Multikulturalismus - nicht Lösung, sondern Teil des Problems

zu Simon Green, Für einen modernen Multikulturalismus, Berliner Republik 1/2007

Simon Green ist zu widersprechen: Multikulturalismus ist nicht die Antwort auf Integrationsdefizite, sondern ein Teil des Problems. Man kann nicht schlechthin behaupten, die Integration in Deutschland sei gescheitert. Ob Vertriebene, Gastarbeiter aus Spanien und Portugal oder Russlanddeutsche, die in den neunziger Jahren zu uns kamen – viele Migrantengruppen leben heute gut integriert mitten in der deutschen Gesellschaft. Sie sprechen unsere Sprache, gehen einer Arbeit nach und bewahren gleichzeitig ihre kulturelle Identität. Probleme gibt es hingegen gerade dort, wo der von Green geforderte Multikulturalismus verwirklicht wurde.

Der Professor aus Birmingham meint, durch Multikulturalismus würden Spannungen zwischen der einheimischen Bevölkerung mit ihren Anpassungserwartungen und der Einwanderungsbevölkerung vermieden. Aber um welchen Preis? Dieses Nebeneinander hat zu Parallelgesellschaften geführt, in denen Menschen leben, die gerade darunter leiden, dass sich niemand ernsthaft für sie interessiert und niemand klare Rahmenbedingungen formuliert hat, welche Anpassungsleistungen die Aufnahmegesellschaft erwartet.

Die politische Linke hat immer wieder verlangt, Deutschland möge sich endlich zum Einwanderungsland erklären. Einwanderung bedeutet aber, sich dauerhaft auf ein Leben in der neuen Heimat einzulassen. Eine Anpassungsleistung an die Bedingungen der Mehrheitsgesellschaft ist dann zwingend notwendig. Wie sollen Kinder eine gute Perspektive haben, wenn ihre Familien sie nicht aus der multikulturellen Parallelwelt in die Aufnahmegesellschaft entlassen? In der Praxis muss es stattdessen heißen: Kinder auf Klassenfahrt gehen lassen, Mädchen die Freiheit einräumen, selbst über das Kopftuch zu entscheiden, Jungs zur Achtung vor dem anderen Geschlecht zu erziehen.

Was wird toleriert und was nicht?

Die Sprachkompetenz gerade derjenigen Migrantenkinder, die in Deutschland geboren wurden, geht deutlich zurück. Das darf uns nicht unbeeindruckt lassen, weil es einen inneren Zusammenhang gibt zu den gleichfalls gestiegenen Zahlen ausländischer Jugendlicher ohne Ausbildungsplatz. Die Spannungen, die Multikulturalismus heute vermeidet, weil er Anpassungsforderungen unterlässt, kommen übermorgen wegen mangelnder Perspektiven ganzer Einwanderergenerationen umso kraftvoller auf die Gesellschaft zu – wie in Frankreich schon jetzt.

Simon Green schreibt selbst, dass „erfolgreiche Integration eine klare Beschreibung dessen verlangt, was toleriert wird und was nicht“. Gleichzeitig kritisiert er die öffentliche Debatte um Kopftücher, fordert vorbehaltlose Einbürgerungen und moniert, dass in den Niederlanden Sanktionen erfolgen, wenn Ausländer die Angebote von Integrationsprogrammen nicht annehmen. Das passt alles nicht zusammen.

Eine konsequente Integrationspolitik formuliert klare Erwartungen an Einwanderer. Sie müssen die Sprache lernen. Sie haben unsere Gesetze und Grundprinzipien der Verfassung zu achten, besonders die Gleichberechtigung von Mann und Frau und das staatliche Gewaltmonopol. Und ihnen muss unsere Geschichte bewusst sein, einschließlich unseres besonderen Verhältnisses zu Israel. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass wir jungen Mädchen die freie Entscheidung überlassen, ob sie ein Kopftuch tragen oder nicht.

Keine Integration ohne eigenen Standort

Deshalb ist es eine Fehlentwicklung, dass selbst Islamisten die deutsche Staatsbürgerschaft haben, die – wie im Düsseldorfer Al Tawid-Prozeß – gleichzeitig erklären, für sie gelte nur die Scharia. Daher ist auch Greens Diskreditierung der Einbürgerungstests unberechtigt. Die deutsche Staatsbürgerschaft kann nur am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses stehen. Sie ist gerade keine Bedingung dafür, dass er erfolgreich verläuft.

Die Große Koalition leitet mit der Novellierung des Zuwanderungsgesetzes einen Paradigmenwechsel in der Integrationspolitik ein. Wir bauen die Integrationsangebote umfassend aus, verlangen von Einwanderern aber gleichzeitig sprachliche Grundkenntnisse vor dem Familiennachzug. Wie in den Niederlanden wird es auch bei uns Sanktionen für Integrationsverweigerer geben. Meine Erfahrung aus Gesprächen der jüngsten Zeit ist, dass immer mehr Einwanderer kein multikulturelles Nebeneinander, sondern auf der Grundlage allgemeingültiger Prinzipien ein integriertes Miteinander wollen. Da berichtet die algerische Stadtteilmutter aus Berlin-Neukölln, wie froh muslimische Frauen sind, wenn sie Integrationskurse besuchen und dabei ihrem Alltag ewas entfliehen können. Da beklagt die iranische Religionsprofessorin, der interreligiöse Dialog scheitere häufig daran, dass die Christen nicht richtig wüssten, was sie eigentlich glaubten. Toleranz setzt einen eigenen Standort voraus. Wo sie ihn ersetzt, muss Integration scheitern.

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