Innovation: mehr Staat, mehr Kapital

In Heft 3+4/2014 plädierte Jörg Asmussen für einen Aufbruch aus dem »Morast des alten Denkens« in der Wirtschaftspolitik. Zu diesem alten Denken gehört die Vorstellung, dass Innovation ohne Eingreifen des Staates möglich ist

Innovation beschert Wachstum, schafft Arbeitsplätze und mehrt Wohlstand. Umso bedenklicher, dass es in Deutschland systematisch an Innovationen mangelt. Doch wer nach Auswegen aus dem heimischen Defizit sucht, muss zunächst Innovationsmythen und Realität trennen – und endlich die elementare Rolle des Staates im Innovationsprozess anerkennen.

Fakt ist: Unsere Volkswirtschaft tut sich schwer damit, neue umwälzende Ideen, Produkte und Wirtschaftszweige zu entwickeln. Ein Umstand, den nicht nur BMW-Erbin und Aufsichtsrätin Susanne Klatten bemängelt. Wie aber lassen sich Innovationspotenziale wecken, Entrepreneure fördern und deutsche Pendants zu Baidu, Apple oder Samsung etablieren? Die landläufige Meinung kann dabei auf eine prägnante Formel gebracht werden: mehr Privatkapital, weniger Staat. Ein solches Urteil fußt jedoch auf Mythen, die wenig mit der Realität gemein haben, wie besonders das Beispiel der IT-Branche in den Vereinigten Staaten zeigt. Vielmehr muss das Mantra lauten: mehr Kapital und mehr Staat.

Deutsche sind Nebenerwerbsgründer

Zu Recht beklagen deutsche Gründer den Mangel an Wagniskapital und blicken neidisch über den Atlantik. Denn im vergangenen Jahr investierten Risikofinanziers lediglich rund 700 Millionen Euro in den deutschen Start-up Markt. In den USA belief sich das Investitionsvolumen von Venture Capital dagegen auf mehr als 21 Milliarden Euro. Ist es daher verwunderlich, dass hierzulande die Zahl der Vollerwerbsgründer nur etwa halb so hoch ist wie die Zahl der Nebenerwerbsgründer? Im Jahr 2013 wagten sich 562 000 Deutsche mit einer festen Anstellung im Rücken auf das Drahtseil der Existenzgründung; aber nur 306 000 Gründer unternahmen denselben Sprung ohne Netz und doppelten Boden. Deshalb appellieren Entrepreneure und ansässige Risikofinanziers an die Politik, Steuervorteile zu schaffen, um so mehr Wagnis­kapitalgeber ins Land zu locken. Dieser Forderung liegt der Mythos zugrunde, dass die in den siebziger Jahren entstandene Venture Capital-Gemeinde Kaliforniens die Weichen für die IT-Revolution gestellt und „Whizzkids“ wie Steve Jobs (Apple), Bill Gates (Microsoft) oder Larry Ellison (Oracle) zum Welterfolg ihrer Unternehmen verholfen habe.

Ohne Staat kein iPhone

Hierzu gesellt sich der zweite Mythos, wonach Innovation immer dort floriert, wo der Staat es dem Markt überlässt, im Wettbewerb der Ideen die besten herauszufiltern. Die gezielte Förderung von Technologien durch den Staat sei der unternehmerischen Innovationsfähigkeit hingegen wenig zuträglich und produziere allzu oft nur betriebswirtschaftliche Rohrkrepierer wie den Transrapid oder die Concorde.

Bei genauer Analyse zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Private Kapitalgeber stellen nämlich nur dann Geld zur Verfügung, wenn sie die Risiken ihres Investments abschätzen können. Wo neue Technologien erst entwickelt werden oder noch in solch embryonalen Phasen stecken, dass ihre kommerzielle Nutzung gänzlich unsicher erscheint, bedarf es eines öffentlichen Wagnisfinanziers – des Staats.

Staatliche Investitionen nehmen dabei meist zwei Formen an: zum einen als Förderung von Grundlagenforschung und angewandter Forschung, zum anderen als Subventionen und Förderprogramme für Pioniere, die sich am Außergewöhnlichen versuchen. So hat die Ökonomin Mariana Mazzucato von der Universität Sussex aufgezeigt, wie amerikanische Regierungen seit den sechziger Jahren gezielt in die Bereiche Computer- und Halbleitertechnik sowie Netzwerktechnologien investierten und damit den Grundstein für die spätere IT-Revolution legten. Und auch in den vergangenen zwanzig Jahren haben die Vereinigten Staaten in Relation zur nationalen Wirtschaftsleistung mehr öffentliche Mittel für Forschung und Entwicklung aufgewandt als jedes europäische Land – mit Ausnahme der Bundesrepublik.

Der amerikanische Staat hat die Computerindustrie und das Internet nicht nur geformt, sondern er hat sie erschaffen. Erst dann sprang privates Wagniskapital auf den Entwicklungszug auf. Die Investoren wurden dafür fürstlich belohnt. Heute beruht nahezu jede Schlüsseltechnologie, die dem iPhone seinen Wert verleiht, von GPS bis zu „intelligenten“ Bildschirmen und der Sprachsoftware SIRI, auf der Förderung durch staatliche Bürokraten. Das amerikanische Wirtschaftsministerium stellt knapp ein Viertel des gesamten Förderkapitals von Firmen, die als Pioniere technologischer Entwicklung gelten. Damit liegt der Anteil des staatlichen Wagniskapitals deutlich über dem privater Risikofinanziers.

Diese Fakten untergraben auch den dritten Mythos vom amerikanischen Nachtwächterstaat, der lediglich den groben Gesetzesrahmen vorgibt, unternehmerische Innovation ansonsten aber dem freien Markt überlässt. Die Realität sieht ganz anders aus. Mit Ausnahme der asiatischen Tigerstaaten und Japans treibt kein Land Innovation so strategisch und mit derartigem finanziellem Aufwand voran wie die Vereinigten Staaten.

Was bedeutet dies für die deutsche Wirtschaft und Politik? Erstens, wir brauchen mehr Risikokapital für den deutschen Start-up-Markt. Der bisherige Engpass überlässt vielversprechende Unternehmensgründungen der Kurzsichtigkeit weniger Investoren. Doch diese fokussieren sich zu sehr auf rasche Renditen als auf die nachhaltige Eroberung von Marktanteilen.

Zweitens: Privates Wagniskapital ist kein Allheilmittel. Zur Erweiterung des Kapitalangebots bedarf es keiner Steuervorteile für Venture Capital, denn dieses folgt nur innovativen Technologien und Produkten – nicht umgekehrt. Wo innovative Technologien fehlen, kann ein Überfluss an Venture Capital sogar schädlich sein, wie der Börsenkollaps des „Neuen Marktes“ gezeigt hat.

Drittens: Um jene Technologien zu generieren, bedarf es umsichtiger Vorausschau, strategischer Ausrichtung und politischer Entscheidungsfreude. Hier ist die Bundesregierung gewillt, dem amerikanischen Beispiel zu folgen und sich strategisch auf Sparten wie Digitalisierung und erneuerbare Energien zu fokussieren. Dies reicht jedoch nicht aus.

Innovation ist das Lebensblut

Wir benötigen, viertens, staatliche Investitionen in die Grundlagenforschung und angewandte Forschung ebenso wie eine gezielte Förderung von Hightech-Kleinfirmen. Nur im ersten dieser Punkte ist Deutschland schon gut aufgestellt. Es wird sich zeigen, ob die neue High-Tech-Strategie des Bildungsministeriums einen Hebel bietet, um Forschungsergebnisse schneller in kommerzielle Ideen, Unternehmen und Produkte umzuwandeln. Das Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat sich in dieser Hinsicht bislang leider kaum hervorgetan.

Innovation ist das Lebensblut, das durch die Adern post-industrieller Volkswirtschaften fließt. Doch um herauszufinden, wie Deutschland innovativer werden kann, müssen wir uns zuerst vom „Morast des alten Denkens“ befreien, wie es Jörg Asmussen in der Berliner Republik 3+4/2014 treffend formuliert hat. Dazu müssen wir uns von tradierten Mythen verabschieden und der Realität ins Auge sehen. Wir brauchen beides – mehr Kapital und mehr Staat.

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