Moderne elektronische Kampagnen und die politische Kommunikation in der Mediengesellschaft

Organisationswandel und Kommunikationsmanagement sind Kernaufgaben, denen sich die politischen Akteure stellen müssen

1. Der Mythos "elektronische Demokratie"

In der Politik scheint es derzeit wie in der Wirtschaft zu sein: Die Veränderung eines technischen Parameters treibt Spekulanten wie kleinbürgerliche Besitzstandsmehrer in die gleiche Richtung. Das Netz, die Netzkommunikation - alles new, alles in der Veränderung. New economy, new politics?

In der Politik melden sich die Denker aus den späten 60er Jahren zurück, zum Teil ergraut, zum Teil in neuem Gewand, und zum Teil noch wirklich jung. Die "elektronische Demokratie", vormals hieß es: "Computer-Demokratie", wird wieder ausgerufen. Und in der "elektronischen Demokratie" wird alles besser: Mehr Wissen und mehr Wissende, mehr Beteiligung und Beteiligte, mehr Dialog statt einseitiger Informationsvermittlung, bessere Planung dank mehr und besserer Informationen. Es melden sich nun auch die Skeptiker wieder, diejenigen, die von der gespaltenen Gesellschaft, von den Wissenden und den Nichtwissenden, fabulieren oder kulturkritische Anmerkungen machen.

Beide Lager bieten wenig Neues. Wieder einmal ist die Debatte technikzentriert, denn mehr Information, bessere politische Information, ein Mehr an Beteiligung und somit Demokratie sollte uns bereits die Verkabelung, sollten uns die Computer, gebracht haben. So hieß es in den Prognosen der 60er und 70er Jahre. Und auch damals waren diese Ideen nicht neu, ich erinnere an die Vorstellung von Brecht, aus dem Radio ein Interaktionsmedium für die Massen zu machen. Hat sich durch Radio, Fernsehen, Computer etwas verändert? Ja, natürlich, sehr viel sogar, aber relativ wenig bezogen auf jene Vorstellungen, die von einer Gesellschaftsveränderung durch Partizipation ausgingen.

Neue Techniken und technologische Möglichkeiten vermögen Veränderungen auszulösen, ohne jeden Zweifel. Doch die vorliegenden Erfahrungen und Befunde mit dem Netz und der politischen Kommunikation sind eher ernüchternd. Die mythisch anmutenden Veränderungen basieren auf naiven Übernahmen von Einzelerfahrungen, vor allem aus den USA. Dabei werden wesentliche Unterschiede übersehen. Die Hoffnungen existieren aber vor allem, weil die Marketingstrategien von Hard- und Software-Herstellern auf eine Politik und ein Politikkonzept treffen, das die Akteure beibehalten wollen. Die Optimierung mittels Technik kommt ihnen wie gerufen, um sich den Anschein von Modernität zu geben, um Wandel zu suggerieren.

Die politische Kommunikation mittels Netz bietet in der Tat Chancen, erfordert aber einen Umbau sozialer Institutionen, eine Reform politischer Institutionen und ein neues, prozeßhaftes, offeneres - ein prozedurales - Denken in poltischen Planer- und Entscheiderzirkeln. Der gesamte politische Prozeß mit seinen Institutionen und Organisationen muß, wenn es Reformen geben soll, auf den Prüfstand gestellt werden. Damit würden aber bestehende ideologische Bastionen wie soziale Macht-Konstellationen in Frage gestellt werden. Politischer Prozeß und politische Organisationen sind neu zu denken, dann kann auch die Netzkommunikation ihre Dienlichkeit erweisen.

2. Mediengesellschaft

Das Medien- und Kommunikationssystem - und damit ist hier nun keineswegs nur das Netz gemeint - wird zur zentralen Infrastruktur der modernen Gesellschaft. Von "Mediengesellschaft" kann gesprochen werden, weil
- die publizistischen Medien sich quantitativ immer mehr ausbreiten, und qualitativ steigern
- sich die Medien anhaltend weiter ausdifferenzieren,
- die Vermittlungsleistung von Informationen durch Medien sich enorm beschleunigt hat,
- neben die herkömmlichen Medienunternehmen andere Akteure als publizistische relevante Vermittler treten,
- sich neue Medientypen herausgebildet haben,
- Medien immer engmaschiger die gesamte Gesellschaft durchdringen,
- Medien aufgrund ihrer hohen Beachtungs- und Nutzungswerte gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit erlangt haben und Anerkennung beanspruchen,
- sich die Medien letztlich zu gesellschaftlichen Institutionen entwickeln.

Medien werden mehr und mehr zur Voraussetzung für die Informations- und Kommunikationspraxis anderer Akteure. Pointiert formuliert: Ohne (publizistische) Medien keine Kommunikation zwischen gesellschaftlichen, ökonomischen Organisationen wie zwischen Organisationen und dem allgemeinen Publikum wie mit den Bürgern. Die Medialisierung von ökonomischen, sozio-kulturellen und politischen Austauschbeziehungen stellt an alle Akteure, vor allem aber an jene des intermediären Sektors wie Verbände, Kirchen, Parteien und Gewerkschaften neue Anforderungen. Diese Lektion gilt es erst noch zu lernen, sind und waren diese gesellschaftlichen Akteure doch bislang allgemein akzeptiert und in der Medienwelt privilegiert - sowohl als Besitzer von Medien als auch als Beteiligte am öffentlichen Rundfunk. Damit ist nun definitiv Schluß. Privilegien gibt es im Netz nicht, zumal dann nicht, wenn hinter dem Auftritt erkennbar Werbe-, PR- und Marketingziele dominieren. Persuasive Kommunikationsabsichten werden erkannt. Die Glaubwürdigkeit beispielsweise von Partei-Informationen ist bekanntlich gering. Die Parteien selbst müssen anders werden, wenn sie in der "Mediengesellschaft" Glaubwürdigkeit und Vertrauen erzielen wollen.

Nicht durch technische Veränderungen, sondern bedingt durch den sozialen Wandel, der zu einer sich unaufhörlich differenzierenden Gesellschaft führt, haben die traditionellen Institutionen an ideologischer Relevanz und kommunikativer Bedeutung eingebüßt. Die herkömmlichen Intermediäre stehen auf tönernen Füßen, suchen verzweifelt nach ihrer sozialen (Mitglieder-)Basis, müssen sich mit Wechselwählern und Mitgliederverlusten herumplagen, müssen kleine und kleinste soziale Gruppen individuell ansprechen und zugleich die allgemeine Öffentlichkeit erreichen können. Das überfordert sie, wie es auch ökonomische Akteure überfordern würde. Also reagieren sie: mit einfachen Botschaften, mit attraktiven Führungspersonen, mit der Kreation von Images und "brands". The rise of the candidate centered politics - das ist bisher die Antwort auch der westeuropäischen politischen Parteien auf den Wandel hin zur "Mediengesellschaft". Doch das reicht nicht aus, denn charismatische Herrschaft kann sich rasch erschöpfen, zumal dann, wenn sie von den Medien kreiert wurde. Imagekreationen via Medien machen abhängig, machen verletzlich, und grenzen den Handlungsspielraum ein. Und Abhängigkeit von Personen kann für das Überleben und die Entwicklung von Organisationen wiederum problematisch werden.

Dem Wandel kann nicht allein mit personellen Angeboten begegnet werden. Insbesondere Parteien haben sich zu lernenden Organisation zu entwickeln, sie müssen zugleich Netzwerkqualitäten erlangen. Aber: Die Parteien als intermediäre Organisationsformen waren und sind bereits Netzwerkorganisationen, sie müssen also nicht erst zu solchen werden. Sie müssen allerdings lernen, daß es das bestehende intermediäre Gefüge mit seinen gesicherten ideologischen Traditionen, mit den herkömmlichen und gut bekannten "Bündnispartnern" im Vorfeld wie auch im politisch-administrativen System nicht mehr gibt. Sie müssen lernen, immer wieder Partner für Projekte zu finden, sie müssen lernen, ihre Umwelt wirklich offen zu beobachten und den Austausch zu wagen.

In der sich rasant wandelnden Gesellschaft müssen auch politische Organisationen zum Informations- und Kommunikationsmanagement übergehen, sie müssen beobachten und auswerten können. Offenheit und Geschlossenheit muß zugleich gelingen. Offenheit und Geschlossenheit, vielfach als Widerspruch empfunden, gilt es zum allgemein anerkannten Prinzip werden zu lassen. Das nenne ich: die Fähigkeit zum Kommunikationsmanagement ist auszubilden.

Und Parteien müssen auch klar kommunizieren können, um sich durch Angebote gleichsam selbst zu stabilisieren. Sie müssen sich am Wissens- und Deutungsmarkt der Gesellschaft, und den repräsentieren die allgemeinen Medien, klar positionieren.

Die Arbeit mit den Medien bleibt das Kerngeschäft. Und dieses Kerngeschäft wird schwieriger: Die Medien haben an Autonomie, zumindest vom politischen System und seinen Akteuren, gewonnen. Und die Politik hat das ja auch gewollt - Deregulierungspolitik hat sie systematisch betrieben. Und nun muß sie lernen, mit paid media umzugehen, eigenständig Informations- und Kommunikationsprozesse zu organisieren, mal mit und mal ohne mediale Stützung. Das alles wird aufwendiger, teurer, erfordert neue Kompetenzen und neue Qualifikationen auf Seiten der Akteure wie der Organisationen. Aber nicht nur das: Politik muß die kommunikative Dimension ihres Handels stärker berücksichtigen, und zwar als Staats-, Partei- wie auch Verwaltungshandeln.

3. Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft

Die Rahmenbedingungen für die politische Kommunikation haben sich gewandelt: Die Medien sind insgesamt kaum noch mit den gesellschaftlichen Organisationen, wie Teile der Presse mit politischen Parteien, verkoppelt. Medien agieren zunehmend eigenständig und in inhaltlicher oder in ideologischer Hinsicht "neutral". Sie organisieren weniger die Bürger für die gesellschaftlichen Gruppen und damit zugleich für das politische System, sondern sie organisieren vorrangig Kaufkraftgruppen für die Wirtschaft.

Mit dem relativen Autonomiegewinn der Medien vom gesamten politischen System nimmt die Modulation der Medien durch das Wirtschaftssystem zu. Es steigt die Konkurrenz zwischen Anbietern und Angeboten auf dem größer werdenden Medienmarkt um öffentliche Aufmerksamkeit, Publikumsbindung und Werbeeinnahmen. Es bildet sich ein hochgradig kompetitives Mediensystem heraus, in dem die Selektivität der Informationsauswahl und -darstellung zunehmend weniger durch medienexterne als vielmehr durch medieninterne Kriterien bestimmt ist. Die Selbstbezüglichkeit im Mediensystem nimmt zu. Politik und politische Akteure müssen sich den Produktions- und Vermittlungslogiken anpassen oder selbst versuchen, als Anbieter zu agieren. Die Chancen für letztere sind aber nicht groß, denn als ideologisch festgelegte Organisationen verfügen Parteien über keinen großen Unabhängigkeits- oder Vertrauensvorschuß.

Nun wäre es allerdings verkürzt, davon auszugehen, daß politische Organisationen wie Parteien sich allein auf Medien in ihrer Tätigkeit konzentrieren könnten. Sie können dies nicht, weil sie sich damit in eine Abhängigkeit von medialen Auswahl-, Vermittlungs- und Präsentationslogiken begeben würden, die sie in ihrer Substanz aber gefährden. Erfahrungen mit Organisationen wie Greenpeace zeigen gerade, daß die Bindung an Medien, mit deren Einsatz die benötigen Ressourcen beschafft werden, keine dauerhafte Existenz garantiert. Das von den Medien kreierte Organisationsimage wäre insbesondere für politische Parteien, die sich ja nicht nur in einem Politikfeld präsentieren und zudem zu Aushandlungsprozessen verpflichtet sind, problematisch. Parteien können also nicht wie Akteure der Neuen Sozialen Bewegungen agieren.

Politische Organisationen müssen, wenn sie mehrheitsfähig bleiben wollen, zu einem gewissen Maß an eigenständiger Informations- und Kommunikationsleistung fähig sein und bleiben - sie müssen eigenständig in der Lage sein, die Gesellschaft zu durchdringen. Die moderne Gesellschaft, die von sich beständig wandelnden netzwerkartigen Verbindungen geprägt ist, fordert die in ideologischen Milieus groß gewordenen Parteien in besonderer Weise heraus. Diese Herausforderung können sie bestehen, indem sie ihre Organisation überprüfen und neue Formen der "festen" wie der "flexiblen" Partizipation schaffen.

4. Elektronische (Wahl-)Kampagnen

Politische Akteure, die durch Wahlen Einfluß und Macht anstreben, sehen sich einem hochdifferenzierten, nach unterschiedlichen Marktlogiken agierenden Mediensystem gegenüber. Das gesamte mediale Spektrum gilt es zu erreichen, wenn einzelne soziale Gruppen wie auch alle Wähler erreicht werden sollen. Medieneinsatz ist aber unter den neuen ökonomischen Bedingungen nicht kostenlos oder kostengünstig zu haben. Andererseits besitzen politische Organisationen nicht das Potenzial und die Ressourcen, eigenständig medial zu agieren: Das ist ihnen allein aufgrund ihrer Interessenleitung in sozial wirksamer Hinsicht nicht möglich. Wer an allgemeinen Wahlen teilnimmt und Legitimation sucht, der muß sich der Prüfung durch "unabhängige" Dritte stellen. Das nicht allein aufgrund normativer demokratischer Grundsätze, sondern auch aufgrund der vorherrschenden sozialen Praxis: Zustimmung kann nur erhalten, wer sich allgemein öffentlich präsentiert, sichtbar agiert und damit überprüfbar bleibt. Politische Akteure und politische Prozesse bedürfen konstitutiv der Betrachtung, Reflexion und Bewertung durch Dritte - das sind derzeit die Journalisten.

Massenmedien, die zeitgleich viele erreichen und die ständig steigende Komplexität reduzieren können, bleiben zentral. Nicht nur der letzte US-amerikanische Wahlkampf hat die relativ große Bedeutung des Mediums Fernsehens unter Beweis gestellt. Es geht zu Zeiten der Wahlen um die allgemeine öffentliche Sichtbarkeit, um überhaupt wahrgenommen zu werden. Wahlkommunikation ist zugespitzte, werblich angelegte Kommunikation, die möglichst alle erreichen muß. Differenzierte Angebote oder Dialoge mag (und muß) es geben, sie sind und bleiben aber nur in Segmenten und in bestimmten Phasen relevant. Wer Aufmerksamkeit will, der muß in der Lage sein, auf sich aufmerksam machen zu können, und der muß zunächst Anschlußkommunikation in den Medien erzeugen können. Die Massenkommunikation bleibt zentral.

5. Schlußbemerkung

In der "Mediengesellschaft" müssen sich politische Akteure und politische Organisationen wandeln: Sie müssen Politik mehr als bislang als prozedurale Angelegenheit begreifen, an der sie mehr Akteure und auch Einzelpersonen als bislang üblich teilhaben lassen müssen. Politik muß sich also gleichsam öffnen, neue Verfahren der Beteiligung anderer durch Organisationswandel ermöglichen und zugleich über und mittels der Medien gesellschaftliche Dialoge organisieren. Die soziale Durchdringung der Gesamtgesellschaft gelingt nur dann, wenn allgemein öffentlich agiert, also informiert wie auch kommuniziert, wird. Das Netz und die Netzkommunikation ist dabei ein Element im kommunikativen und informatorischen Bereich. Die politische Organisation muß aber die sozialen Bedingungen für einen sinnvollen Netzeinsatz erst entwickeln, das heißt die politische Organisation muß sich ändern, muß dazulernen, muß sich öffnen, muß neue Beteiligungsmöglichkeiten schaffen. Aber zugleich müssen politische Organisationen in der Lage sein, die für politische Prozesse notwendige Geschlossenheit zu gewährleisten. Organisationswandel und Kommunikationsmanagement - das sind die Kernaufgaben.

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