Inhaltliche Stärke und Mobilisierung



Mit dem Einzug der Linkspartei in die Landtage von Bremen, Niedersachsen, Hessen und Hamburg hat sich in Deutschland ein Fünf-Parteien-System etabliert. Uns Grünen wird in dieser Situation stärker noch als der FDP eine „strategische Schlüsselstellung“ zugeschrieben: In jeder der theoretisch denkbaren Konstellationen jenseits einer Großen Koalition würden wir gebraucht. Koalitionen haben allerdings vor allem auch damit zu tun, dass es inhaltliche Übereinstimmungen zwischen Parteien gibt, die eine Zusammenarbeit überhaupt erst möglich machen. Dies gilt für Bündnis 90/Die Grünen als Konzept- und Programmpartei stärker als für alle anderen. Für uns stehen Inhaltsfragen klar vor Machtfragen.

Die Etablierung eines Fünf-Parteien-Systems hatte sich bereits bei der letzten Bundestagswahl abgezeichnet. Aber erst die Ankunft der Linkspartei in den alten Bundesländern hat das öffentliche Bewusstsein für diese Veränderung geweckt. Katalysator dieser Entwicklung ist die hausgemachte Entzauberung des Mythos, die Große Koalition sei der Ausweg aus einem parteistrategischen Dilemma. Denn das Gegenteil ist der Fall: Die Große Koalition in Berlin hat erschreckend eindrucksvoll bewiesen, dass sie nicht in der Lage ist, Politik erfolgreich zu gestalten. CDU/CSU und SPD schlingern ohne Kompass und Richtung im Nebel der politischen Entscheidungsunfähigkeit. Selbstbeschäftigung und innerkoalitionärer Streit prägen das Bild dieser Regierung. Das dürfte an den teilweise drastischen Wahlverlusten der CDU bei allen vergangenen Landtagswahlen seit der Bundestagswahl einen nicht zu unterschätzenden Anteil gehabt haben.

Ohne Wenn und Aber für Klimaschutz

Was heißt das aber für Bündnis 90/Die Grünen? Dass es trotz guter oder besserer inhaltlicher Konzepte nicht unbedingt wie in Bremen für Rot-Grün reicht, haben die vergangenen Wochen in Hessen und Hamburg gezeigt. Grünes Profil zu schärfen, die inhaltlichen Alternativen gegenüber SPD und Linkspartei genauso wie gegenüber der CDU und der FDP deutlich in den Mittelpunkt zu stellen, ist die zentrale Aufgabe der grünen Strategie für die Zukunft. Die grünen Kernkompetenzen in der Umwelt-, Klima- und Energiepolitik unterscheiden uns dabei genauso positiv von den anderen Parteien wie grüne Konzepte zur sozialen Gerechtigkeit und unsere starke Verankerung als Bürgerrechtspartei. Wir stehen für den Kampf gegen neue Kohlekraftwerke und für die Gültigkeit des Atomausstiegs, für Klimaschutz ohne Wenn und Aber, für Verbraucherschutz und gegen Gentechnik im Essen. Der grüne Parteitag in Nürnberg hat mit dem Beschluss „Aufbruch zu neuer Gerechtigkeit!“ den Weg in eine solidarische Gesellschaft beschrieben und mit der Festlegung auf eine grüne Grundsicherung, der Forderung nach Erhöhung der Hartz IV-Leistungen und Investitionen in die soziale Infrastruktur konkrete Forderungen grüner Sozialpolitik vorgelegt.

Die Zahl Fünf wird auf nicht absehbare Zeit prägend sein für Parlamente in Deutschland. Politische Gegner zu ignorieren oder zu übersehen, hilft uns nicht im Wettbewerb um bessere Konzepte und Gestaltungsvisionen. Die Linkspartei zeigt das Gegenteil: Wird diese als der Schmuddelopa aus der verstaubten altlinken Ecke ausgegrenzt, hilft ihr das bei Wahlen eher. Im Deutschland der fünf Parteien neigen sich die klassischen Regierungskonstellationen Rot-Grün oder Schwarz-Gelb aus dem vergangenen Jahrhundert über kurz oder lang dem Ende zu. Diese Bündnisse werden von der Regel zur Ausnahme.

Allgemeiner Konsensbrei? Nicht mit uns!

Das bedeutet nicht, dass Große Koalitionen wahrscheinlicher werden. Zu drastisch sind die Verluste, die vor allem CDU und CSU aber auch die SPD hinnehmen müssen, und zu schnell hat sich dieses Modell selbst entzaubert. Wahrscheinlicher ist, dass neue Konstellationen wie Dreierbündnisse oder Minderheitenregierungen in den Bundesländern erprobt werden. Das Fünf-Parteien-System bedeutet auch nicht, dass alles in einer großen parteipolitischen Beliebigkeit verschwinden wird und sich in einem allgemeinen Konsensbrei irgendwo in der Mitte konzentriert – im Gegenteil! Die (partei-)politischen Auseinandersetzungen werden in den kommenden Jahren nicht weniger. Die größte Gefahr für kleine Parteien besteht darin, in dieser Situation in allgemeiner Beliebigkeit zu verschwinden, um nach allen Seiten anschlussfähig zu bleiben. Deshalb werden wir uns auf unsere inhaltlichen Stärken konzentrieren, bei gleichzeitiger Erhöhung unserer Mobilisierungskraft, um uns gegenüber der politischen Konkurrenz abzugrenzen und als eigenständige moderne linke Kraft zu profilieren. Hier zeichnen sich neue Formen von gesellschaftlicher Problemlösung ab, wobei einzelne politische Projekte an Bedeutung gewinnen. Hier sehe ich Chancen und Herausforderungen, bei denen die Grünen mit ihrem Politikansatz profitieren können.

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