Magere Zeiten in Neukölln

Konsum einschränken! So fordert es der Fraktionsvorsitzende der SPD. Da machen wir mit - und sind plötzlich Teil einer Massenbewegung

Vor kurzem gab Franz Müntefering, Fraktionschef der SPD, eine Parole aus: Gürtel enger schnallen! Konsum einschränken! Das nehmen wir ernst - und andere auch. Nach nächtlicher Kneipentour ist man sowieso versucht, in das arbeitgeberische Wehklagen über die hohen Kosten in Deutschland einzustimmen. Einfach nur nett zusammensitzen, ein paar Cocktails trinken - und schon ist der Gegenwert eines BVG-Monatstickets versoffen. Also suchen wir heute mal die billigsten Gaststätten in Berlin. Wir starten am Neuköllner Hermannplatz.


Am Nebeneingang von Karstadt steht seit zehn Jahren der Puffer-Imbiss. Die Bude nimmt sich aus wie ein Schmuddelkind, das die Kundschaft des Kaufhauses schon am Eingang anschnorrt. Weil der Karstadt das nicht so "kaufregend" findet, versuchen seine Anwälte, den Betreiber fortzuklagen - bislang zum Glück ohne Erfolg. So bietet die Bude auch weiterhin "hausgemachte Kartoffelpuffer und Eierkuchen" (je 1,50 Euro) groß wie Frisbeescheiben an. Kurz vor Feierabend werden die letzten verschenkt, ebenso der Rest Kaffee (0,50 Euro) aus der Thermos. Das ist schon mal günstig. Nach zwei Stück kann der Gürtel eigentlich schon wieder gelockert werden.


Um die Ecke steht das Wirtshaus Blauer Affe. Die Jukebox begrüßt uns mit "Seemann, lass das Träumen". Irgendwie halten sich die Gäste nicht daran. Etliche Einzeltrinker tauschen mit ihrem Bier (Schultheiß 0,3 Liter zu 1,45 Euro) Gedanken aus. Ein Pärchen und zwei Feierabender in Holzfällerhemden und Basecaps starren auf das stummgeschaltete Hertha-Spiel. Ab und zu klackern ein paar Würfel am Nebentisch. Maria, die Wirtin, sagt: "Hier wird nur noch wenig gegessen. Die Leute haben kein Geld mehr." Theoretisch - so ihre Speisekarte - hätte man ein Schnitzel für 2,55 Euro haben können. "Magere Zeiten", sagt sie. Ob wir nicht einen Korn nehmen wollen. Gut, für 1,15 Euro. Dieter, der so aussieht, als ob er sein Geld auf der Platte verdient, verlangt noch etwas Jukeboxgeld "Gib mir mal zwei Mark, Maria" - "Nee, hier haste zwei Euro". Die Umstellung fällt noch schwer, das Ausgeben nicht. Als wir die Kneipe verlassen dröhnen die Leningrad Cowboys "Those were the days, my friend". Dieter ist selig. Endstation Schwermut.

"Hier wirste noch satt für dein Jeld."

Am Ambrosius kleben große Buchstaben in Leuchtschrift "Berlins billigstes Gasthaus". Diese Eigenwerbung, ein Zitat aus der BZ, lockt uns an. Girlanden vom letzten Faschingsfest, genug Platz für 75 Gäste. Vier sind da, und der Wirt und seine Köchin stehen auch vor der Theke. "Hier seid ihr im Armenhaus von Berlin - in Neukölln eben." Walter, der Wirt, ist dennoch stolz: "Hier wirste noch satt für dein Jeld". Ambrosius war früher eine Kette. Motto: "Für die Ärmsten der Armen: Eine Portion reicht für zwei". Für uns zwei reicht eine Portion Königsberger Klopse (3 Euro) und je eine Tasse Brühe (0,60 Euro). Dazu gibt es Ambrosius-Pils (0,3 für 1,10 Euro) und den obligatorischen Korn (1 Euro). Braten und Kartoffeln gibt′s hier satt (Gerichte ab 2,80 Euro), Vegeta-rier haben verloren. Natürlich erhält man alles auch außer Haus - wenn man sein Geschirr selbst mitbringt. "Vom Ersten bis Dritten des Monats sind wir gut besucht", sagt Walter, "danach ist das Geld alle". Horst ist 62 Jahre alt, letzter Gast für heute. "Ick hab Berlin uffjebaut. Mir jeht′s doch noch jut. Wat meenste, warum ick hier steh. Ab Fuffzehnten lass ick anschreiben." Er holt seinen Rentenbescheid raus: 456 Euro im Monat. Horst singt: "Einmal um die janze Welt - wenn ick nur mehr Jeld hätt".


Draußen ist es schweinekalt. Entgegen unserer Planung nehmen wir ein Taxi. Gürtel enger geschnallt und nur den Winketarif (3 Euro), auf der Sonnenal-lee soweit wir kommen. "Bald geht nichts mehr", sagt der Fahrer, "ich hat heut 50 Euro Umsatz in 12 Stunden. Die Leute gehen nicht mehr aus, die Kneipen machen dicht".


Wir erreichen das Koma. 24 Stunden offen. Einladender Name für einen Absacker. Drinnen läuft Hard Rock, AC/DC-Poster hängen an der Wand. Übernächtigte Augen der wenigen Gäste. "Von welchem Amt kommt ihr denn?", begrüßt man uns. Skepsis in schlechten Zeiten. Wir bekommen noch ein helles Brno (0,3 Liter zu 1,40 Euro, das dunkle zu 1,10). "Ne Bockwurst könnt ihr haben: 1,50". Auch der Kicker ist auf Flaute eingestellt und nimmt nur noch Fünfziger. "Wer kein Geld hat, trinkt sein Bier eben langsamer".


Wir wechseln in den Osten. Willy Bresch ist eine alt eingesessene Kneipe. Vor 30 Jahren hat Breschs Tochter den Laden übernommen. Heute ist sie in Rente und ihr Sohn macht das. Früher hat der halbe Liter Pils 51 Pfennig gekostet. Heute bekommt man das Hohenthanner (0,3 Liter) zu 1,10 Euro das Schultheiß für 1,40. Hotte, der zur Begrüßung auf alle Tische klopft, erklärt das Problem mit dem Geld: "Is allet doppelt wenijer jeworden". Die Spielautomaten flackern, hinten wird Skat gekloppt. Doch die Gäste sind "alles Stammgäste", sagt Andrea, die Be-dienung. "November bis Januar fehlt das Geld, wegen der vielen Weihnachtsgeschenke". Den Kartoffelsalat gibt′s für 1,50, die Sülze für 3 Euro. Am Neben-tisch sitzen drei ältere Frauen. Gitti, 49, hält zum Willy Bresch: "Das ist unsere Eckkneipe. Wir sind Schlendriane. Heute gehen wir aber wenig weg, vor Weihnachten wird′s sowieso eng." Und Jutta, 62, zweifache Urgroßmutter schwärmt: "Aber an juten Tagen gibt′s auch Tanz und für Silvester haben wir schon Sitzplätze reserviert." Um zehn Uhr werden die Spielautomaten abgestellt. Wir nehmen noch einen Korn (0,80 Euro).


Eine Tramstation weiter entern wir ein schummriges Ecklokal. Eiche rustikal, tief hängende gelb-rauchige Lampen. In Jogginghosen und Militärjacken sitzen ein paar jüngere Gäste herum. Es gibt Fotos der Kneipe von 1935. Die Wirtin ist dagegen, dass ihr Lokal in der Presse erscheint. Dann trinken wir eben so unser Falter-Pils (0,5 Liter zu 1,65 Euro). Ihr Mann erzählt mehr. Seit 1954 sind sie hier drin. Angestellte können sie sich nicht mehr leisten. "Wir probieren, die Gäste so zu behandeln, wie wir selbst behandelt werden möchten." Manne trinkt noch einen Korn (0,80 Euro) an der Theke mit und fragt, woher das ganze Geld kommt. Er erzählt was von Stamokap. "Wer zahlt das alles? Wem gehört das alles? Is′ doch klar: den Banken. Die ganze Vogelpisse."

Ambrosius - Sonnenallee 28, Tel. 030/ 22 01 4934
Blauer Affe - Kottbusser Damm 64
Koma - Sonnenallee 209, Tel. 030 / 687 68 55
Puffer-Imbiss - Hasenheide 1, Tel. 030 / 692 94 94
Willy Bresch - Danziger Str. 120 Ecke Greifswalder Str., Tel.030 / 4350905

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