Mit falschen Anreizen ist keinem gedient

zu Günter Baaske, Jeder wird gebraucht, Berliner Republik 1/2007

Unter dem Titel „Jeder wird gebraucht“ wirbt Günter Baaske in Heft 1/2007 der Berliner Republik für eine „vorsorgende“ sowie „mitfühlende und solidarische Arbeitsmarktpolitik“. Als wesentliche Elemente einer solchen Neuausrichtung identifiziert der Autor erstens verstärkte bildungspolitische Anstrengungen jenseits der Arbeitslosenversicherung und des Sozialgesetzbuches, zweitens mehr persönliche Beratung (Stichwort „Profiling“) und drittens einen ehrlichen zweiten Arbeitsmarkt, für all diejenigen, „deren Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt [...] als sehr klein einzuschätzen sind“. Wie das konkret gelingen könnte, beschreibt Baaske am Beispiel des Projektes „Bürgerarbeit“ in Bad Schmiedeberg (Sachsen-Anhalt).

Natürlich darf sich Arbeitsmarktpolitik nicht auf die Bewältigung aktueller Probleme reduzieren, sondern muss immer in die Zukunft gerichtet sein. Für eine vorausschauende Arbeitsmarktpolitik ist von zentraler Bedeutung, dass sie sich abzeichnende Veränderungen erkennt und darauf reagiert. Hierzu zählt besonders der auch von Baaske angesprochene demografische Wandel: Er wirft die Frage auf, ob das qualifikationsspezifische Angebot an Arbeitskräften langfristig mit der Entwicklung auf der Bedarfsseite Schritt halten kann. Denn die mittleren und höheren Altersgruppen stellen bereits heute das Gros des qualifizierten Arbeitskräfteangebots.

Diese gut ausgebildeten und zahlenmäßig starken Bevölkerungsgruppen rücken aber immer näher an das Rentenalter heran. Ein halbwegs ausreichender Ersatz an qualifizierter Erwerbsbevölkerung wäre nur zu erwarten, wenn sich die nachrückenden geburtenschwachen Jahrgänge deutlich besser qualifizierten als die in den nächsten Jahren sukzessive ausscheidenden Älteren. Dass dies so sein wird, ist keineswegs sicher. Heute verlassen immer noch rund 10 Prozent eines Jahrgangs die Schule ohne Abschluss, rund 20 Prozent bleiben langfristig ohne Berufsausbildung, und auch unsere Abiturientenquoten sind im internationalen Vergleich viel zu niedrig. Aus diesen Gründen ist auf absehbare Zeit tatsächlich ein Fachkräftemangel zu erwarten.

Warum der Arbeitmarkt mehr Bildung braucht

Deshalb sollte – wie vom Autor angemahnt – die Arbeitsmarktpolitik der Zukunft noch viel stärker auf einen bildungspolitischen Ansatz bauen. Qualifizierung für so viele wie möglich ist jedoch eine Aufgabe von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung: Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist nur ein Akteur auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und kann diese Aufgabe alleine sicherlich nicht meistern.

Unter der „mitfühlenden und solidarischen Arbeitsmarktpolitik“ versteht Baaske eine flächendeckende Umsetzung des Projektes „Bürgerarbeit“. Bekanntermaßen unterstützt die BA die ersten Umsetzungsversuche in Sachsen-Anhalt. Wir tun dies, weil wir den Grundgedanken für richtig halten, Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Bürgerarbeit kann aber kein Ersatz für eine Arbeitsmarktpolitik sein, die in erster Linie auf Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt zielt. Auf dieses Ziel hin sind die Geschäftsprozesse der BA ausgerichtet. Dazu zählt auch das Profiling durch einen persönlichen Ansprechpartner im Kundenzentrum beziehungsweise in der ARGE. Die Bedeutung von persönlicher Beratung, besonders unmittelbar zu Beginn der Arbeitslosigkeit, ist der BA – anders als von Baaske suggeriert – seit längerem bekannt. So ist die Eingliederungsvereinbarung zentrales Element in der Betreuung von Langzeitarbeitslosen im SGB II.

Die Erwartungen sind hoch an Konzepte, die – wie die Bürgerarbeit – auf öffentlich geförderte Beschäftigung setzen. Man muss sie vor Überforderung schützen. Solche Modelle vereinen Elemente der Aktivierung mit der Heranführung von ansonsten schwer vermittelbaren Arbeitslosen an den ersten Arbeitsmarkt. Das birgt jedoch die Gefahr, dass beide Ziele nicht in gleichem Maße erreicht werden – etwa, wenn Arbeitslose aktiviert werden, aber in eine geschützte Beschäftigung übergehen, obwohl sie durchaus einen regulären Job finden könnten.

Außerdem ist zu prüfen, wem auf diese Weise „eine Brücke in den Ruhestand“ gebaut werden soll und wem nicht. Die (negativen) Erfahrungen mit Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Strukturanpassungsmaßnahmen müssen wir sehr ernst nehmen. Erste Erfahrungen mit den Arbeitsgelegenheiten im SGB II weisen nämlich darauf hin, dass ungeförderte Beschäftigung durch geförderte Beschäftigung verdrängt werden kann.

Bürgerarbeit-Zielgruppen sehr eng abgrenzen

Beides spricht für eine sehr enge Abgrenzung der Zielgruppe. Gerade in regionalen Arbeitsmärkten mit niedrigen Löhnen dürfen durch einen zu starken Einsatz öffentlich geförderter Beschäftigung keine falschen Anreize entstehen. Möglicherweise brauchen wir vielmehr an der Nahtstelle zwischen gering entlohnter regulärer Erwerbstätigkeit und Arbeitslosengeld II eine Neuordnung des Niedriglohnbereichs mittels einer anderen Kombination von Erwerbseinkommen und staatlichen Transfers.

Schließlich ist zu beachten, dass subventionierte Arbeit durch Steuern und Abgaben finanziert werden muss. Dies wiederum setzt eine leistungsfähige Ökonomie voraus, die nur erhalten werden kann, wenn gut qualifizierte Arbeitskräfte in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Hier schließt sich der Kreis zur Bildung. Die Verbesserung der schulischen und beruflichen Ausbildung wäre sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft von Vorteil. Die Träger der Arbeitsmarktpolitik würden entlastet und müssten nicht den Versuch unternehmen, früh Versäumtes später mühsam nachzuholen.

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