Klima und Gerechtigkeit

Die Deutschen sind Weltmeister im Mülltrennen. Sie müssten es auch beim Energiesparen und in der Ressourcenproduktivität werden. Gelingen wird uns das aber nur, wenn wir Ökologie umfassend mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit verbinden

Nehmt der grünen Bewegung die vermeintliche Zuständigkeit für Umweltfragen weg!, forderte vor zwei Jahren der britische Soziologe Anthony Giddens in dieser Zeitschrift (Berliner Republik 3/2006). Seinen Appell richtete er an die Sozialdemokraten, um ihnen sogleich Versäumnisse in den vergangenen Jahrzehnten zu bescheinigen. Noch sei es nicht gelungen, die ökologische Agenda umfassend mit der Frage der sozialen Gerechtigkeit zu verbinden. Doch woran das gelegen haben mag, darüber schwieg sich Giddens aus.

Lange Zeit galt Umweltschutz als ein eher randständiges Thema, mit dem sich kaum Mehrheiten gewinnen ließen. Zu komplex die Materie, zu viel moralinsaures „Gutmenschentum“, zu technologie- und fortschrittsfeindlich die Umweltschützer, so die gängige Meinung. Dabei wurde geflissentlich übersehen, dass viele spürbare Verbesserungen der Umwelt- und somit der Lebensqualität wie saubere Luft und Gewässer auf technischen Innovationen beruhen – etwa die Einführung von Katalysatoren für Fahrzeuge oder von Filtern für Industrieanlagen. Freilich geschah dies nicht auf freiwilliger Basis. Die Industrie musste politischen Vorgaben nachkommen, zum Beispiel strengeren Grenzwerten für Schadstoffe. Oft leistete sie Widerstand und beschwor das Szenario des Niedergangs ganzer Branchen herauf. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Und noch länger haben wir bedenkenlos gewirtschaftet. Angetrieben von einem Fortschrittsglauben, der auf die Eroberung und Ausbeutung der Natur bei gleichzeitiger Abkopplung normativer Fragestellungen von der Wissenschaftspraxis und dem Ausschluss eines Großteils der Menschheit fußte, haben die meisten Staaten auf der Nordhalbkugel einen Lebensstandard erreicht, der in dieser Form für die Mehrheit der heute mehr als sechs Milliarden Menschen (und erst recht nicht für die bis zum Jahr 2050 zu erwartenden neun Milliarden) nicht zu verwirklichen sein wird. Die Verknappung der Naturgüter und Rohstoffe, die begrenzte Verfügbarkeit fossiler Energieträger bei wachsendem Energiebedarf und der sich abzeichnende Klimawandel sind die Folgen einer Wirtschaftsweise, die alles andere als gerecht und vernünftig ist – und die Zukunft als Müllhalde betrachtet.

Eiskalte Lust am Untergang?

Angesichts immer häufiger auftretender Wetterextreme, steigender Preise für Treibstoff, Strom und Gas, unserer wachsenden Abhängigkeit von den Ausfuhren politisch instabiler Staaten, aber auch der Überfischung der Meere und der Zerstörung des Regenwalds stecken wir mitten im ökologischen Ernstfall. Nun mögen Skeptiker mit Verweis auf die Stichworte „Ozonloch“ oder „Waldsterben“ entgegnen, Öko-Alarmismus habe es doch schon früher gegeben. Spricht also nicht auch jetzt aus den Mahnern die eiskalte Lust am Untergang, wenn sich die Meldungen in den Medien über schmelzende Gletscher und steigende Meeresspiegel häufen? Und was bitteschön haben Ökologie, Energieknappheit und Klimawandel mit Gerechtigkeit zu tun? Reicht es nicht aus, wenn wir effizientere Geräte und verbrauchsärmere Autos produzieren?

Die Berichte des Klimarats der Vereinten Nationen im vergangenen Jahr haben uns die Gefahren eines sich weltweit wandelnden Klimas noch deutlicher vor Augen geführt. Kippt das Weltklima, gehen ganze Regionen in den Fluten unter, in anderen Gebieten breitet sich die Wüste aus, Millionen Flüchtlinge begeben sich auf die Suche nach fruchtbarem Land und Wasser, Tierarten sterben aus, Ökosysteme gehen verloren.

Überschwemmungen, Dürren, Hurrikane, Brände, Flüchtlingsströme, drohende Klimakriege: Der Klimawandel berührt wesentliche Aspekte der Außen- und Sicherheitspolitik. Doch nicht nur das. Er verstärkt auch die sozialen Ungleichheiten, denn die Armen und Schwachen trifft er am härtesten. Er führt zu Verteilungskämpfen zwischen Gesellschaften und gefährdet die Existenz der am niedrigsten entwickelten Länder, die am wenigsten zur globalen Erwärmung beigetragen haben. Und wie der frühere Weltbank-Chefökonom Nicholas Stern vorgerechnet hat, könnte der Klimawandel uns alle teuer zu stehen kommen. Stern schätzt, dass schnelles und entschlossenes Handeln der Staatengemeinschaft etwa ein Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes kosten würde, Nichthandeln hingegen bis zu 20 Prozent.

Die meisten Opfer sitzen im Unterdeck

Der Klimawandel sei nicht demokratisch, konstatierte der Soziologe Ulrich Beck im Jahr 2007 in einem Beitrag für die Zeit. Er verglich eine mögliche Klimakatastrophe mit dem Untergang der Titanic: Die Mehrzahl der Opfer sitzt im billigen Unterdeck. Beck zufolge ist es an der Zeit, die Gretchenfrage zu stellen, wie wir es mit der globalen Gerechtigkeit halten. Gerechtigkeit sei die Schlüsselfrage des beginnenden 21. Jahrhunderts. Sie müsse ökonomisch wie auch ökologisch neu buchstabiert werden, und zwar global wie national.

Denn auch in den westlichen Ländern geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Dem jüngsten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zufolge lebt jeder achte Deutsche in Armut. Steigende Energiepreise bedeuten für Menschen mit geringem Einkommen eine weit höhere Belastung als für die Mittelschicht. In den vergangenen Monaten kam daher ein neues Schlagwort auf: „Energiearmut“. Sozial schwächere Haushalte und Geringverdiener sehen sich zusehends vor die Alternative zwischen einer warmen Wohnung und einem vollen Benzintank für den Weg zur Arbeit gestellt. Ulrich Beck stellt die Kardinalfrage: „Wie will man die Kosten der Klimapolitik angesichts kultureller Unterschiede und sozialer Ungleichheiten gleich verteilen?“ Besonders Sozialdemokraten sind gefordert, darauf eine Antwort zu finden.

Was vom geplanten Fortschritt übrig bleibt

Die SPD bekennt sich zu den Grundwerten der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität. Als Partei ist sie aus der Industrialisierung der Gesellschaft entstanden und sah sich lange Zeit als Garant eines technisch planbaren Fortschritts. Tief verankert in der industriearbeiterlichen SPD waren der Anspruch auf möglichst gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen sowie der Wunsch nach Teilhabe an den Errungenschaften des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts. Doch der Wohlstand ging zuweilen zu Lasten der Umwelt. So führten etwa das „Häuschen im Grünen“ und die mit den Anforderungen der Arbeitswelt stetig wachsende Mobilität dazu, dass immer mehr Flächen und Freiräume für Siedlungen und Verkehr versiegelt wurden, der Kraftstoffverbrauch stieg und in der Folge mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangte.

Eine Gesellschaft, die nicht nur sozial, sondern auch ökologisch gerecht sein will, muss die Grundlagen ihrer Wirtschaftsordnung auf den Prüfstand stellen. Sie bezieht nicht nur den wirtschaftlichen Überschuss in ihre Betrachtungen ein, sondern auch den Verbrauch an Umwelt in Form natürlicher Ressourcen sowie die gesundheitlichen Belastungen für die Bevölkerung, etwa Lärm oder Schadstoffe in der Luft und in den Gewässern. Nicht nur der Wohlstand wird in solch einer Gesellschaft gerecht verteilt, sondern auch dessen Folgen: Die bislang von der Allgemeinheit getragenen Folgekosten müssen internalisiert, dem Verbrauch der Umwelt muss ein Preis gegeben werden. Eine sozial und ökologisch gerechte Gesellschaft unterwirft sich nicht dem Primat einer Ökonomie der Kurzfristigkeit und der höheren Renditeerwartung, sondern handelt nach dem Prinzip der Verantwortung. Sie stellt sich auch die Frage: Wie wollen wir miteinander leben, heute und morgen?

Wir werden uns anpassen müssen. Wir werden die Kultur der Verschwendung korrigieren müssen. Und wir werden die bisher geltende Akkumulationslogik von Wachstum und Wohlstand in Frage stellen müssen. In ihrem neuen Grundsatzprogramm verpflichtet sich die SPD zu nachhaltigem Fortschritt und qualitativem Wachstum. Sie bekennt sich zur Energiewende, also zum Ausbau der erneuerbaren Energien, zur Steigerung der Energieeffizienz, zur Abkehr vom Öl, zum Atomausstieg, und zum Schutz der Umwelt. Dazu ist zweifellos eine ökologische Industriepolitik notwendig – ebenfalls eine Forderung im Hamburger Programm.

Das kulturelle Klima muss sich wandeln

Gewiss, technische Innovationen, die einen effizienten Umgang mit endlichen Ressourcen ermöglichen, und Marktanreize zur Herausbildung von „grünen“ Leitmärkten verringern die Importabhängigkeit Deutschlands und schaffen zukunftssichere Arbeitsplätze. Auch scheint das Thema Umweltschutz mittlerweile in den Vorstandsetagen angekommen zu sein. Doch das „Ergrünen“ der Wirtschaft allein reicht als Antwort auf die Klimaveränderung und die drohende Weltwirtschaftskrise nicht aus. Würde man als Lösung nur auf eine effizientere Technik setzen, hieße das zu verkennen, dass die Probleme zum großen Teil aus einem falsch verstandenen Fortschrittsbegriff resultieren. Das kulturelle Klima muss sich wandeln! Denn es sind die liebgewordenen Lebensgewohnheiten, Konsummuster und ein Mobilitätsverhalten westlicher Prägung, die in der globalen Klima- und Ressourcenbilanz negativ zu Buche schlagen – auch wenn seit neuestem China der weltgrößte Emittent von Treibhausgasen ist. Zunächst braucht es einen breiten gesellschaftlichen Veränderungsprozess in den Industrienationen, bevor diese beim Kampf gegen den Klimawandel Minderungsziele von den Schwellenländern verlangen. Es heißt, die Deutschen seien Weltmeister im Mülltrennen; sie müssten es auch beim Energiesparen und in der Ressourcenproduktivität werden.

Allzu viele Chancen bekommen wir nicht mehr

Die Umwelt- und Klimapolitik muss in der Mitte der Gesellschaft ankommen und nicht bloß als ein Reparaturbetrieb oder ein Terrain betrachtet werden, auf dem sich „Gutmenschen“ tummeln und mit ernster Miene ihre Mitmenschen zum Verzicht auffordern. Das sind Annahmen und Vorurteile von gestern. Wir leben in einer sich rasant verändernden Welt, die uns vor zwei wesentliche Herausforderungen stellt: die Globalisierung menschlicher zu gestalten und dem Klimawandel aktiv zu begegnen. Insofern ist Giddens’ Forderung, die ökologische Agenda umfassend mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit zu verbinden, längst überfällig. Wir müssten nur endlich damit Ernst machen und den anstehenden Transformationsprozess in Richtung einer sozial und ökologisch gerechten Gesellschaft als Chance erkennen. Wir sollten sie ergreifen, denn allzu viele weitere werden wir nicht mehr bekommen.■

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