Lamentierer in Lacoste-Pullovern

Lange verband die Politikeliten von Aufbaugeneration und Achtundsechzigern wenig. Als Rentner sind sie sich in einem plötzlich einig: Die heute aktive Politikergeneration taugt nicht viel. Doch die selbstgefällige Häme ist destruktiv und unfair. Die Veteranen täten besser daran, ihre Erfahrungen weiterzugeben

Das Urteil ist schon lange gesprochen: Sie taugt nichts, die jetzige Politikergeneration. In den Parteien und Parlamenten tummeln sich Menschen ohne Lebens- und Berufserfahrung. „Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal“ lauten ihre Stationen. Karriere und eitle Selbstdarstellung treiben sie an. Die das sagen, sprechen vielen Menschen aus dem Herzen. Nicht wenige dieser Kritiker   – wie zum Beispiel Klaus Harpprecht , der sich erst kürzlich in der Zeitschrift Cicero ausließ – waren zu ihrer Zeit aktive und anerkannte Politiker, Journalisten oder Autoren.  Das Verdikt stammt also aus dem Mund von Wissenden. Eine an allen heutigen Autoritäten zweifelnde Öffentlichkeit saugt die kritischen Ergüsse begierig auf.

Bei genauem Hinschauen sind es allerdings zwei sehr unterschiedliche Generationen, welche die heute politisch Handelnden verachten. Da sind jene, die selbst noch als Soldaten, Flakhelfer oder junge Erwachsene in der Nachkriegszeit Westdeutschland aufgebaut haben, die Morden und Diktatur für immer unmöglich machen wollten. Es sind Menschen, die unvorstellbares Leid kannten und erlitten haben, die – wie Helmut Schmidt zu Recht nicht müde wird zu sagen – die „große Scheiße des Krieges“ in ihren Seelen und vor
ihrem geistigen Auge hatten.

Einheitsfront der Geringschätzer


Und es gibt die jetzt immer schneller in die Jahre kommenden Alt-Achtundsechziger. Von der Generation ihrer Vorgänger nicht besonders geschätzt,, nehmen sie für sich selbst in Anspruch, frischen Wind in das muffige Nachkriegsdeutschland gebracht zu haben. Diese beiden Generationen standen einander lange Jahre mit Distanz gegenüber. Aber wenn es um die Politiker von heute geht, bilden sie jetzt eine gemeinsame Front der Geringschätzung. Das ist gefährlich. Für unsere ohnehin fragile parlamentarische Demokratie in Zeiten des Umbruchs sogar lebensgefährlich. Denn die Beschreibungen sind nicht nur kritisch, beleidigend und kränkend – das wäre auszuhalten. Es ist viel schlimmer: Sie sind demokratiegefährdend. Nicht Politiker bedrohen unseren Staat, sondern jene Politikverächter mit Autorität, die eine ohnehin vorhandene dumpfe Ablehnung verstärken und Desinteresse zementieren. Es gilt also aus Gründen des Staatswohls und – ja durchaus auch – der Selbstachtung, Gegenrede zu führen.

Generation ohne Schicksal?

Wer heute im aktiven politischen Leben steht, der hat zumeist über viele Jahre hinweg in seiner Partei Basisarbeit geleistet, ist Fachkraft fürs Politische geworden. Nicht Lehrer dominieren heute die Parlamente, sondern Juristen und wissenschaftlich ausgebildete Menschen, die überwiegend aus der unteren oder mittleren Mittelschicht stammen. Das ist noch kein Ausweis besonderer Qualität, aber auch nicht des Gegenteils davon. Sie haben einen sozialen Aufstieg erlebt, den ihnen ihre Vorgänger von Herzen gönnen und als gutes Zeichen für vertikale Mobilität anerkennen sollten. Integration, soziale Durchlässigkeit und ein Bewusstsein für den Wert von Bildung prägt jene immer stärker werdende Gruppe. Dass sich viele vor ihrem Einstieg in die Berufspolitik und oft auch noch danach dem Ehrenamt der Kommunalpolitik widmen, ist gutes Rüstzeug.

Doch das ist gar nicht der entscheidende Vorwurf, so mag nun eingewandt werden. Schlimmer ist doch, dass eine Generation ohne Schicksal regieren will. Dies ist entwaffnend, denn einen Krieg hat sie Gott sei dank nicht erlebt. Der Frieden ist stabil, weil die Gründergeneration ein gutes Deutschland geschaffen hat. Durch Stahlgewitter kann also keiner der heute Agierenden mehr gegangen sein. Glückliches Deutschland, denn dass es so etwas nie wieder geben darf, ist unerschütterlich fest eingegraben bei allen heute und morgen Verantwortlichen. Es wäre gut, wenn die ältere Generation sich hier auch einmal selbst vertrauen könnte, ist es doch das Ergebnis eigener Erziehungsleistung.

Mit Steinen auf Polizisten, die Autos der Eltern oder des Establishments werfen – das dürfte kaum ein Abgeordneter oder eine Stadträtin von heute in der Jugend getan haben. Romantisierend-pseudopolitisches Ho-Chi-Min-Geschrei ist aus ihren Kehlen wohl ebenfalls kaum zu hören gewesen. Ist es das, was fehlt? Die Bereitschaft, wenigstens einmal im Leben „das System“ ernstlich in Frage gestellt zu haben, Staat und Gesellschaft an ihrer Wurzel hinterfragt zu haben? Hier irrt die Kritik: Gewisse Albernheiten hat die heutige Generation wahrhaftig unterlassen, vielleicht weil sie vom Weg ihrer Eltern etwas gelernt hat. Denn deren Marsch durch die Institutionen verlief von der Kommune ins Reihen-Einfamilienhaus in der Vorstadt mit Dienstwagen vor der Haustür und endete in der Verantwortung.

Wohlstandsbäuche auf dem Golfplatz

Entscheidend ist: Es gibt Menschen, die aus der Friedensbewegung, dem kirchlichen Widerstand der DDR, der Anti-AKW-Bewegung kommend, in ihren wilderen Tagen dennoch Formen der demokratischen Auseinandersetzung gewahrt haben. Dafür nahmen sie da und dort sogar erhebliche Nachteile in Kauf und wissen auch heute noch, wo absolute ethische Grenzen liegen. Es mag ja bedauerlich sein, wenn diese Radikalität manchen Politpensionären nicht weit genug geht. Die lamentieren folgenlos herum, während sie auf dem Golfplatz ihre Runden im über dem Wohlstandsbauch spannenden Lacoste-Pullover drehen.

Wenn das tiefe Bekenntnis zum Grundgesetz und zu dessen elementarem Sinngehalt – die Bereitschaft zum Wertedialog, zur Offenheit und Toleranz – von Übel sein sollen, dann hätten die Fundamentalkritiker in der Tat Recht. Im Reichstag befindet sich ein Kunstwerk, das an alle jene Parlamentarier erinnert, die Opfer des Totalitarismus wurden. Sie haben gelitten oder sind sogar gestorben für ihr Bekenntnis zum demokratischen Staat. Ob es heutzutage viele Menschen gäbe, die diese Prüfungen für unseren Staat auf sich nehmen würden, lässt sich nur schwerlich sagen. Wir können es aber hoffen.

Herausforderungen wie nie zuvor

Wichtiger ist, dass Politik das Aufkommen von Situationen verhindert, die diesen dann hoffentlich doch vorhandenen Heroismus erfordern. Als eine permanente Dauerhaltung wäre dieser jedoch bedenklich. Kontinuierliche Arbeit, gewinnbringend für Land und Menschen eingesetzt, ist ein hohes Gut, auch wenn es manchem langweilig und routiniert vorkommt. Alles andere ist Geschwafel bramarbasierender Rentner auf dem Niveau von „Früher war alles besser“ oder „Die Jugend von heute taugt nichts“. Nicht mehr und nicht weniger. Oder wollen jene ewig jugendlichen Silver-Kids tatsächlich die glaubwürdig radikalen Konvertiten zum Islam als Leitbild einer kritischen jungen Generation ausrufen, die sich über das sonstige Mittelmaß erhebt? Wohl kaum.

Noch nie hat sich eine Politikergeneration in immer kürzerer Zeit immer größeren Herausforderungen im ungewissen Handlungsumfeld der Globalisierung stellen müssen: neue Kommunikationstechniken, das Ende der Rohstoffvorräte, die Spaltung der Erde in Arm und Reich, Gesund und Krank, die drohenden Umweltgefahren, das Wüten des Finanzkapitalismus. All diese und weitere Themen stehen auf der Tagesordnung. Die heute in der Pflicht stehen, wissen um ihre Verantwortung. Sie sind genauso pflichtbewusst und fleißig wie ihre Altvorderen es waren. Auch der Vorwurf, dass das Fach- und Hintergrundwissen heute nicht mehr vorhanden sei, stimmt nicht. Dafür sind viele Ältere – teilweise sogar bekennende – Analphabeten im Netz. Dort, wo das Wissen heute zu finden ist, sind sie nicht präsent.

Gut, dass sich der Stil geändert hat

Sollte es stimmen, dass Politiker heute nicht ebenso talentiert sind wie ihre Vorgänger, dann wäre dies eine vernichtende Kritik an der Personalauswahl in Parteien und letztlich auch an der Entscheidung der Wähler. Die Wahrheit ist doch: Jede Zeit fordert Menschen auf ihre Weise bis an die Grenzen und gelegentlich auch darüber hinaus.

Wie dem auch sei, es ist gut, dass sich der Politikstil gewandelt hat. Mögen viele immer wieder die großen Debatten aus den Zeiten von Franz-Josef Strauß und Herbert Wehner bemühen, man darf deren Inbrunst und Sprachgewalt durchaus anerkennen. Mehr aber auch nicht. Wollen wir wirklich ein Parlament, in dem sich demokratisch gewählte Abgeordnete regelmäßig diffamieren, anschreien, persönlich herabwürdigen und als charakterlose Lumpen beschimpfen? Wäre dies dem Ansehen des Hohen Hauses förderlich?  Da sind Zweifel erlaubt. Wer den anderen niederschreit, ihn wenigstens einen Halbverbrecher nennt, dem ist heute noch nicht einmal das zustimmende Gejohle der ja ohnehin immer kleiner werdenden eigenen Anhängerschaft gewiss. Gute Rhetorik ist dennoch erwünscht.

Heute ist Politik doch angenehm anders. Sie findet nicht mehr bei endlosen Arbeitsessen statt, die am Schluss ohne Genuss bleiben, weil sie doch nur kalter Taktik dienen. Wenn diese Ablehnung dazu dient, dass sich heute wenigstens ein kleiner Teil der politisch Verantwortlichen Reste eines eigenen persönlichen Lebens bewahren kann, ist dies sympathisch und gut.

Wer seit zwei oder drei Wahlperioden dem Deutschen Bundestag angehört, musste über unvorstellbar groß dimensionierte Rettungsschirme aller Art, Militäreinsätze, Grenzen der Medizin, Freiheit im digitalen Zeitalter eben nicht so ganz nebenbei, sondern zusätzlich zu seiner hoffentlich soliden Wahlkreisarbeit entscheiden. Das prägt. Denn wer heute und in Zukunft Politik nicht zynisch betreibt, dem ist sehr klar, dass er keine billigen Wahlgeschenke und ein ständiges Mehr anbieten kann, sondern jene Rosen wieder einsammeln muss, die andere vor ihm verantwortungslos als Dreingabe verschenkten. So wenig echte Menschenfreundlichkeit, so viel gerissene, im landläufigen Sinne bloße Taktik um der Taktik willen wie damals taugt nicht. Die sich selbst für ewig unverzichtbar haltende Truppe, die nie echte menschliche Nähe, dafür aber der bloße Wille zur Macht verband, braucht niemand mehr.

Gebraucht wird neue Ernsthaftigkeit


Eine neue Ernsthaftigkeit ist also gefordert. Kein Zweifel: Nicht alle werden diesem Anspruch gerecht; genügend viele aber doch. Allen Zweiflern und Selbstgerechten sei zum Beleg die Debatte über Spätabtreibungen in der vergangenen Wahlperiode zur Lektüre empfohlen. Fraktionsgrenzen spielten dabei keine Rolle. Wohl aber die Verantwortung vor Gott und den Menschen. Deshalb hat die linke Sozialdemokratin Andrea Nahles eine Rede halten können, die zwar den Applaus konservativer Kleriker, aber nicht mehr den der traditionellen Feministinnen fand.

Wenn Rock’n’Roller überheblich werden

Joschka Fischer war in der bekannt dezenten Diktion seiner Generation gemäß Selbsteinschätzung der letzte „Live-Rock’n’ Roller“ der Politik. Mag sein, dass dies zutrifft. Für heutige Ohren klingt diese Musik eingängig, jedoch nicht revolutionär. In Zeiten von Hip Hop und Techno keinesfalls. Die juvenilen Rentner sollten offen und lernbereit auf die neuen Stilrichtungen zugehen. Dann verstehen sie vielleicht, dass das andere möglicherweise fremd, aber deswegen nicht schlechter ist. Apropos Überheblichkeit: Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hat mit Blick auf sich und die nachfolgende Generation einmal sinngemäß gesagt, er schaue sich um und um – und dann müsse er halt doch weitermachen.

Nun ja, zum Vatermord eignet sich die Generation der Berliner Republik wahrhaftig nicht. Sicher ein Manko. Die Schrödersche Attitüde hat es Nachfolgenden jedenfalls oft verwehrt, sich ausreichend zu entfalten. Der Respekt war manchmal zu groß.

Viele haben sich deshalb gar nicht erst in die Arena gewagt oder haben sie schnell wieder verlassen, weil die Matadore sie noch nicht einmal als Picadores wollten. Gegen deren grundsätzliche Fähigkeit zur Politik spricht dies jedoch nicht. Vielleicht nur gegen ihre Bereitschaft, Politik immer als blutigen Stierkampf anzusehen, bei dem der triumphierende Torero den abgeschnittenen Schwanz, die Ohren oder gar die Hoden des heldenhaft Erlegten als Trophäe erhält.

Wer borniert und überheblich nur die eigene vermeintliche  Vollkommenheit sieht, hat nicht die Souveränität, andere Talente zu erkennen, geschweige denn zu fördern. Dabei gäbe es so viel zwischen der ausgeschiedenen, der mühsam scheidenden und der nachkommenden Politikergeneration weiterzugeben und zu klären. Denn die austauschbaren, geklont und gestriegelt wirkenden Typen ohne Kreativität und Ziele, ohne Mut und Ideale, ohne eigene Meinung und Haltung – es gibt sie ja leider wirklich. Sie zu kritisieren ist Pflicht. Manche haben es ja auch in der Vergangenheit geschafft, die Metamorphose vom Bruder Leichtfuß zum Staatsmann zu vollziehen.

Repolitisiert die Politik!

Die Gefahr der Beliebigkeit bedroht unsere gesamte Gesellschaft und damit auch die Politik. Die Repolitisierung der Politik ist gefordert. Streit und Dialog darüber sind nötig. Dazu können Einstige und Heutige wichtige Beiträge liefern. Manche „Großväter“ wie Hans-Jochen Vogel machen vor, wie das gehen kann. Wer über die unstreitig vorhandenen Defizite ohne Polemik und Vorhaltungen redet und diese nicht nur selbstgefällig vorhält, kann Bewegung auslösen.

Was waren Willy Brandt oder Helmut Kohl, um nur zwei besonders Prominente zu nennen, in ihrem Leben je wirklich anderes als Politiker? Sie mussten immer schon vom Staate reden. Diese Leidenschaft kennzeichnet noch heute viele, die unter dem Spott ihrer Altersgenossen Politik zum Beruf erheben. Sind die einen gesichtslos und blasiert, die anderen seelenlos und larmoyant? Vielleicht schaffen es die beiden hedonistischen Generationen doch noch, ins Gespräch zu kommen. Die res publica hätte es verdient. «

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