Mit grünem Auge gerade noch mal davongekommen

In Rheinland-Pfalz ging die sozialdemokratische Wahlkampfstrategie, ganz auf den populären Landesvater zu setzen, diesmal nicht mehr auf

Die Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz konnten in den vergangenen zwanzig Jahren auf Landesebene triumphale Siege feiern, und so war das Ergebnis der SPD mit ihrem Ministerpräsidenten Kurt Beck bei der Landtagswahl am 27. März zunächst ein Schock. Zwar hatte man nicht damit gerechnet, wie 2006 eine absolute Mehrheit im Mainzer Landtag zu erringen. Aber der Absturz von 9,9 Prozentpunkten auf nur noch 35,7 Prozent, auf das schlechteste Ergebnis seit 1959, ließ sich mit der über vier Legislaturperioden gewachsenen Selbstwahrnehmung als erfolgreiche Landespartei nur schwer in Einklang bringen.

Der Schock wurde für die SPD allerdings im Laufe des Wahlabends und in den Wochen danach etwas abgemildert, als man die neuen Kräfteverhältnisse genauer ermessen konnte. Wie in Baden-Württemberg waren auch in Rheinland-Pfalz die Grünen die eigentlichen Gewinner. Mit 15,4 Prozent hatten sie ein fulminantes Wahlergebnis erzielt – und das als außerparlamentarische Opposition. Für ein rot-grünes Bündnis, zu dem sich die Grünen schon früh bereit erklärt hatten, ergab dies eine solide Mehrheit von 51,1 Prozent. Der künftigen Regierungsmehrheit von 60 Sitzen im Parlament stehen nur die 41 Oppositionsmandate der CDU gegenüber.

Die Union unter ihrer Spitzenkandidatin Julia Klöckner schnitt mit 35,2 Prozent nur mäßig ab. Lediglich bei der Landtagswahl 2006, damals noch mit dem spröden Christoph Böhr, war das Ergebnis mit 32,8 Prozent noch schlechter ausgefallen. Und die FDP, langjähriger Regierungspartner der SPD im Land, wurde mit 4,2 Prozent sang- und klanglos aus dem Landtag gekippt. Union und Liberale zusammen errangen lediglich 39,4 Prozent der Stimmen. Die Linkspartei, die die Fünf-Prozent-Hürde bei den letzten beiden Bundestagswahlen überwunden hatte, kam nicht über 3,0 Prozent hinaus.
So waren die Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz am Ende noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen. Sie vermochten sich trotz massiver Verluste an der Regierung zu halten und können nun mit den Grünen ein Bündnis eingehen, das für einen erheblichen Teil der sozialdemokratischen Anhängerschaft und auch in breiten Mitgliederkreisen schon seit langem als Wunschkoalition gehandelt worden ist. Der nunmehr vierte Versuch der CDU, ihre 1991 verlorene landespolitische Hegemonialposition zurückzugewinnen, ist gescheitert.

Dennoch sollte für die rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten, aber auch für die SPD im Bund, nach dieser Wahl eine Frage auf der politischen Tagesordnung bleiben: Weshalb hat die Sozialdemokratie auch in Rheinland-Pfalz nicht von den Schwächen der Union und der FDP auf der Landes- und Bundesebene profitieren können?

Die FDP wird überall weitgehend aufgerieben

Man sollte zunächst einen Blick auf die bundespolitische Ausgangssituation werfen; denn die Landtagswahl am 27. März war auch in Rheinland-Pfalz Teil einer erbitterten Konfrontation der drei Berliner Regierungsparteien CDU, CSU und FDP mit den Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linkspartei. Diese Konfrontation, die von den Unionsparteien und der FDP auf Bundesebene immer ganz gezielt als Auseinandersetzung zwischen einem eher bürgerlichen und einem eher linken Lager inszeniert worden ist, setzte im Frühjahr 2010 mit dem Sinkflug der FDP in den bundesweiten Umfragen ein, fand dann einen ersten Kristallisationspunkt in der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und wird sich, wenn nicht alles täuscht, im weiteren Verlauf des Superwahljahres 2011 fortsetzen.

Bei diesem Kampf zwischen den Lagern zeichnen sich einige durchgängige Muster ab, die auch bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz sichtbar wurden: Die FDP wird weitgehend aufgerieben. Die CDU kann sich in den Umfragen von ihrem sehr schlechten Bundestagswahlergebnis 2009 nicht wirklich erholen und dümpelt bei 35 Prozent – sie verlor ihre Ministerpräsidenten in Düsseldorf, Hamburg und Stuttgart, und sie verlor bei fast allen Landtagswahlen. Noch größerer Schaden in den Ländern bleibt der CDU bislang durch die Koalitionen mit der SPD erspart, sonst träfe in der Tat der spöttische Hinweis der Neuen Zürcher Zeitung zu,  christdemokratische Ministerpräsidenten seien wohl vom Aussterben bedroht.

Die Berliner Oppositionsparteien schlagen sich in diesem inszenierten Lagerwahlkampf höchst unterschiedlich. Eine Ursache lautet, dass sie sich selbst – im Gegensatz zum Regierungslager – nicht als Lager begreifen können oder wollen. Vor allem das Verhältnis zwischen der SPD und der Linkspartei ist immer noch von Spannungen und Unwägbarkeiten geprägt; jede Annäherung droht über die nicht allzu aufregenden programmatischen Differenzen hinaus jeweils heftige innerparteiliche Konflikte zu entfachen.

Der Verlauf des vergangenen Jahres war für die SPD wie für die Linke enttäuschend, aber aus unterschiedlichen Gründen. Während die öffentliche Position der Linkspartei durch den Rückzug Oskar Lafontaines und die Führungsquerelen gewissermaßen auf der personellen Ebene lädiert wurde, hat die Schwäche der SPD eine strategische Dimension: Sie hat im zurückliegenden Jahrzehnt die traditionelle Führungsrolle und damit auch die Mobilisierungsfähigkeit auf der zentralen Konfliktdimension der deutschen Politik zwischen Wohlfahrtsstaatlichkeit und Marktorientierung verloren. Die Katastrophe der Bundestagswahl 2009 hat dies nicht nur den sozialdemokratischen Anhängern, sondern auch einem breiten gesellschaftlichen Spektrum deutlich gemacht. Aber auch auf der zweiten, eher kulturellen Konfliktachse, die sich zwischen libertärer, teilhabe- und umweltorientierter Politik einerseits und autoritärer und an alten Gesellschaftstraditionen ausgerichteter Politik andererseits aufspannt, übt die SPD keine Meinungsführerschaft aus. Die Führungsrolle liegt hier bei den Grünen. Der Aufstieg der Grünen seit der Bundestagswahl hängt sowohl mit dieser prinzipiellen strategischen Schwäche der SPD als auch mit einem tendenziellen Bedeutungszuwachs „grüner Themen“ wie Klimawandel, Nahrungsmittelskandalen oder Islam-Hysterie zusammen. Erst vor diesem Muster langfristig angelegter Themenkorridore und politischer Führungsrollen entfaltete die Umwelt- und Nuklearkatastrophe von Fukushima ihre Schubkraft.

Die SPD verliert als Teil des „defekten“ Lagers

So entsprach das Ergebnis der SPD in Rheinland-Pfalz den Enttäuschungen aus den vorausgegangenen Wahlen; mit der Ausnahme Hamburg hatte man stets als Teil des „defekten“ linken Lagers an Boden verloren. Die Grünen hingegen errangen als eindeutige Meinungsführer im umweltpolitischen und libertären Konfliktfeld einen klaren Sieg.

Natürlich spielten neben den bundespolitischen Rahmenbedingungen auch die landespolitischen Konstellationen eine wichtige Rolle. Allerdings waren sie ganz anders als vor fünf Jahren. Damals fand die Landtagswahl in der Windstille der Großen Koalition statt. Diesmal wurde sie von dem Lagerszenario, der Dramatik von Fukushima und den Verwirrungen um den Schwenk der schwarz-gelben Bundesregierung in der Frage des Atomausstiegs durchdrungen. Dennoch versuchten beide großen Parteien in Rheinland-Pfalz, ihre Wahlkämpfe landespolitisch anzulegen. Aus Sicht der CDU war das durchaus sinnvoll, schließlich hatte man in den zurückliegenden Wahlen unter dem Lagerszenario stets verloren. Und auch die landespolitische Akzentuierung des SPD-Wahlkampfes lag angesichts der strategischen Schwäche der Bundespartei nahe. Kurt Beck hatte sich zwar – ganz gegen seine sonstige Gewohnheit – in der Endphase des Wahlkampfes auf Bundesebene als Schlichter bei der Festlegung des Arbeitslosengeld II-Satzes eingebracht. Jedoch musste er erkennen, was seit 2003 gilt: Kein Sozialdemokrat kann mit Hartz IV einen Blumentopf gewinnen.

Bei den großen Konflikten fehlt der SPD das Profil

Die SPD setzte somit einmal mehr auf die parteiübergreifende Popularität des Ministerpräsidenten. Die CDU mit ihrer Spitzenkandidatin Julia Klöckner versuchte, den Popularitätsbonus Becks zu erschüttern mittels steter Polemiken gegen seine Amtsführung und durch Kritik an zwei umstrittenen Projekten, dem Freizeitpark am Nürburgring und einer Hotelsanierung in der Pfalz. Eine programmatische Zuspitzung, wie sie Beck und der SPD im Jahr 2001 mit dem Thema Ganztagsschule so beispielhaft gelungen war, wurde diesmal nicht entwickelt. Stattdessen präsentierte die SPD ein halbes Dutzend landespolitischer Projekte, deren Bezug zu Becks politischem Profil und deren mobilisierende Wirkung allerdings nicht immer klar zutage traten. Dennoch zeigen die Umfragen, dass sowohl die Beliebtheit Becks als auch die allgemeine Zufriedenheit mit der sozialdemokratischen Führungsrolle in Rheinland-Pfalz das Aufkommen einer breiten Wechselstimmung verhinderten. Die Wähler sahen die Alleinregierung der SPD sehr wohl kritisch, aber verschoben die Akzente lediglich innerhalb des Lagers. Der Aufschwung der Grünen auch auf Landesebene hatte sich lange angekündigt und wurde von Fukushima nun noch einmal verstärkt. Die Bilanzen der Wählerwanderungen zeigen für die Grünen Zugewinne von allen Seiten, vor allem von der SPD und Kurt Beck, die 2006 noch starken Zulauf von grünen Anhängern erhalten hatten.

Die CDU ist seit dem Wahlabend bemüht, ihr Ergebnis als großen Erfolg zu feiern, was angesichts der Schwächung des Oppositionslagers im Mainzer Landtag ein wenig angestrengt wirkt. Gleichwohl ist es der CDU gelungen, zumindest einen Teil der früheren Beck-Wähler aus dem Unionslager und einen größeren Teil der zur FDP abgewanderten Anhänger zurückzugewinnen. Dieser Rückfluss zur CDU, aber auch die Ausführungen zum Atommoratorium von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle, der zugleich Landesvorsitzender der rheinland-pfälzischen FDP ist, schoben die Liberalen aus dem Landtag.
Unter den Eindrücken der Katastrophe von Fukushima und  dess aggressiven Wahlkampfes der CDU bröckelte also ein großer Teil der vormals über die Partei- und Lagergrenzen hinaus wirksamen Popularität Kurt Becks ab. Die sozialdemokratische Wahlkampfstrategie, ganz auf den Landesvater zu setzen, ging diesmal nicht auf: Landesväter haben es in dicker Luft schwer.

Was sind die Lehren aus Rheinland-Pfalz? Für die SPD in Rheinland-Pfalz bietet die Koalition mit den Grünen die Chance, neue programmatische Impulse zu empfangen und Landespolitik erstmals als Teil eines sozialen, ökologischen und auf Partizipation ausgerichteten Lagers mit einem klaren Bekenntnis zu wirtschaftlicher Modernisierung zu entwickeln – eines Lagers, das in den letzten zwanzig Jahren deutlich stärker geworden ist und diesmal das schwarz-gelbe Lager eindeutig geschlagen hat. Freilich macht die Landtagswahl auch deutlich, dass Etappensiege in den Ländern noch keinen Aufbruch der SPD auf Bundesebene verheißen. Im Gegenteil: Dass die SPD in beiden großen Konfliktfeldern der deutschen Politik seit langem keine dynamische Führungsrolle mehr spielen kann, ist bei Wahlen auf allen Ebenen eine schwere Hypothek. In Rheinland-Pfalz ist es noch einmal gut gegangen: Man ist mit einem grünen Auge davongekommen. «

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