Lang und autonom lebe Oma Schmittke!

Sind humanoide Roboter eine Perspektive für die alternde Gesellschaft? Wo viele immer länger leben und der Nachwuchs ausbleibt, sind neue Lösungen erforderlich. Vorläufige Ergebnisse der Forschung stimmen ermutigend

Berlin, Dezember 2035. Oma Schmittke (85) geht es gut. Sie sitzt gemütlich zu Hause im Sessel und plant ihren Tag: „Zum Frühstück möchte ich ein Brötchen mit Marmelade und ein großes Glas Milch. Danach gehen wir noch ein paar Weihnachtsgeschenke besorgen.“ „Alles klar“, antwortet die freundliche Stimme ihres 1,50 Meter großen Roboters namens Louise 500. „Ich bin schon auf dem Weg in die Küche. Aber vorher möchte ich Sie noch daran erinnern, Ihre Medikamente zu nehmen.“ Louise 500 rollt los und kommt 30 Sekunden später wieder mit einem Tablettendöschen, beschriftet mit „Dienstag Morgen“, und einem Glas Wasser. „Bitte sehr.“ Oma Schmittke bedankt sich und nimmt ihre Blutdrucktabletten mit dem Wasser. „Bitte lassen Sie mich Ihre Vitalfunktionen überprüfen“, sagt Louise 500, „geben Sie mir Ihre Hände.“ Oma Schmittke legt ihre Hände fünf Sekunden lang auf den Arm von Louise 500. „Blutdruck und Puls sind normal, Körpertemperatur auch. Ich leite die Daten zur Kontrolle noch vor dem Frühstück weiter an Ihre Hausarztpraxis. Die Daten wurden übermittelt. Ich bereite jetzt Ihr Frühstück vor“, sagt Louise 500 und rollt in die Küche.

Wie ist so ein Szenario zu bewerten? Als realistisch? Oder doch eher als utopisch? Werden ältere Menschen in Zukunft mit ihrem persönlichen Serviceroboter selbstbestimmt zu Hause leben und ihren Alltag weitgehend autonom bestreiten können?

Betrachten wir die Gegenwart: Erst im März 2004 wurden wieder zwei innovative Erfindungen aus dem Bereich der Robotik der Öffentlichkeit vorgestellt: ein kleiner tanzender und singender humanoider Roboter, der 60cm große QRIO von Sony, begeisterte die CeBit-Besucher in Hannover. Und auch der Flexibot, ein 1,30 Meter langer kriechender Roboterarm, der von Mike Topping, dem Leiter des Centre for Rehabilitation Robotics an der Staffordshire Universität in Großbritannien entwickelt wurde, um ältere und kranke Menschen zu unterstützen, sorgte bei seiner Vorstellung in der Fachwelt für Furore.

Gut versorgt genießen

Während der QRIO von Sony für den Entertainment-Sektor entwickelt wurde und damit ein reines Produkt der Spaßgesellschaft ist, war es das erklärte Ziel des Flexibot-Projekts, einen Hausroboter zu entwickeln, der ältere Menschen unterstützen kann. Das Projekt wurde deshalb von der Europäischen Kommission drei Jahre lang mit insgesamt 2,3 Millionen Euro finanziert. Offensichtlich gibt es also Entwicklungen in Richtung unseres kleinen Szenarios.

Ein Blick auf die Prognosen der demografischen Entwicklung in Deutschland und in anderen Industrieländern führt vor Augen, dass sich unsere Gesellschaft verändert: Die Menschen werden immer älter, die Lebenserwartung steigt bei gleichzeitig sinkender Geburtenrate. Im Jahr 2050 werden nach den neuesten Vorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes 50 Prozent der Bevölkerung älter als 48 und ein Drittel älter 60 Jahre sein. Auch die prognostizierten Salden der Zuwanderung aus dem Ausland werden das Altern der Gesellschaft in Deutschland nicht aufhalten.

Erfreulich ist, dass unsere Oma Schmittke möglicherweise auch 2050 noch lebt. Wahrscheinlich ist sie dann körperlich aber noch etwas weniger fit als 2035 und nicht mehr nur auf die Unterstützung von Louise 500 angewiesen. Hier liegt das Problem: Die vielen alten Menschen der Zukunft müssen gut versorgt werden, damit sie ihr Alter auch genießen können. Zwangsläufig wird dies zu einem höheren Bedarf an Pflegepersonal führen. Das ist einer der Gründe, weshalb verschiedene Forschungsinstitute und Forscher aus dem Umfeld der Robotik seit einigen Jahren an technischer Unterstützung für ältere Menschen arbeiten: nicht um Pflegerinnen und Pfleger zu ersetzen, sondern um Unterstützung für das Pflegepersonal der Zukunft zur Verfügung zu stellen und die Autonomie älterer und kranker Menschen so lange wie möglich aufrecht zu erhalten.

Mit 210 Kilo die Treppe hinauf

Die meisten Projekte auf dem Feld der Human Robotics weltweit gibt es in Japan. Dort gehen die Anfänge der Robotik-Forschung sogar bis in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück. So wurde zwischen 1994 und 1997 der P2 von Honda entwickelt, der erste Roboter weltweit, der Treppen steigen konnte. Er war 1,80 Meter groß und wog stattliche 210 Kilo. Auf den P2 folgten zunächst weitere P-Modelle und schließlich der Asimo, dessen Miniaturausgabe manche vielleicht aus der Bifi-Werbung kennen. Asimo sieht aus, als trage er einen weißen Astronautenanzug mit schwarzem Visier. Er ist mittlerweile wesentlich kleiner und leichter als die P-Modelle und wiegt bei einer Größe von 1,20 Meter nur 43 Kilo. Asimo kann bereits vorwärts und rückwärts laufen, treppauf und treppab steigen, Gegenstände tragen und Lichtschalter betätigen. Honda plant, dass Asimo eines Tages in der Lage sein soll, ältere Menschen zu unterstützen.

In Konkurrenz zu den Honda-Robotern entwickelte Sony einige Modelle der Reihe Sony Dream Robot (SDR) für den Unterhaltungsmarkt. Zu dieser Familie gehört auch QRIO, der Sony zufolge tanzen kann, menschliche Gesichter und Stimmen wieder erkennt, im Internet nach Informationen recherchieren und nach eigenem Ermessen mit Menschen kommunizieren kann, indem er seine „Gefühle“ durch Bewegungen und Äußerungen zum Ausdruck bringt. Auch in den Vereinigten Staaten existieren einige viel versprechende Forschungsprojekte auf dem Gebiet der humanoiden Robotik. Besonders am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston wird hierzu viel gearbeitet. Bekannt wurde beispielsweise Cog, eine Forschungsplattform zur Evaluation der Interaktion von Menschen und Robotern, die von Rodney Brooks, dem Direktor des Artificial Intelligence Lab am MIT, einem international renommierten Fachmann für Robotik, und seinen Mitarbeitern entwickelt wurde.

Gedankenaustausch mit dem Assistenzroboter

Auch in Deutschland gibt es bereits einige vorzeigbare Projekte der humanoiden Robotik. Mit HERMES, dem anthropomorphen Dienst- und Assistenzroboter von der Bundeswehruniversität in München (Projektdauer 1998 bis 2002), unübersehbare 1,85 Meter groß und imposante 250 Kilo schwer, kann man sich sogar unterhalten. Sein Kommunikationsverhalten ist situationsabhängig, HERMES kann sich Informationen durch Beobachtung oder Dialoge verschaffen. Ein großes Handicap sind aber seine Größe und sein Gewicht. Um ihn in einem normalen Haushalt einzusetzen, müsste er wesentlich leichter und wendiger sein. Für Oma Schmittke und ihre Wohnung wäre er viel zu groß.

Erfolgreich war auch das Projekt „MORPHA – Intelligente anthropomorphe Assistenzsysteme“, ein Leitprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), das 2003 nach vierjähriger Projektphase abgeschlossen wurde. Hier wurde Care-O-Bot gebaut, ein Serviceroboter, die im Haushalt Unterstützung leisten soll.

An denkbaren Einsatzmöglichkeiten für Pflegeroboter fehlt es nicht. Birgit Graf vom Fraunhofer Institut nennt zum Beispiel Haushaltsaufgaben wie einfache Reinigungstätigkeiten, den Tisch decken, Blumengießen oder – wie bei Oma Schmittke – die Zubereitung von Mahlzeiten, die Überwachung der Medikamenteneinnahme, die Überprüfung von Vitalfunktionen sowie die Kommunikation mit medizinischen und öffentlichen Einrichtungen, mit Ärzten oder Behörden. Außerdem könnten Roboter automatische Notrufe auslösen und sich um die Steuerung von Heizung, Licht und Haustür kümmern.

Nach acht Stunden macht der Roboter schlapp

Der aktuelle Care-O-Bot II des Fraunhofer Instituts kann diese Aufgaben schon teilweise erfüllen. Im Juni 2003 führte er erstmals öffentlich Hol- und Bringdienste vor. Er versteht einfache Befehle wie etwa: „Gehe in die Küche und hole mir ein Glas Wasser!“ Bis 2004 hat dieser Prototyp zwei Millionen Euro gekostet, die Produktionskosten sollen sich aber in Zukunft nur auf ungefähr 20.000 Euro pro Stück – noch immer keine unerhebliche Summe. Serienreife wird der Care-O-Bot nach Angaben von Christoph Schaeffer, Projektleiter im IPA, jedoch frühestens 2008 erreichen. Vorerst dauern die Verarbeitungszeiten für bestimmte Anwendungen noch zu lange.

Als Problem erweist sich auch der hohe Stromverbrauch des Care-O-Bot. Im Dauerbetrieb von acht Stunden verbraucht der Roboter noch acht 12-Volt-Batterien und muss deshalb Nacht für Nacht aufgeladen werden. Da auch für Oma Schmittke der Tag nicht nach acht Stunden vorbei ist, besteht hier noch Forschungsbedarf.

Seit 2001 existiert auch der Sonderforschungsbereich „Humanoide Roboter – Lernende und kooperierende multimodale Roboter“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er wurde für 12 Jahre eingerichtet mit dem Ziel, Konzepte, Methoden und konkrete Komponenten für einen humanoiden Roboter zu entwickeln, der seinen Arbeitsbereich mit Menschen teilen soll. In diesem Sonderforschungsbereich arbeiten 12 Institute aus Ingenieurwissenschaften, Geisteswissenschaften und anderen Forschungseinrichtungen zusammen. Die mehr als 40 Forscherinnen und Forscher gehören zur Universität Karlsruhe, zum Forschungszentrum Karlsruhe, dem Forschungszentrum Informatik und dem Fraunhofer IITB. Langfristig soll auch hier ein Robotersystem entwickelt werden, das Menschen im Alltag tatsächlich eine Hilfe sein kann.

Leichtbauarme mit Backengreifern

Im Sonderforschungsbereich wird mit dem Armar-System gearbeitet, einem humanoiden Roboter mit 25 mechanischen Freiheitsgraden. Armar wiegt etwa 45 Kilo und besitzt zur Fortbewegung eine Plattform mit Rädern. Maximal kann er einen Meter pro Sekunde zurücklegen. Das Robotersystem hat einen neigbaren Teleskoptorso und zwei siebenachsige Leichtbauarme mit Backengreifern sowie einen mit einem Stereokamerasystem ausgerüsteten Sensorkopf. Auf die Entwicklungen in diesem Sonderforschungsbereich darf man gespannt sein. Humanoide Robotik, und besonders Robotikassistenzsysteme für Ältere und Kranke, sind aussichtsreiche und innovative Gebiete, deren Entwicklung speziell vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft unbedingt gefördert werden müssen.

Für Deutschland ist hier ein großes Innovationspotenzial vorhanden. Glückliche und selbständige ältere Menschen wie Oma Schmittke, die mithilfe eines Roboters länger allein und weitgehend unabhängig leben können, müssen keine Utopie bleiben. Zwar liegen in der Entwicklung bisher noch andere Länder (wie vor allem Japan) vorn, dies muss aber auf Dauer nicht so bleiben.

Die Förderung dieses zukunftsträchtigen Forschungsgebiets bringt aller Voraussicht nach nicht nur einen Fortschritt in der Forschung für Deutschland mit sich. Im Kontext des MORPHA-Projektes zum Beispiel sind bereits einige Spin-Off-Unternehmen und damit auch neue Arbeitsplätze entstanden, sowie zahlreiche Spin-Off-Produkte. Ähnliches ist auch für weitere Robotik-Projekte zu erwarten.

Für Oma Schmittke und uns andere

Deutschland kann seine Position bei den Robotikassistenzsystemen festigen und weiter ausbauen. Unser innovationspolitisches Ziel muss es deshalb sein, mehr Projekte zu unterstützen. Qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen sind vorhanden. Nicht nur zur Fortentwicklung der bisherigen Systeme kann und muss weiter geforscht werden, auch die Interaktion von Robotern und Nutzern muss ausführlich untersucht und evaluiert werden – damit Oma Schmittke und wir anderen unseren Lebensabend so lange wie möglich selbständig und selbstbestimmt zu Hause verbringen können.

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