It´s the quality, stupid!

Deutschland gibt für Bildung genauso viel Geld aus wie PISA-Sieger Finnland - doch mit Bildungsmärchen und Tonnenideologie wird die Öffentlichkeit systematisch in die Irre geführt. Was in Wirklichkeit fehlt, sind Effizienz und Effektivität

Paradoxer geht es nicht: Anstatt über Qualität, über Bildungsinhalte, über die Passgenauigkeit von Strukturen, über die gesellschaftliche Wertschätzung von Bildung oder über das gesellschaftliche Ansehen von Lehrern zu diskutieren, reduziert man Bildungsfragen in Deutschland zunehmend auf Geldfragen. So nahm die deutsche Presselandschaft im vorigen Jahr fast flächendeckend nur eine einzige Botschaft der OECD-Studie Bildung auf einen Blick zur Kenntnis: Deutschland investiert angeblich zu wenig in Bildung, gibt also zu wenig Geld aus. Ganz nach dem Motto „Mehr Geld = Mehr Bildung“ wird so einer Tonnenideologie gehuldigt, die im Zeitalter der Massenproduktion vielleicht noch verständlich gewesen sein mag, aber sicher nicht für die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft von morgen taugt.

Vertreten wird diese Tonnenideologie in der deutschen Öffentlichkeit von einem Bildungsadel, der sich aus vier Gruppen zusammensetzt: dem Lehrpersonal, den Konsumenten von Bildungsgütern, den Journalisten und den Bildungspolitikern. Da auch die beiden zuletzt genannten Gruppen meist selbst dem akademischen Milieu entstammen, erscheint ihr Engagement in der Verteidigung des Bildungssektors nicht gerade unverständlich. Dieser vierfaltige Bildungsadel verbündet sich – wie jede andere gesellschaftliche Interessengruppe auch – regelmäßig gegen den Rest der Gesellschaft, um von den Steuerzahlern oder auf Pump finanziert zusätzliches Geld für den Bildungssektor zu erstreiten. Fragen der Qualität bleiben in dieser Auseinandersetzung meist ebenso auf der Strecke wie solche der Effizienz: Ob die von der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Ressourcen vielleicht nicht deshalb zu inakzeptablen Ergebnissen führen, weil die bestehenden Systeme schlecht organisiert und ineffizient sind, wird vom Bildungsadel nicht diskutiert. Ebenso wenig interessiert ihn folgerichtig, wie die Effizienz des Systems erhöht werden könnte. Stattdessen geht es stets darum, wie das ineffiziente System mit weiteren Ressourcen ausgestattet werden kann, um den Gesamt-Output dennoch zu erhöhen. Die deutsche Bildungsdiskussion ähnelt daher durchaus der Situation einer Fahrradfabrik, die 50 Prozent Ausschuss produziert, woraufhin der Werksleiter zur Erhöhung des Outputs den Bau einer weiteren Fabrik anregt, anstatt einfach die Ausschussproduktion zu minimieren.

Ehrliche Diskussion? Kein Interesse

Und warum das Ganze? Weil die Bildungspolitiker, das Lehrpersonal sowie die Konsumenten von Bildungsgütern von einer offenen und ehrlichen Diskussion über Ineffizienzen, über Fehlentscheidungen, über funktionsuntüchtige Strukturen selbst negativ betroffen wären. Alle drei Gruppen tragen in erheblichem Ausmaß zu den bestehenden Ineffizienzen bei und haben demnach gar kein Interesse, die Gründe, die zu dieser Situation geführt haben und auch weiterhin führen, offen und schonungslos zu benennen. Wie kann es etwa sein, dass in manchen Fächern 70 Prozent der Studierenden ihr Studium wieder abbrechen und sich deutsche Hochschullehrer hierfür nicht verantworten müssen? Warum werden deutschlandweit fast 30 Prozent aller Schüler zurückgestellt oder wiederholen eine Klasse? Warum verlassen etwa 10 Prozent aller Schülerinnen und Schüler die Schule ohne jeden Abschluss?

Um von dieser Situation abzulenken und um selbst nicht in das Kreuzfeuer der Kritik zu geraten, umgeben sich die Vertreter und Sympathisanten des Bildungssektors lieber mit dem Glamour des „Bildungsadels“. Bildung ist eben nach dem Werthers-Echte-Prinzip etwas ganz Besonderes und hat folglich durch die Gesellschaft eine Wertschätzung zu erfahren, die in Europa in harten Euro und auf OECD-Ebene in Dollar gemessen wird.

Erst Effizienz, dann (vielleicht) mehr Geld

Es ist bildungspolitisch allerdings einfach sinnlos, ein ineffizientes System mit mehr Ressourcen auszustatten. Es läge daher im Interesse einer qualitativen Entwicklung, die Diskussion umzukehren: Erst müssen die Systeme effizient und qualitativ hochwertig reorganisiert werden, dann kann sinnvoll die Frage diskutiert werden, in welchem Umfang die Gesellschaft dem Bildungssektor (mehr) Geld zur Verfügung stellen will. Nur auf diesem Wege kann abgesichert werden, dass sich ein Mehr an Geld auch in einem Mehr an Bildung niederschlägt. In einem ineffizienten System hingegen versickert zusätzliches Geld in ineffektiven Strukturen und wird den Kindern und Jugendlichen gerade keinen (Bildungs-)Mehrwert bringen.

Betrachtet man die Bildungsausgaben einzelner Volkswirtschaften in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und wertet dies zugleich als Bereitschaft dieser Länder, in Bildung zu investieren, schneidet Deutschland auf den ersten Blick keinesfalls gut ab. Mit Ausgaben in Höhe von 5,3 Prozent des BIP lag Deutschland im Jahr 2001 hinter dem OECD-Durchschnitt von 6,2 Prozent. Allerdings galt dasselbe auch für den PISA-Sieger Finnland mit 5,8 Prozent. Die finnische Gesamtausgabendifferenz von 0,5 Prozent des BIP für Bildungsleistungen gegenüber Deutschland lässt sich dabei vollständig über Unterschiede im Hochschulsektor erklären. Für sich genommen ist der Indikator „Bildungsausgaben in Prozent des BIP“ also offensichtlich wenig aussagekräftig. Das hat mindestens drei Gründe:

Erstens berücksichtigt dieser Indikator nicht, in welchem Umfang die Mittel aus öffentlichen und privaten Quellen stammen. Im Jahr 2001 betrug dieses Verhältnis in Deutschland 81:19 und bewegte sich damit im OECD-Durchschnitt. Auffällig ist, dass besonders zu den skandinavischen Staaten ein erheblicher Unterschied besteht. In Finnland beispielsweise trägt der Staat mehr als 98 Prozent der Bildungsausgaben. Dies ist allerdings nur möglich, weil in Skandinavien die Steuerquoten (Steuern in Prozent des BIP) deutlich höher liegen als in Deutschland. Beides zusammen, hohe öffentliche Anteile an den Bildungsausgaben und niedrige Steuern, ist nicht machbar. Wer daher für die Erhöhung des öffentlichen Anteils an den Bildungsausgaben und zugleich hohe Gesamtausgaben in Deutschland plädiert, muss sich auch für massive Steuererhöhungen stark machen.

Auf Motivation und Engagement kommt es an

Zweitens berücksichtigt der Indikator „Bildungsausgaben in Prozent des BIP“ nicht die tatsächliche Zahl der Bildungskonsumentinnen und -konsumenten. Geben zwei Länder den gleichen Anteil am BIP für Bildung aus, während sich der Anteil der Kinder und Jugendlichen oder die tatsächliche Inanspruchnahme von Bildungsgütern stark voneinander unterscheiden, ergeben sich unterschiedliche Ausstattungsniveaus in den Bildungssystemen. Daher müssen die Ausgaben letztlich in Pro-Kopf-Ausgaben je Bildungskonsument umgerechnet werden. Nur so lässt sich ermitteln, wie viel Geld in den einzelnen Ländern aus privaten und öffentlichen Quellen in die einzelnen Köpfe investiert wird. Im Jahr 2001 lag Deutschland von der Grund- bis zur Hochschule bei durchschnittlichen Pro-Kopf-Ausgaben von 6.696 US-Dollar, damit knapp zwei Prozent unter dem OECD-Durchschnitt und nahezu gleichauf mit PISA-Sieger Finnland, das mit Ausgaben in Höhe von 6.751 US-Dollar gleichfalls geringfügig unter dem OECD-Durchschnitt lag.

Drittens besteht gerade bei der Bildung kein direkter und zwangsläufiger Zusammenhang zwischen den aufgewendeten finanziellen Mitteln und dem tatsächlichen Ergebnis. Neben der materiellen Ausstattung sind die Mittelverwendung, die Motivation und das Engagement des Lehrpersonals, die Qualität der Bildungskonzeption, die Betreuungsintensität, das gesellschaftliche Umfeld sowie die Effizienz der Struktur der Bildungsinstitutionen von entscheidender Bedeutung: „Es wäre irreführend, geringere Ausgaben pro Schüler/Studierenden ganz allgemein mit einer geringeren Qualität des Bildungsangebots gleichzusetzen“ (OECD 2003: 220).

Stichwort Schule. Auf dem Gebiet der weiterführenden Schulen gab und gibt Deutschland nicht weniger, sondern mehr Geld aus als der PISA-Sieger Finnland! Im Jahr 2001 waren es je Sekundarschülerin und -schüler 6.620 US-Dollar, in Finnland 6.537 US-Dollar. Der OECD-Durchschnitt lag bei 6.688 US-Dollar und damit leicht höher. Am direkten Vergleich von Deutschland und Finnland lässt sich also zeigen, dass die simple Gleichung „Mehr Geld = Mehr Bildung“ falsch ist. Es lässt sich ebenso zeigen, dass die gleiche Summe Geld nicht automatisch zu denselben Ergebnissen führt – weil Bildung in erster Linie eben keine Geldfrage, sondern eine Frage von Qualität ist.

Eine völlig andere Förderphilosophie

Ein Grund für diese Ergebnisse dürfte in einer falschen Schwerpunktsetzung im deutschen Schulsystem liegen. Zwar erreicht Deutschland bei der Finanzierung des Sekundarbereichs internationale Vergleichswerte, jedoch nicht, wenn eine Differenzierung in die Sekundarbereiche I und II vorgenommen wird. Hier wird besonders im direkten Vergleich mit Finnland eine völlig andere Förderphilosophie deutlich. In Deutschland wurden im Jahr 2001 in einen Schüler der Sekundarstufe I 5.366 US-Dollar investiert, in Finnland hingegen waren es 7.496 US-Dollar, also 40 Prozent mehr! Und umgekehrt: Während Deutschland in der gymnasialen Oberstufe je Schülerin und Schüler 9.223 US-Dollar ausgegeben hat, waren es in Finnland nur 5.938 US-Dollar. Finnland – und fast alle anderen OECD-Staaten – setzen also auf intensive Frühförderung oder streben zumindest eine Gleichbehandlung der einzelnen Bildungsstufen an. Deutschland hingegen geht im Rahmen des gegliederten Schulsystems noch immer den Weg harter sozialer Selektion und intensiver Elitenförderung in der gymnasialen Oberstufe, ohne dass dies im PISA-Test zu damit korrelierenden Erfolgen geführt hätte.

In Skandinavien verdienen Lehrer viel weniger

Allerdings werfen die Befunde eine interessante Frage auf: Wie kann Finnland, wenn es nicht mehr Geld in seine Schüler investiert als Deutschland, dennoch im Durchschnitt bessere Betreuungsverhältnisse und Fördersysteme finanzieren? Die Antwort ist so einfach wie unangenehm: In ganz Skandinavien liegen die Lehrergehälter weit unter den deutschen Werten. So können die skandinavischen Staaten mehr Stellen finanzieren und entsprechende Betreuungsverhältnisse garantieren. Ein Lehrer im Sekundarbereich II verdiente in Deutschland im Jahr 2002 nach 15 Jahren Berufserfahrung im Durchschnitt 50.805 US-Dollar. Das Gehalt seiner finnischen Kollegen lag um 20 Prozent niedriger, das der schwedischen Lehrer sogar um 42 Prozent. Wer sich daher für finnische Verhältnisse an Deutschlands Schulen einsetzt, muss ehrlicherweise auch eine Reduzierung deutscher Lehrergehälter diskutieren.

Stichwort Hochschule. Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland hinsichtlich seiner Hochschulfinanzierung auf den ersten Blick keinesfalls gut ab. Mit Ausgaben in Höhe von nur 1,0 Prozent des BIP im Jahr 2001 liegt es deutlich hinter den Spitzenreitern USA mit 2,7 Prozent, Korea mit 2,6 und Kanada mit 2,5 Prozent. Der OECD-Durchschnitt beträgt 1,8 Prozent und übertrifft den deutschen Wert damit deutlich. Zur ganzen Wahrheit gehört allerdings auch, dass die drei Spitzenpositionen der Vereinigten Staaten, Korea und Kanada mit einer von Deutschland völlig verschiedenen Hochschulfinanzierung erreicht werden. Während im Jahr 2001 in Deutschland nur 8,7 Prozent der Gesamtausgaben für den Hochschulbereich privaten Finanzquellen entsprangen und dementsprechend 91,3 Prozent aller Kosten von der öffentlichen Hand getragen wurden, belief sich der private Finanzierungsanteil in Korea auf 88,7 Prozent und in den USA auf 66 Prozent. Während die öffentliche Hand im Jahr 2001 in Deutschland damit etwa 0,91 Prozent des BIP in den Hochschulbereich investierte, waren es in den USA 0,89 Prozent und in Korea nur 0,61 Prozent. Betrachtet man also die Leistung der öffentlichen Hand bei der Finanzierung der Hochschulen, relativiert sich das unterdurchschnittliche Abschneiden Deutschlands deutlich.

Über 70 Prozent Studienanfänger in Finnland

Allerdings kommt es nicht nur darauf an, wie viel Geld die einzelnen Länder ausgeben, sondern wie viele reale Konsumentinnen und Konsumenten aus diesen Ausgaben Nutzen ziehen: Zwar erreichte Finnland mit Ausgaben in Höhe von 1,7 Prozent des BIP im Jahr 2001 einen hohen Wert, allerdings betrug die Quote der Studienanfänger im Jahr 2002 auch 71 Prozent. Deutschland kam auf Ausgaben in Höhe von 1,0 Prozent des BIP, erreichte aber nur eine Studienanfängerquote von 35 Prozent. Betrachtet man nur den Hochschulbereich im eigentlichen Sinne (Tertiärbereich A), wies Deutschland Pro-Kopf-Ausgaben in Höhe von 11.306 US-Dollar auf und übertraf damit sogar Finnland leicht, das 11.143 US-Dollar erreichte. Es wäre daher sicher übertrieben, hinsichtlich der Finanzierung Deutschland derzeit eine Spitzenposition im Hochschulbereich zuzusprechen. Allerdings ist es genauso verkehrt, hier derzeit eine massive Unterfinanzierung zu entdecken. Deutschland befindet sich im Durchschnitt: Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Aufgrund hoher Abbrecherquoten und einer überdurchschnittlichen Studiendauer fällt das Ungleichgewicht bei den Absolventenkosten sogar noch deutlicher aus: Während im Ländermittel Kosten in Höhe von 42.906 US-Dollar pro Hochschulabsolvent aufliefen, waren es in Deutschland 73.488 US-Dollar, also 71 Prozent mehr und 47 Prozent mehr als in Finnland. Während Finnland also gemessen am BIP erheblich mehr in Hochschulbildung investiert als Deutschland, fallen die Kosten je Absolvent – genau umgekehrt – dort deutlich geringer aus. Das verweist auf hohe Ineffizienzen im deutschen Hochschulsystem.

Viel zu kurz kommt in Deutschland die Lehre

Differenziert man die Ausgaben im Hochschulbereich je Studierenden außerdem in Ausgaben für Lehre auf der einen sowie Forschung und Entwicklung auf der anderen Seite, wird deutlich, dass Deutschlands Schwäche nicht so sehr die Forschungsfinanzierung betrifft: Mit Ausgaben in Höhe von 4.134 US-Dollar je Studierenden im Jahr 2001 für Forschung und Entwicklung übertraf Deutschland den OECD-Durchschnitt um etwa 52 Prozent! Die so häufig gepriesenen USA brachten es in diesem Bereich nur auf 2.136 US-Dollar. Gemessen in Prozent des BIP beliefen sich die Ausgaben für die Forschung in Deutschland auf 0,41 Prozent, in den USA auf 0,26 Prozent und im OECD-Länderdurchschnitt auf 0,35 Prozent. Insofern scheint nicht sehr viel dafür zu sprechen, dass Deutschland im Bereich der öffentlichen Hochschulfinanzierung ein massives Innovationsdefizit aufweist. Hingegen lag Deutschland bei den jährlichen Ausgaben für die Lehre mit 6.342 US-Dollar je Studierenden unter dem OECD-Durchschnitt und weit hinter den USA mit 17.515 US-Dollar je Studierenden zurück. Angesichts dieser Zahlen sollte daher nicht pauschal über eine Erhöhung der Finanzmittel für den Hochschulbereich, sondern vor allem über die Verbesserung der Lehrsituation diskutiert werden.

Die Schlüsselinstitution der Wissensgesellschaft. Die Daten der OECD sprechen eine klare Sprache: Der deutsche Bildungssektor ist nicht unterfinanziert, er ist ineffizient und ineffektiv. Wie sonst soll man es sich erklären, dass Deutschland genauso viel wie Finnland in seine Sekundarschüler investiert und dennoch im PISA-Test so eindeutig deklassiert wurde? Nicht die Finanzen sind das Problem, sondern die Strukturen und die Qualität der Bildung.

Wenn sich Deutschland in der Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts behaupten will, benötigt es einen langfristigen Anstieg der Akademikerquote auf etwa 30 bis 40 Prozent. Dass dies derzeit nicht möglich ist, liegt nicht an den deutschen Hochschulen, sondern am deutschen Schulsystem. Die Höhe der Akademikerquote einer Gesellschaft entscheidet sich an drei Schwellen:

Erste Schwelle: Nur wer eine Hochschulzugangsberechtigung erwirbt, kann auch ein Studium aufnehmen. Weil das gegliederte Schulsystem in Deutschland auf Selektion statt auf Förderung setzt, bleibt die Abiturientenquote aber systematisch auf niedrigem Niveau. Im Jahr 2002 erwarben 38,2 Prozent aller Jugendlichen in Deutschland die Zugangsberechtigung zur Hochschule, wobei hierunter 11,4 Prozent auf die Fachhochschulreife entfielen. Hierdurch ist die Zahl potenzieller Studierender von vornherein stark beschränkt.

Viel zu viele brechen ihr Studium ab

Zweite Schwelle: Wer eine Hochschulzugangsberechtigung erwirbt, muss noch lange nicht studieren. In Deutschland nehmen diese Chance nur etwa zwei Drittel bis drei Viertel der Abiturienten wahr. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass viele junge Menschen das Abitur nicht als Zugang zum Hochschulstudium auffassen, sondern unter den Bedingungen der „Inflation von Titeln“ (Pierre Bourdieu) als Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt.

Dritte Schwelle: Die Zahl junger Menschen, die ein Hochschulstudium aufnehmen und die Anzahl derer, die es auch erfolgreich abschließen, sind nicht identisch. Nach Angaben der OECD liegt die Erfolgsquote deutscher Hochschulen bei etwa 70 Prozent. Bei der Erhöhung der Akademikerquote kommt es also nicht unwesentlich darauf an, dass auch die Hochschulen effizienter werden und ihre Studenten erfolgreich zu einem Abschluss führen.

Allein aus mathematischen Gründen ist evident, dass der entscheidende Hebel zur Erhöhung der Akademikerquote in der ersten Schwelle zu suchen ist, wenngleich dies nicht dazu führen darf, die Bedeutung der anderen beiden Schwellen zu vernachlässigen: Würden die Übergangs- und die Erfolgsquote auf nahezu 100 Prozent angehoben, ergäbe auch dies langfristig bereits eine Akademikerquote von fast 40 Prozent.

Der deutsche Wahnsinn des Aussortierens

Die Erhöhung der Anzahl von Schulabsolventen mit Zugangsberechtigung zur Hochschule ist naturgemäß keine Aufgabe der Hochschulen, sondern der Schulen. Eine nachhaltige Hochschulreform ist niemals möglich, ohne die vorgelagerten Bildungssysteme mit in den Blick zu nehmen. Die PISA-Studien haben allerdings deutlich gezeigt, dass das deutsche Schulsystem mit erheblichen Mängeln belastet und unter diesen Voraussetzungen eine bis zu 50-prozentige Quote von Zugangsberechtigten ohne Qualitätsverlust bis 2020 eher unwahrscheinlich ist.

So paradox es daher zunächst klingen mag: Die Schlüsselinstitution der Wissensgesellschaft ist – politisch betrachtet – nicht die Hochschule, sondern die (weiterführende) Schule. In ihr wird darüber entschieden, ob ein hohes Bildungsniveau in der Breite der Gesellschaft wirksam wird oder ob der Zugang zu höherer Bildung auch weiterhin nur einer Minderheit der Gesellschaft vorbehalten bleibt. Und nochmals: Am Geld liegt es nicht! Deutschland gibt schon heute je Schülerin und Schüler nicht weniger aus als der PISA-Sieger Finnland. Also muss an der Struktur des früh selektierenden, gegliederten Schulsystems sowie an der pädagogischen Strategie etwas nicht stimmen. Eine deutliche Erhöhung der Quote der Zugangsberechtigten zur Hochschule wird daher nur möglich sein, wenn die deutschen Länder den Mut zur grundlegenden Schulreform aufbringen. Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls geht derzeit erste Schritte in die finnische Richtung und strebt den gemeinsamen Unterricht bis einschließlich der 8. Klasse an.

Im Osten werden die Studierenden knapp

Aber auch an den Hochschulen werden Veränderungen nötig sein. Ein Anstieg der Studierendenzahlen kann nur teilweise durch Effizienzgewinne erzielt werden, auch wenn alles dafür spricht, bestehende Effizienzlücken konsequent zu schließen. Langfristig wird daher auch über eine Expansion der Hochschulausgaben zu reden sein – sei es aus öffentlichen oder aus privaten Mitteln. Hierbei kommt der Stärkung der Lehre eine besondere Bedeutung zu – und damit dem weiteren Ausbau der Fachhochschulen. Denn Deutschland braucht in der Wissensgesellschaft von morgen nicht unbedingt mehr Promovierende, sondern anwendungsbezogene Ausbildung auf akademischem Niveau. Ostdeutschland kommt dabei allerdings eine Sonderrolle zu: Aufgrund des Geburtenknicks nach der Wende ist hier eher ein behutsamer Rückbau des Hochschulsystems nötig als ein weiterer Ausbau. Aufgrund der Halbierung der Geburten nach 1990 werden im Osten selbst bei deutlicher Erhöhung der Studienanfängerquote spätestens nach 2010 erheblich weniger Studienplätze nötig sein als noch heute.

Literatur:
Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede, Frankfurt am Main 1982
Mathias Brodkorb, Zur Zukunft der Hochschullandschaft von Mecklenburg-Vorpommern bis zum Jahr 2020, Schwerin 2004 (http://www.mathias-brodkorb.de)
Jürgen Egeln, Thomas Eckert, Christoph Heine, Christian Kerst und Brigitta Weitz, Indikatoren zur Ausbildung im Hochschulbereich, Hannover 2004
OECD, Bildung auf einen Blick, Paris 2003
OECD, Bildung auf einen Blick, Paris 2004

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