Mobile profitieren, Immobile verlieren

Zur Verteilungswirkung der "modernen Wirtschaftspolitik"

Die Bundestagswahl hatte die SPD noch als Partei des kleinen Mannes gewonnen. Oskar Lafontaine wollte die Umverteilung von unten nach oben umkehren. Der damalige SPD-Chef sah fast so etwas wie eine Verschwörung des internationalen Kapitals am Werk. Die Globalisierung diene nur dazu, den Sozialstaat abzubauen. Die Staaten würden in einen desaströsen Wettlauf um Steuersenkungen getrieben. Sozial- und Umweltstandards, Steuern und Löhne befänden sich in einer von der Wirtschaft induzierten Abwärtsspirale. Das war der Terror der Ökonomie.

Gewiß, Schröder hat davon nie viel gehalten. Seine Erkenntnis, es gebe nur eine moderne und eine unmoderne Wirtschaftspolitik, keine sozialdemokratische, ließ erwarten, daß mit ihm ein billiger Protektionismus nicht zu machen sei.

Doch daß die SPD die große Kapitalgesellschaft zu ihrem liebsten Kind auserwählt, damit hatte wohl niemand gerechnet. Die Liste der Belege ist lang: So begünstigt die Unternehmensteuerreform die Großunternehmen massiv. Sie zahlen nur 25 Prozent Körperschaftsteuer und erhalten milliardenschwere Anreize für Sonderausschüttungen. Gewinne aus Beteiligungsverkäufen dürfen sie neuerdings steuerfrei einstreifen. Die Arbeitnehmer und der selbständige Mittelstand werden dagegen bei der Lohn- und Einkommensteuer diskriminiert. Für sie bleibt es bei hohen Steuersätzen. Bemerkenswert auch hier, daß der Spitzensteuersatz auf 42 Prozent sinkt, was für die Topverdiener günstiger ist als für den breiten Mittelstand. Denn wer durch eine Gehaltserhöhung in eine höhere Progressionsstufe rutscht, verliert schnell die Vorteile der Tarifsenkung.

Bei der Rentenreform wird ein zusätzlicher privater Versicherungsbeitrag eingeführt, der von den Arbeitnehmern vollständig zu tragen ist. Die Arbeitgeber werden aus der Partität entlassen. Die Senkung der Rentenbeiträge über die Ökosteuer trifft in erster Linie die Verbraucher; für die Industrie gibt es Ausnahmeregeln. Die indirekten Steuern werden erhöht und belasten die Familien, die direkten gesenkt und entlasten die Betriebe.

Die rot-grüne Regierung hat sich auf die Argumentation der Konzerne eingelassen. Warum wird der Spitzensteuersatz auf 42 Prozent gesenkt? Weil man vermeiden will, daß die flexiblen Bankanalysten, Unternehmensberater und Softwareexperten nicht nach Frankfurt oder München kommen, sondern lieber in London oder Los Angeles anheuern.

Dieselbe Philosophie steckt auch hinter der rot-grünen Bevorzugung der Aktie und des Kapitalvermögens. Im Zuge der Unternehmensteuerreform werden Dividenden entlastet. Eichel verzichtet per saldo auf 1,1 Milliarden Mark. Und auf EU Ebene kämpft er für eine einheitliche europäische Mindestbesteuerung von Kapitalerträgen. Fernziel ist eine Abgeltungssteuer von zirka 20 Prozent. Der Kapitalist muß dann seine Erträge nicht mehr mit dem persönlichen Grenzsteuersatz versteuern, sondern zahlt nur noch pauschal 20 Prozent - während das Lohneinkommen weiterhin der Progression unterliegt.

Die Frage ist, ob diese Politik nicht denen gibt, die von der Globalisierung ohnehin profitieren, und jene im Regen stehen läßt, die zu wenig haben, um überhaupt flexibel reagieren zu können. So errechnete das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, daß die 30 Großkonzerne im Deutschen Aktienindex (Dax) durchschnittlich 37 Prozent Ertragssteuern zahlen - für die kleinen und mittleren Unternehmen lag die Quote bei 44 Prozent. Die Großen können ihre Steuerlast durch Gewinnverlagerungen ins Ausland reduzieren, die Kleinen haben dazu kaum Möglichkeiten.

Im Grunde geht es um den Kampf "Flexible gegen Inflexible" und "Mobile contra Immobile". Die Diskriminierung der Unbeweglichen läßt sich am besten an den Nachteilen ablesen, welche die Immobilien gegenüber der Aktie in den letzten Jahren erfahren mußte. 1997 kletterte die Grunderwerbsteuer von zwei auf 3,5 Prozent - ein Anstieg um 75 Prozent. 1999 wurde die Spekulationsfrist für steuerfreie Immobilienverkäufe von zwei auf zehn Jahre verlängert und die Verlustverrechnung für Vermieter eingeschränkt. Die rot-grüne Koalition arbeitet daran, Immobilien künftig höher bei der Grund- und Erbschaftsteuer zu bewerten. Bislang werden sie nach dem niedrigen Einheitswert versteuert, künftig sollen sie mit 80 statt durchschnittlich 53 Prozent des Verkehrswertes angesetzt werden. Dadurch wird bei der Erbschaftsteuer ein höherer Betrag fällig, auch wenn der Freibetrag angehoben werden soll. Nachgedacht wird auch immer noch über den Planungswertausgleich bei Grundstücken: Steigt der Wert von Grund und Boden, weil die Gemeinde den Bebauungsplan ändert, soll ein Ausgleichsbetrag fällig werden.

Der Trend ist eindeutig: Konzerne, Aktionäre und Topverdiener sind die Gewinner, Mittelstand, Hausbesitzer und Durchschnittsverdiener die Verlierer. Man kann dagegen halten, daß das Immobilienvermögen lange genug überreichlich subventioniert wurde. Noch nie machte der Fiskus mit den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ein Plus. Aber ist ausgerechnet das Zeitalter der Globalisierung der richtige Zeitpunkt, um sich die Immobilen und Unflexiblen vorzuknöpfen? Rot-Grün geht dabei freilich keinen deutschen Sonderweg, sondern folgt einem weltweiten Trend. Der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften Merton Miller meint: "In der Globalisierung gilt für jeden Finanzminister die Devise: Hol dir das Geld von den Leuten, die nicht entkommen können." Wer Immobilienvermögen hat, der gehört ebenso dazu wie der Mittelbetrieb und der ältere Angestellte mit schlechten Englischkenntnissen. Allein, die Steuervermeidung ist beim scheuen Aktienkapital viel leichter möglich als bei Wohnbesitz. Immobilien lassen sich nicht nach Luxemburg transferieren, unterliegen aber dem Planungsmonopol der Kommunen und können ständig mit Erschließungskosten, Gebühren, höheren Steuern belastet werden - bis zur Bodenwertabgabe.

Es ist klar, daß die flexiblen, mobilen, gut ausgebildeten und kapitalkräftigen Eliten besser mit der weltweiten Konkurrenz fertig werden als der Durchschnittsbürger. Vieles, was standortpolitisch gemacht wird, mag vernünftig und auch unvermeidlich sein. Doch an einer innnovativen Strategie, die Schwächeren zu stärken, fehlt es noch.

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