Mit der Hundepeitsche gegen Hitler

Zwei neue Bücher belegen, dass die innere Sicherheit schon vor 80 Jahren ein Thema der SPD war

In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung antwortete der hessische Ministerpräsident Roland Koch vor einer Weile auf die Bemerkung, mit Innenminister Schily rücke die SPD immer weiter nach rechts: "Wir haben als Union in den vergangenen 50 Jahren aus guten Gründen - und weil wir einen Werte-Kompass haben - eine klare Haltung zur inneren Sicherheit eingenommen. Wir brauchen uns und unsere Positionen nicht zu verändern. Die Menschen sehen sehr schnell, dass es bei Schily und einigen anderen Sozialdemokraten vor allem rhetorische Positionen sind, um einem gewandelten Meinungsklima zu entsprechen. Aber mit Worten schafft man keine Regierungsfähigkeit." In demselben Interview wies Koch darauf hin, dass "die Union aus Sichtweise der Mehrheit der Bevölkerung die Kompetenz für die innere Sicherheit hat". Und er stellte - mit Blick auf den Erfolg der Schill-Partei in Hamburg - die Frage, "ob wir auf allen Ebenen den geforderten kämpferischen Umgang mit dem Thema erbracht haben."


Für die Union also gilt: Sie vertritt seit 50 Jahren auf dem Feld der inneren Sicherheit eine klare Linie und setzt diese konsequent in Regierungshandeln um. Das wird von der Mehrheit der Bevölkerung auch anerkannt. Allerdings ist ein offensiver Umgang mit dem Thema erforderlich. Demgegenüber behandelt die SPD das Thema eher zurückhaltend, ja geradezu ängstlich. Es wird in größere Zusammenhänge wie innerer Friede eingebettet, was sicherlich richtig ist. Doch eine offensive Darstellung der Politik der inneren Sicherheit findet kaum statt. Der Kompetenzvorsprung der CDU/CSU aus Sicht der Bevölkerung ist daher verständlich. Erst mit Gerhard Schröder - zunächst als Ministerpräsident in Niedersachsen, dann als Bundeskanzler - erhielt der Umgang mit der Politik der inneren Sicherheit für die SPD einen anderen Stellenwert.

"Demokratische Ordnungszelle" Preußen

Allerdings wäre es verfehlt, mit dem mindestens missverständlichen Hinweis, law and order seien sozialdemokratische Grundwerte, das Pendel in die andere Richtung umschlagen zu lassen. Orientiert an den sozialdemokratischen Grundwerten muss eine sozialdemokratische Politik der inneren Sicherheit vielmehr die Selbstbestimmung des Einzelnen auf der einen und einen funktionierenden Rechtsgüterschutz auf der anderen Seite garantieren. Sie hat sich als freiheitliche Sicherheitspolitik darin zu beweisen, dass sie die richtige Mitte zwischen der notwendigen Effizienz polizeilicher Maßnahmen einerseits und den unerlässlichen Begrenzungen polizeilicher Befugnisse im Interesse der Freiheit der Bürgerinnen und Bürger andererseits findet. Das sorgfältige Abwägen und das ständige Justieren dieser Zieldimensionen ist eine erheblich anspruchsvollere Aufgabe als eine Politik von law and order - und Ausdruck des Bürgerstaates.


Die SPD kann dabei selbstbewusst darauf verweisen, dass sie bereits vor über 80 Jahren Verantwortung für die innere Sicherheit getragen hat. Es waren Innenminister wie Carl Severing und Albert Grzesinski, die in Preußen von 1921 bis 1932 entschlossen gegen die Gegner der Republik vorgingen sind und gemeinsam mit Otto Braun den Ruf Preußens als "demokratische Ordnungszelle" (Hagen Schulze) begründeten.


Nach dem Krieg waren es dann sozialdemokratische Innensenatoren und Innenminister, die die Politik der inneren Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich prägten. Sie taten das nicht nur verbal, sondern entschlossen, aber mit Augenmaß - wie etwa Helmut Schmidt in Hamburg, Herbert Schnoor in Nordrhein-Westfalen oder zuletzt fast 15 Jahre lang Friedel Läpple im Saarland.


Es ist deshalb zu begrüßen, dass Thomas Albrecht in seiner Dissertation Für eine wehrhafte Demokratie: Albert Grzesinski und die preußische Politik in der Weimarer Republik nun das Leben, vor allem aber das Regierungshandeln des zweimaligen Berliner Polizeipräsidenten und zeitweiligen preußischen Innenministers dargestellt hat. Es ist ihm in vorbildlicher Weise gelungen.


Albrecht beschreibt zunächst den Werdegang Grzesinskis bis zur Revolution 1918/1919. In dieser Zeit stieg er energisch, mit organisatorischem und politischem Geschick in Offenbach und Kassel zum hauptamtlichen Gewerkschaftsbevollmächtigten auf. Im November 1918 wurde er Vorsitzender des örtlichen Arbeiter- und Soldatenrates. Als Delegierter Hessens auf dem Berliner Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte sowie als Mitglied des "Zentralrates der Arbeiter- und Soldatenräte" bewährte sich Grzesinski als loyale Stütze der Politik Friedrich Eberts. Zwischen 1919 und 1932 wurde er als führendes Mittglied der sozialdemokratischen Landtagsfraktion und auf verschiedenen Verwaltungspositionen zu einem der einflussreichsten Politiker Preußens. Von 1925 bis 1926 sowie erneut von 1930 bis 1932 war Grzesinski Polizeipräsident von Berlin, dazwischen von 1926 bis 1930 bekleidete er als Nachfolger Severings das Amt des preußischen Innenministers.

Fortschritt bis zum Preußenschlag

Bemerkenswert daran ist, dass Grzesinski 1930 bereit war, sich als ehemaliger Minister seiner früheren Behörde zu unterstellen. Seine Politik und seine Amtsführung verfolgten als Hauptziel die Stärkung der Republik auf allen Positionen durch die konsequente Verfolgung ihrer Feinde. Grzesinski betrieb den Ausbau und die Demokratisierung der Polizei, er trieb die grundlegende Reform der Behördenorganisation und vor allem die konsequente demokratische Personalpolitik voran. Das entscheidende Versäumnis auf diesem Gebiet geht zwar auf die Zeit unmittelbar nach der Novemberrevolution und vor allem auf den sozialdemokratischen Innenminister Heine zurück, aber auch Severing war in seiner Personalpolitik zu zögerlich. Erst die Jahre unter dem Innenminister Grzesinski brachten einen deutlichen Fortschritt. Zunehmend gelang jetzt die Durchdringung der Verwaltung mit überzeugten Anhängern der Republik. Auf dem Gebiet der Verwaltungsreform bestand Grzesinskis größter Erfolg in der Auflösung von rund 11.600 der insgesamt 11.894 Gutsbezirke, deren rund 1,5 Millionen Einwohner zuvor kein kommunales Wahlrecht besessen hatten.


Am 20. Juli 1932, dem Tag des so genannten Preußenschlages, war Grzesinski Polizeipräsident von Berlin. Albrecht untersucht gründlich, ob gewaltsamer Widerstand sinnvoll und politisch machbar gewesen wäre. Diesen Widerstand nicht geleistet zu haben wird der SPD ja häufig pauschal - und zu Unrecht - vorgeworfen. Für eine sachgerechte Bewertung des Handelns der damaligen Entscheidungsträger legt Albrecht sinnvollerweise die Entscheidungssituation aus damaliger Sicht zugrunde. Severing und die übrigen Beteiligten hielten Widerstand angesichts der zahlen- und bewaffnungsmäßigen Überlegenheit der Reichswehr über die preußische Polizei nicht für erfolgversprechend. In ihren Augen hätten die Nazis vor dem Hintergrund der Massenarbeitslosigkeit von einem Fehlschlag nur weiter profitiert. Sie konnten zu dieser Zeit auch nicht absehen, dass der Verzicht auf Widerstand wenige Monate später zur Machtübernahme der Nationalsozialisten führen würde. Auch ist nachzuvollziehen, dass es - wiederum: aus der Sicht der Beteiligten - nach der Verhängung des Ausnahmezustandes ohnehin bereits zu spät war. Nach Jahren der strikten Legalitätspolitik schien ihnen die plötzliche Rückgriff auf Gewalt ausgeschlossen.

Die Verantwortung der Liberalen

Auf die vor diesem Hintergrund berechtigte Frage, warum der Vorwurf des Versagens der SPD in der Folgezeit, besonders nach 1945 auf so fruchtbaren Boden gefallen sei, gibt Albrecht eine einleuchtende Antwort: Die Verurteilung der SPD sollte offensichtlich den liberalen Anteil an der Verantwortung für den Untergang der Weimarer Republik bemänteln.


Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten war Grzesinski, der einmal gesagt hatte, man solle Hitler mit der Hundepeitsche aus Deutschland vertreiben und der ihn als unerwünschten Ausländer aus Preußen abschieben wollte, einer der am meisten gehassten Männer. Der Verfolgung entzog er sich durch Flucht. Stationen seines Exils waren die Schweiz, Paris und New York. Nach dem Krieg wollte Grzesinski unbedingt nach Deutschland zurückkehren. Doch dazu kam es jedoch nicht mehr. Am 31. Dezember 1947 starb er an einer Lungenentzündung in New York.


Albrecht hat eindrucksvoll und auf breiter Quellenbasis das Bild eines zu Unrecht vergessenen handwerklichen Arbeiterführers gezeichnet, der eine theorieferne, dezidiert pragmatische Grundhaltung kultivierte. In seiner Person widerlegte Grzesinski die häufig vorgebrachte Behauptung, der SPD habe es in der Weimarer Republik an einem realistischen Verhältnis zur Macht gefehlt.


Erfreulicherweise hat der Historiker Eberhard Kolb fast parallel zu dieser wichtigen Biografie die unmittelbar nach seiner Flucht verfassten Erinnerungen Grzesinskis herausgegeben. Grzesinski hatte den Text bereits 1934 geschrieben, aber keinen deutschsprachigen Verleger gefunden; die französische sowie die englische Fassung blieben unbeachtet. Die jetzt vorliegende deutsche Erstausgabe bietet die willkommene Gelegenheit, die Arbeit von Thomas Albrecht aus der Sicht des Beschriebenen gleichsam gegenzulesen. Beide Bücher zusammen erinnern beispielhaft daran, dass der Kampf für die wehrhafte Republik nicht erst in jüngster Zeit zur sozialdemokratischen Sache geworden ist.

Thomas Albrecht, Für eine wehrhafte Demokratie: Albert Grzesinski und die preußische Politik in der Weimarer Republik, Verlag Dietz, Bonn 1999, 383 Seiten, 29,70 Euro.

Albert Grzesiniski, Im Kampf um die deutsche Republik. Erinnerungen eines Sozialdemokraten, hrsg. von Eberhard Kolb, Oldenbourg, München 2001, 384 Seiten, 34,80 Euro.

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