, die nicht nur dessen Ursprünge im Faschismus offenlegt, sondern auch zeigt, wie das Faschismusetikett dafür genutzt wurde, konservative Akteure zu diskreditieren. Fälschlicherweise natürlich. Denn die wahren Erben des Faschismus sieht er auf der anderen Seite des politischen Spektrums.

Hillary Clinton beispielsweise, von ihren Gegnern gerne „Hitlery“ genannt, stehe für einen Liberalismus, der das land of the free zum totalitären Sozialstaat machen wolle. Zwar sei sie keine Antisemitin, von der in naher Zukunft Eroberungskriege und Völkermord zu erwarten seien. Aber eine Krankenversicherung für alle wolle sie eben doch. Und da Goldberg Faschismus als „Staatsreligion“ definiert und in Nationalismus, Antisemitismus und Gewaltexzessen keine notwendigen Merkmale faschistischer Politik sieht, erklärt er die gesamte Sozialstaats-Avantgarde – von den Progressiven des frühen 20. Jahrhunderts über Wilson und Roosevelt bis zu den Clintons – zu Faschisten. Zu „freundlichen“ Faschisten, wie er schreibt. Sie wüssten es ja nicht besser.

Da ist zum Beispiel Woodrow Wilson, der laut Goldberg „erste faschistische Diktator des 20. Jahrhunderts“. Unterstützt durch einen ausgeklügelten Propaganda-Apparat habe er die Amerikaner in den Krieg gelockt, die Gesellschaft gleichgeschaltet und Bürgerrechte in nie dagewesenem Ausmaß eingeschränkt. Gleichzeitig habe er eine staatliche Planwirtschaft errichtet, die Franklin D. Roosevelts New Deal zum Vorbild diente.

Ideenpolitik statt Ideengeschichte

Als Beweis für diese These herhalten muss der Civilian Conservation Corps, ein Arbeitsdienst, bei dem Freiwillige zu Landschaftsschutzdiensten eingesetzt wurden. „Arbeitsdienst, da war doch was?“, denkt sich Goldberg und konstruiert eine Parallele zu Hitler-Jugend und Reichsarbeitsdienst. Dass diese, wie der Historiker Kiran Klaus Patel herausgearbeitet hat, anders als Roosevelts ad hoc eingerichtete Arbeitslosenfürsorge primär dazu dienten, die nationalsozialistischen Ideale von Autarkie bis Volksgemeinschaft zu realisieren, ficht ihn nicht an.

Muss die Politik- und Ideengeschichte also neu geschrieben werden? Wohl kaum. Unbestritten ist, dass sich das Progressive Movement, auf das sich Goldberg häufig bezieht, durch einen Fortschritts- und Wissenschaftsidealismus auszeichnete, dessen extreme Ausläufer die Eugenik und der Glaube an eine durch Sozialtechnologien planbare Gesellschaft waren. Dass New Deal, Nationalsozialismus und Faschismus zeitweise ähnliche ökonomische Steuerungsinstrumente benutzten, ist ebenfalls bekannt. Doch liegt ihre Gemeinsamkeit eben primär in einer ähnlichen historischen Krisensituation begründet.

Ein ebenso alter Hut ist die Erkenntnis, dass auch die Achtundsechziger mit ihrem weltverändernden Anspruch vor totalitären Ideen nicht gefeit waren. Götz Aly hat ihn, pünktlich zum Jubiläum, mit seinem Buch Unser Kampf wieder in den Ring der deutschen Debatte geworfen.

All dies belegt nur eins: Dass es sich bei der Linken vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, diesseits und jenseits des Atlantiks, nicht um eine einheitliche Bewegung handelt, sondern um heterogene und von manchmal merkwürdigen Koalitionen getragene Strömungen.

Doch Liberal Fascism ist weniger differenzierte Ideengeschichte als Ideenpolitik. Es ist ein Akt politischer Revanche; der Versuch, der politisch gerne „überkorrekten“ Linken in den Vereinigten Staaten das Monopol auf ihren Lieblingskampfbegriff streitig zu machen, ihn gegen sie zu wenden, um so die angeschlagenen Konservativen zu einen. Von Wilson und Roosevelt über Kennedy bis zu den Clintons – Goldberg nimmt es mit allen Ikonen der demokratischen Partei auf. Entwicklungen, die beim besten Willen nicht der Linken zuzurechnen sind, ignoriert er. Dazu zählen das größte staatliche Sozialexperiment der amerikanischen Geschichte, die Prohibition, wie auch die restriktive Einwanderungspolitik der zwanziger Jahre oder den rassistischen Ku Klux Klan.

Wo gehobelt wird, da fallen Spähne. Und so distanziert sich Goldberg en passant von Antirationalismus, missionarischem Eifer und Erweckungsrhetorik der selbst unter Republikaner unpopulären Regierung George W. Bush. Doch bleibt die Kriegs-, Lügen- und Videopolitik des noch amtierenden Präsidenten wie auch der Personenkult um Ronald – „Es ist Morgen in Amerika“ – Reagan insgesamt unterbelichtet. Dass die Nazis den antilibertären Krieg gegen das Rauchen begonnen hätten, Rudolf Hess an Homöopathie glaubte, Heinrich Himmler Tierschützer war und Adolf Hitler Vegetarier – diese Feststellungen dienen Goldberg indes als Beweise dafür, welch Geistes Kind die Linke ist. Und so trampelt er wie ein Elefant durch den Porzellanladen seriöser Geschichtsschreibung, konstruiert oberflächliche Parallelen und spielt Unterschiede herunter.

Nachdenklichkeit und Charisma

Er reiht sich damit ein in die lange Liste konservativer Revisionisten, die den amerikanischen Kulturkampf der vergangenen Jahre anheizten, indem sie etwa die Internierung japanischstämmiger Amerikaner während des Zweiten Weltkriegs verharmlosten oder die McCarthy-Ära rechtfertigten.

Wäre der Aufstieg Barack Obamas zum Zeitpunkt der Drucklegung schon absehbar gewesen, er hätte sich wohl in einem eigenen Kapitel wiedergefunden. Aber sein Erfolg war nicht zu ahnen, und so kommt es, dass der Senator aus Illinois heute weit schmeichlerische Vergleiche genießt, während Hillary Clinton sich von Jonah Goldberg als feministische Reinkarnation Gregor Strassers beschreiben lassen muss.

Kein Demokrat seit Präsident John F. Kennedy habe sich durch eine ähnliche Mischung aus Charisma und Nachdenklichkeit ausgezeichnet und verkörpere einen derartigen Neuanfang wie Barack Obama, schwärmen die „Historiker für Obama“, ein Zusammenschluss prominenter Geschichtswissenschaftler. Kaum vorstellbar, aus den Reihen des deutschen Historikerverbandes einen ähnlichen enthusiastischen Wahlaufruf zu hören. Chris Matthews, ein erfahrener Fernsehjournalist, gab gar zu Protokoll: „Ich habe noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Das ist größer als Kennedy. Das ist das neue Testament.“

Ein Patriotismus, der nicht peinlich ist

Natürlich hinkt der Vergleich mit John F. Kennedy. Wie auch das Bemühen John McCains, sich in der Tradition Ronald Reagans zu inszenieren, zeigt er jedoch, welch enorme Dynamik der Verweis auf die Vergangenheit entfalten kann. Zumal in den Vereinigten Staaten, der „vergesslichen Nation“ (Gore Vidal), wo mit Geschichte unbefangener umgegangen wird als hierzulande. So dient die kurze Kennedy-Ära heute als wirkungsmächtige Chiffre für Aufbruch, Gemeinsamkeit und einen Patriotismus, für den man sich nicht schämen muss.

Nicht Substanz, sondern Symbolik steht im Mittelpunkt solch historischer Analogien. Es geht um die Bedürfnisse derjenigen, die den Vergleich anstellen oder an deren politisches Gedächtnis appelliert wird. Das wusste die Regierung Bush, die den Irak-Krieg mantrahaft mit der Befreiung Europas von den Nazis verglich. Das weiß auch Hillary Clinton, die allerdings zu unrecht die Botschaft für ausreichend hielt, sie bewerbe sich um eine dritte Clinton-Amtszeit. Und das weiß Barack Obama. Der Mehrheit der Amerikaner scheint es jedoch egal zu sein, dass er für just jene Ziele steht, aus denen Jonah Goldberg ein faschistisches Programm zu konstruieren versucht.

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