Ist nach Haider vor Haider?

Die Ikone des europäischen Rechtspopulismus ist betrunken in den Tod gerast. Das politische Phänomen, das er wie kein anderer repräsentierte, ist damit aber nicht erledigt. In schwierigen Zeiten eröffnen sich für Politik gegen "die da oben" neue Gelegenheiten

Jörg Haider, seit dem Jahr 1986 Aushängeschild eines neuen westeuropäischen Rechtspopulismus, ist in der Nacht zum 11. Oktober 2008 tödlich verunglückt. An den offiziellen Stellungnahmen zu seinem Tod fiel auf, dass ihm rückblickend selbst seine einstigen Gegner bis hin zum noch amtierenden österreichischen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer außergewöhnliches politisches Talent bescheinigten. Konsens bestand darin, dass Haider die österreichische Politik der vergangenen zwei Jahrzehnte wie kein zweiter geprägt hatte. Rund 25.000 Menschen nahmen an den Trauerfeierlichkeiten teil – ein Staatsbegräbnis mit beinahe religiösen Zügen. Es war nicht ohne innere Logik, dass der ebenso charismatische wie exzentrische Haider bei stark überhöhter Geschwindigkeit mit Alkohol im Blut starb.

Kurz vor seinem Tod hatte Jörg Haider bei der österreichischen Nationalratswahl einen Erfolg gefeiert, den ihm – wie so oft – keiner mehr zugetraut hatte. Erst am 12. August hatte der Kärntner Landeshauptmann bekanntgegeben, er werde als Spitzenkandidat seiner Partei Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) antreten; am 28. September gewann er erstaunliche 10,7 Prozent der Stimmen. Haider war wieder mitten in jenem Spiel der Macht, das er so liebte. Ein entscheidender Faktor dieses Erfolgs war die Bezeichnung „Liste Jörg Haider“ statt BZÖ auf dem Wahlzettel. Außerdem konnte er in den Fernsehduellen mit der alten Schlagfertigkeit und einer starken Rhetorik punkten. Die vormalige Partei Haiders, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), errang mit dessen einstigem Ziehsohn Heinz-Christian Strache an der Spitze sogar 17,4 Prozent der Stimmen. Damit wurde das Rechtsaußenlager zweitstärkste Kraft in Österreich, nur knapp hinter den Sozialdemokraten.

Wieder einmal offenbarte sich bei der Wahl 2008 die Erfolgsformel des europäischen Rechtspopulismus, die der junge Jörg Haider schon in den achtziger Jahren buchstabierte, als er die FPÖ, damals eine verstaubte altrechte Partei, völlig neu ausrichtete. Seither können neuartige, rechtspopulistische Parteien mit einer Anti-Establishment-Haltung, gezielten Tabubrüchen zur Erhaschung medialer Aufmerksamkeit, identitätsdiskursiv interpretierten Themen wie Einwanderung und einer charismatischen Führungspersönlichkeit immer wieder Wahlerfolge erzielen – etwa in Frankreich und Österreich, Italien und den Niederlanden, in Belgien, in der Schweiz und in Skandinavien. Die Köpfe dieser Parteien machen sich die moderne Medienlogik zunutze, indem sie charmant-rhetorisch zuspitzen, Augenmerk auf Etikette legen und Begriffe prägen. Dabei gefallen sie sich als Tabubrecher gegen tradierte Strukturen, in Österreich namentlich gegen die „Konsensdemokratie“.

Rebellisch und unberechnbar

Haider war rebellisch und unberechenbar, aber von beträchtlichem Alltagspragmatismus. Schnell war er mit Menschen per Du. Unter seinen Anhängern genoss er – sich auch optisch, je nach Anlass, als Ikone der Wandlungsfähigkeit gebend – stets Kultstatus. Sein Wirken betraf aber nicht nur Österreich selbst, sondern hatte immer auch außen- beziehungsweise europapolitische Implikationen. Welche Auswirkungen also wird Haiders Tod für den europäischen Rechtspopulismus haben?

Zunächst: Mit Fug und Recht lässt sich von einer rechtspopulistischen Parteienfamilie sprechen, die sich – von Haider entscheidend geprägt – in der europäischen Parteienlandschaft einen festen Platz erobert hat. Die dieser Familie zugehörigen Parteien zeichnen sich nicht in erster Linie durch Verfassungsfeindschaft aus. Anders als der Extremismus baut der Rechtspopulismus nicht auf Rassismus, Absolutheitsansprüchen und Dogmatismus auf. Ideologisch ist er weniger starr, sondern eher flexibel und opportunistisch ausgerichtet. Dennoch kennzeichnet ihn ein Grundmuster: eine vertikale und eine horizontale Dimension.

Wir hier unten gegen die da oben

Vertikal argumentiert der Populismus gegen das Establishment, speziell gegen die „politische Klasse“. Motto: „Wir hier unten gegen die da oben.“ Der populistische Anführer gibt vor, auf der Seite des „kleinen Mannes“ zu stehen und den als homogen konstruierten „Volkswillen“ unverfälscht in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen. Charakteristisch hierfür ist ein Wahlplakat Haiders aus den neunziger Jahren mit dem Slogan: „Sie sind gegen ihn, weil er für Euch ist!“ In Robin-Hood-Manier, als selbst ernannter Anwalt des „kleinen Mannes“, zeichnete er ein „David-gegen-Goliath-Bild“ der nationalen und europäischen Politik. Dieses antielitäre Moment verbindet der Rechtspopulismus in der horizontalen Dimension mit Ausgrenzung, die latente oder offene Vorurteile, Neidgefühle oder Klischees bedienen soll. Als Auszugrenzende rücken Feindbilder wie Einwanderer, Minderheiten oder Kriminelle ins Visier – oder die EU, welche die Populisten in Europa als Bedrohung ihrer nationalen Identitäten wahrnehmen.

Nur selten gelangen rechtspopulistische Parteien in die nationalen Regierungen. Das prominenteste Beispiel ist neben der Schweiz wiederum Österreich. Im Jahr 1999 erzielte Jörg Haider mit seiner FPÖ 27 Prozent der Stimmen und wurde Regierungspartner, was europaweit zu Protesten bis hin zu Sanktionen der EU-Partner führte. Häufig nicht gesehen wird: Auf der Ebene einzelner Politikfelder können rechtspopulistische Parteien auch ohne Regierungsämter indirekte Wirkung entfachen. So ist in den meisten westeuropäischen Ländern die Einwanderungspolitik verschärft worden. Hier war die Zäsur des 11. September 2001 von Bedeutung, aber es ging auch darum, den Herausforderern von Rechtsaußen Einhalt zu gewähren. Während die Warnung vor der „Islamisierung Europas“ heute allgegenwärtig ist, ist von der Vision der „multikulturellen Gesellschaft“ keine Rede mehr.

Der Populist streut Salz in die Wunden der etablierten Politik mit ihrer Verflechtung von Strukturen und Verantwortlichkeiten – einen Weg aus der vermeintlichen Krise weist er nicht. Dabei betreibt er sozusagen eine „umgekehrte Psychoanalyse“: Im Gegensatz zum Psychoanalytiker will der Populist nicht heilen, sondern die individuellen Sorgen und Nöte verstärken, auf dass der Patient auf keinen Fall mündig werde. Weil dem Populismus mittel- und längerfristige Lösungskompetenz fehlt, funktioniert er oppositionell, schließlich können in der Regierung konkrete Sündenböcke gesucht und Verantwortliche benannt werden. Diese Strategie funktionierte in Österreich immer dann, wenn eine Große Koalition an der Macht war. Die Große Koalition machte Jörg Haider stark und sorgte letztlich für seine Wiederkehr 2008 – zumal sich die beiden Koalitionspartner zuvor unrühmlich getrennt hatten. Das vorzeitige Ende einer Legislaturperiode ist stets Wasser auf die Mühlen der Populisten.

Übrigens sind auch Volksparteien vor Populismus nicht gefeit, wie das Verhalten der konservativen ÖVP im jüngsten österreichischen Wahlkampf zeigte. Ohne späteren Wahlerfolg, den erstarkenden Rechtsaußenkräften gleichsam Vorschub leistend, warb die Regierungspartei in großen Plakaten mit dem rechtspopulistischen Spruch „Wir schützen Opfer, nicht Täter. Volle Härte gegen Kindesmissbrauch!“. Gerade das Thema law and order als virulentes allgemeines soziales Thema knüpft an Ängste der Bevölkerung an. Das Thema Verbrechen tangiert die unmittelbaren Erfahrungen sowie die Unsicherheiten besonders der „einfachen Leute“. Es regt sich „von unten“ der Ruf nach Disziplin, der fließend in den Ruf nach einer Autorität „von oben“ übergeht.

Ein „deutscher Haider“ ist kaum vorstellbar

Anders als in den meisten europäischen Staaten konnte sich der Rechtspopulismus in Deutschland bislang nicht in größerem Umfang ausbreiten. Hierzulande haben es die Volksparteien einstweilen vermocht, die heiklen Themen Einwanderungspolitik und Kriminalitätsbekämpfung zu neutralisieren. Parteien wie die Republikaner des Fernsehjournalisten Franz Schönhuber oder die Schill-Partei von Ronald „Richter Gnadenlos“ Schill blieben Strohfeuer, da sie nur kurz von der nicht geklärten Asylfrage beziehungsweise in Hamburg von der Vernachlässigung des Kriminalitätsproblems durch den SPD-Senat profitieren konnten. Die NPD wiederum hat mit rechtspopulistischen Parteien wenig gemein. Sie ist kämpferisch-aggressiv, dogmatisch, verfassungsfeindlich und zudem ohne charismatischen Anführer. So besitzt sie für die wenig gesellschaftliche Strahlkraft. Neuerdings macht auf kommunaler Ebene die Bürgerbewegung „Pro Köln“ von sich reden, die im September 2008 einen großen „Anti-Islamisierungskongress“ mit bekannten europäischen Rechtspopulisten ankündigte. Schnell zeigten sich aber die Grenzen dieses Vorhabens. Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit protestierten, der Kongress musste schließlich abgebrochen werden.

Aufgrund der deutschen Geschichte werden populistische und extremistische Tendenzen bei uns stets kritisch begleitet, was solchen Bewegungen die Zugkraft nimmt. Ein „deutscher Haider“ ist kaum vorstellbar, selbst wenn die Volksparteien in der Krise stecken. Den Protest kanalisiert aber die Linkspartei, die das Leitmotiv des Verteilungskonflikts revitalisiert hat. Seit dem Bundestagswahlkampf 2005 besitzt sie mit Oskar Lafontaine einen Politiker, der, von den Medien intensiv begleitet, wie ein Rechtspopulist gegen „die da oben“ wettert und sich als Vertreter des „kleinen Mannes“ ausgibt. Altkanzler Helmut Schmidt hatte daher keinesfalls Unrecht, als er Oskar Lafontaine mit Rechtspopulisten vom Schlage des Franzosen Jean-Marie Le Pen verglich.

In anderen europäischen Ländern hingegen hat der „echte“ Rechtspopulismus auch weiterhin eine Perspektive. Identitätspolitische Forderungen wie der Kampf gegen die vermeintliche Islamisierung Europas werden wohl auch weiterhin nicht ungehört verhallen, euroskeptische Stimmungen der Bevölkerung weiter geschürt werden. Der europäische Integrationsprozess steckt nach den schnellen Erweiterungen der vergangenen Jahre in einer institutionellen Perspektivkrise. Das irische „Nein“ zum Reformvertrag signalisiert einen Wendepunkt in der Geschichte der europäischen Integration. Der Versuch, das Institutionengefüge der EU mittels des Vertrages von Lissabon zu reformieren, funktioniert offenkundig nicht. Die Bürger scheinen den Sinn der institutionellen Fortentwicklungen auf europäischer Ebene nicht zu verstehen. Das zeigte bereits das „Nein“ aus Frankreich und den Niederlanden zum Verfassungsvertrag.

Neue Trendsetter aus Osteuropa

Keineswegs wird der Rechtspopulismus auf den „Status-quo-ante-Haider“ vor 1986 zurückfallen – also verschwinden. Im Gegenteil könnten künftig die jungen osteuropäischen Demokratien die zu Trendsettern für Westeuropa werden. Die dortige Entwicklung zeigt, dass nach der erfolgreichen Transformation populistische, anti-elitäre Formationen reüssieren. Sie geben sich als „Beschützer“ der eigenen Nation aus und versprechen, Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse unter Rückgriff auf alte nationalistische Mythen aufzuhalten. Parteien wie die ungarische Fidesz neigen zu einem antikapitalistischen Gestus, der sich mittels „territorialistischer“ Parolen gegen anonyme internationale Konzerne und den Ausverkauf nationaler Interessen richtet.

In Österreich wird die FPÖ unter Haiders einstigem Ziehsohn und späterem Rivalen Heinz-Christian Strache die Volksparteien ÖVP und SPÖ weiter vor sich hertreiben – dies umso mehr, wenn jene wieder in das ungeliebte Korsett der Großen Koalition gezwungen werden. Der „Mythos Haider“, der überall im Land um sich greift, tut ein Übriges. Österreich ist damit in einer besonderen, wenig verallgemeinerbaren Situation. Gleichwohl lässt sich voraussagen, dass es in der europäischen Politik angesichts der wachsenden Gelegenheitsstrukturen an charismatischen Nachfolgern nicht mangeln wird . Diese werden die Gunst der Stunde für ihre anti-elitären Parolen nutzen und aus dem europaweit verbreiteten Misstrauen hinsichtlich der Problemlösungskompetenz der Politik Kapital schlagen. Der populistisch geschürte Geist einer Neidpolitik in der Diktion des „Wir, das Volk, gegen die da oben“ dürfte in Zeiten neuer Unsicherheiten und schwer durchschaubarer Vernetzungen weiter sein Unwesen treiben.

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