Jenseits der Neuen Mitte...

Knallzeugen all überall

Endlich! Es geht wieder los! Sense mit der langweiligen Zeit, in der einzig hungernde Handwerker, Anti-Rechts-Barden und Turibusse sich um das Brandenburger Tor drängelten. Welches übrigens für die kommenden zwei Jahre zwecks Renovierung ganz verhüllt werden soll, um dann zur Wiederwahl des Bundeskanzlers einen freudig erregten Exklusiv-Strip hinzulegen.

Los geht′s also: Der Bundestag sitzt wieder und mit ihm die allseits geschätzten Vertreter des Volkes. Unter ihnen befindet sich auch Friedrich Merz, der gestreckte Zeigefinger der Nation. Gleich in der ersten Sitzungswoche versuchte er sich an einer Rede zur Politik im Allgemeinen und zur Regierungsarbeit im Besonderen. Da Friedrich aber seinen Mahnfinger laut Imageberater nicht mehr allzu oft in die überkuppelte Höhe des Plenums recken soll, langweilte sich das ganze Haus - Redner inklusive. Gerettet wurde die Situation allein durch seinen putzigen Einfall, die Sozialdemokraten mal eben coram publico in toto zu Vereinigungsgegnern zu erklären. Einfach so. Ohne irgendeinen erkennbaren Zusammenhang mit irgendwas. Aus reiner Langeweile über seinen eigenen Text. Das gab ein Hallo! Sogar die eigene Fraktion - gewöhnt an tiefen Schlummer zur Merzredenzeit - jappste auf. Es war wie bei den berühmten Knallzeugen: Unfall nicht gesehen, nur Knall gehört, umgedreht, paff‘. Als Zeuge zu nix zu gebrauchen.

Und so hörte man denn im Plenum Sätze wie diesen: "Klasse, daß der das mal gesagt hat! Was hat er denn gesagt? Na gegen die Dingsdasteuer! Super!" Zuruf aus der FDP: "Aber bleifrei!" Womit sich meine Lieblingsabgeordnete wieder mal auf höchstem Niveau geoutet hätte.

Einen schönen Knallschaden haben die Spitzenpolitiker Beckstein (CSU) und Ditfurth (nix mehr) zusammen ausgeheckt und unter die Leute gebracht. Günther B. und Jutta D. sind irgendwie gegen Harmonie und auf Krawall gebürstet. Jutta hat darüber ein ganzes Buch geschrieben und platzierte ihre "scharfe linke Kritik" dann auch passender Weise im letzten scharfen Blatt der Republik, der Neuen Revue. Dort können die grünen Spitzen bei ihrer gewohnten Wochenlektüre dann ganz schnell herausfinden, was Jutta über sie schludert, und der Günther soll sich auch darüber gefreut haben. Der nämlich denkt auch so. Nicht allein über die Grünen, sondern auch über die CDU. Zwischen seiner Attacke gegen den "Harmonieterror" und Juttas "hochneurotischen Parvenüs" ließe sich doch leicht ein schönes neues Parteiprogramm aufspannen. Im Kloster Banz sollen die beiden turtelnd gesehen worden sein. In der kommenden Woche berichtet die Neueste Revue: "Zwischen beiden hat es erst gefunkt und dann richtig doll geknallt".

Apropos Knallen: Zehn Jahre nach der rauschenden Einheitsfeier hat die ganze Euphorie auch den neuen Sender SechsachtsiebenMedienAg erwischt. In lockerer Folge werden vierstündige Kurzportraits von den Helden des Mauerfalls gesendet. Unter ihnen solche dem unrechten Vergessen anheim gefallenen Größen wie Juliane Weber, Rudolf Seiters, Josef Duchac, Günter Krause, Lena Himmelmann und Helmut Kohl. Günther Beckstein und Jutta Ditfurth werden moderieren. Wir dürfen gespannt sein.

Da aufgrund der hohen Spritpreise (immer noch 2,50 Mark unter der Grünen-Forderung!) der Autoverkehr in Berlin fast zum Erliegen gekommen ist, tummeln sich nur noch Berufspendler und Fatalisten auf unseren Straßen. Wenn mehrere Abgeordnete zusammen einen Shuttlebus besteigen, treffen diese Kategorien zusammen. Abenteuerlichen Mischungen kann man da begegnen, eng in alle Ecken gequetscht gehen sich Regierung und Opposition im Fahrzeuginneren aus dem Wege und lassen so Platz für im letzten Moment dazuspringende Kollegen der ganz falschen Fraktion. Das fördert dann die Solidarität der Insassen. Denn darin sind sich alle einig: Mit Liberalen und Rotroten kann die Sache nicht gutgehen. Freiheitlichen Sozialismus kennt noch nicht mal der ansonsten deregulierte Straßenverkehr.

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