Kohl, Macht, Geld

Drei Autoren der Süddeutschen Zeitung untersuchen die CDU im Schatten der Spenden-Affäre

Die 27 Stichworte auf einer schmalen, roten Cover-Banderole der CDU-Skandalchronik sagen mehr, als der etwas spröde, den Sachverhalt verengende Buchtitel Helmut Kohl, die Macht und das Geld. Denn das Autoren-Trio der Süddeutschen Zeitung Leyendecker-Stiller-Prantl versucht auf 6oo dicht geschriebenen Seiten das wohl größte politische Sumpfgebiet der deutschen Nachkriegsgeschichte abzustecken, zu vermessen und schließlich trockenzulegen. Ihre politische Unions-Geografie reicht von Stichwörtern wie Staatsbürgerliche Vereinigung über Flick-Affäre bis zu Leuna-Komplex.


Der Machtmensch Helmut Kohl mit dem besonderen Gespür für Geld und Personal schlängelt sich zwar wie ein schwarzer Faden durch die Aufklärungsschrift. Gleichzeitig wird aber bis zur letzten Seite immer klarer, dass Vorteilsnahme und Illegalität, Untreue und Betrug nicht allein das persönliche Instrumentarium des Ex-Kanzlers prägten, sondern dass der Bruch rechtsstaatlicher Prinzipien offenbar zur Innenausstattung der Unionsmacht gehört. Auffällig ist die Zurückhaltung der Autoren bei der Analyse ihres Fakten-Konvuluts. Fleißig haben sie Mosaikstein an Mosaikstein zusammengefügt, die Arbeit der Einordnung und Zuspitzung überlassen sie aber weitgehend ihren Lesern, Motto: Fakten sprechen für sich.


Das Fundament für die Innenansicht der CDU legt Hans Leyendecker auf gut 2oo Seiten. Leise, ohne Häme und Schärfe, wird aus dem Staatsmann Kohl die Machtmaschine Kohl, die selbst vor der Vernichtung langjähriger Weggefährten - wie etwa Wolfgang Schäuble - nicht halt macht. Leyendecker läßt sich im Klappentext zu Recht als Chronist zahlreicher Affären bezeichnen. Er liefert eine nüchterne, faktenreiche und überzeugende Chronik, die nicht zuletzt auf Grund der detailreich dokumentierten Kohl-Systematik "Geld - Macht - Einfluß" eine deutsche Legende zerstört. Auffällig ist, dass die hessische Spendenaffäre nicht im Zentrum der Ausarbeitungen steht, sondern eher am Rande eingearbeitet wird.

Das sumpfige Macht- und Beziehungsgeflecht zwischen CDU und CSU wird dann im zweiten großen Kapitel von Michael Stiller ausgeleuchtet. Er seziert das weiß-blaue Amigo-System mit den Protagonisten "Strauß, Schreiber & Co." Seine materialreich unterfütterte Bestandsaufnahme legaler Korruption an der Schnittstelle zwischen Politik und Geschäft dürfte nicht nur der "Arbeitsgemeinschaft christdemokratischer Juristen" die Augen öffnen. Stiller zerstört von Kapitel zu Kapitel den Glauben an den Rechtsstaat, zermürbt alle, die an Recht und Gesetz glauben, und hinterläßt aufklärerische Desillusion.

Vorteilsnahme, schwarze Kassen, Bestechung konnten nur funktionieren, weil durch Seilschaften nicht nur die Saubermänner Koch und Kanther so gut abgesichert waren. Statt innerparteilicher Demokratie herrschte in der CDU offenbar jahrzehntelang die omerta.

Hier setzt Heribert Prantl an. Aus seiner Sicht ist nicht die CDU-Krise wirklich gefährlich - "gefährlich wäre das Scheitern ihrer Bewältigung". Der Konjunktiv ist wohl mit Bedacht gewählt. Denn Prantl kann sich in seiner Skandal-Folgeeinschätzung nicht so recht entscheiden. Klärt die CDU ausreichend auf, und rechnet sie mit den Verantwortlichen ab? Oder setzt sie auf Zeit (und auf die Vergeßlichkeit des verdrossenen Wahlvolks) und klammert sich an Kohls Herrschaftslogik des Aussitzens?

Der erste Block des Schlußkapitels beschäftigt sich mit der "Veralltäglichung des Ungesetzlichen". Fünf Lehren zieht der frühere Richter und Staatsanwalt aus der Skandalchronik. Prantls Vorschläge zur radikalen Reform der Parteienfinanzierung, sein Plädoyer für Plebiszite und seine Vorschläge zur Verbesserung der Untersuchungsausschüsse sind klar, nachvollziehbar und demokratisch geboten. Die von ihm geforderte Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften und die Reform der Strafprozeßordnung in bezug auf die Würdigung von Beweismitteln ergänzen die Agenda der überfälligen Reformen.

All diese Leitideen stehen in krassem Widerspruch zum Stand der Aufarbeitung der Spendenaffäre durch die CDU-Eliten. Das Aufklärungsinteresse der handelnden Akteure ist unterentwickelt. Roland Koch repräsentiert wohl den Mainstream der Partei; was die neue Parteispitze unter Angela Merkel mitten im von der CSU attestierten "Harmonieterror" wirklich will, können auch Deutschlands innenpolitische Leitwölfe (noch) nicht bemessen.

Sie liefern einen riesigen Steinbruch von Fakten, Materialien und Belegen, die die Rechtsstaats-Partei CDU im Kern treffen. Tiefergehende Analysen zu den Versäumnissen der Justiz, der Medien, der Opposition und anderer Akteure in den vergangenen zwanzig Jahren stehen noch aus. Daß über Jahre innerparteiliche Demokratie in der CDU ausgeschaltet war, störte offenbar niemanden.

Diese Analyse-Lücke zur Anatomie der Regierungspartei CDU wirft ein Schlaglicht auf die verkümmerte Parteienforschung, die sich der CDU/CSU offenbar nur über abgelagerte Sekundärquellen nähert. Die wenigen Vertreter dieser Forscherspezies werden deshalb jedenfalls in den nächsten Jahren auf die Standardchronik des Münchner Triumvirats zurückgreifen können, um das System konservativer Machtsicherung im Gewand rechtsstaatlicher Rhetorik zu entschlüsseln.

Hans Leyendecker/ Heribert Prantl Michael Stiller: Helmut Kohl, die Macht und das Geld, Steidl-Verlag, Göttingen 2000, 48 Mark, 608 Seiten

zurück zur Ausgabe