Höchste Zeit für eine Frauenstrategie

Bei Frauen ist die SPD ziemlich out, bei jungen Frauen mega-out. Das ist hoch gefährlich, denn an der Attraktivität der Partei für Wählerinnen hängt zugleich ihre Anschlussfähigkeit an die Lebenswirklichkeit moderner gesellschaftlicher Gruppen und Milieus. Vier praktische Vorschläge für den fälligen Neuanfang

Mittlerweile hat es sich herumgesprochen: Die SPD hatte in diesem Wahlkampf ein Frauenproblem, wozu auch die durchaus authentisch gemeinten Sprüche des Spitzenkandidaten über sein Verhältnis zum weiblichen Geschlecht beigetragen haben. Man erinnere sich an Peer Steinbrücks Kommentare zum „Kuschel-Peer“, zu Angela Merkels „Frauenbonus“ und den Auftritt mit seinen „selbstbewussten“ Töchtern, um zu beweisen, dass er überhaupt mit jungen Frauen sprechen kann. Peer Steinbrück, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel gaben sich als Macher und zugleich Konkurrenten, und wirkten dabei so männlich-machtfixiert, dass zum Ausgleich ein Fototermin für das weibliche Führungstrio Kraft-Dreyer-Schwesig organisiert werden musste.

Die Frauen haben die Signale der SPD richtig verstanden und wählten vor allem die Union (44 Prozent); für die SPD stimmten nur 25 Prozent der Wählerinnen. Der Anteil der Männer, die für die Union stimmten, war deutlich niedriger (39 Prozent), während er für die SPD mit 26 Prozent leicht höher ausfiel. Besonders bei jungen Frauen ist die SPD derzeit mega-out.

Die Verantwortung für das Frauenproblem ist nicht alleine den drei Mitgliedern des Männertriumvirats anzulasten. Vielmehr ist die SPD mit einem strukturellen Dilemma konfrontiert, das auch eine frauenfreundlichere Parteispitze nicht hätte beseitigen können: Die Deutschen sind in Fragen von Arbeit und Familie noch immer konservativer als viele andere Nationen. Und die deutsche Gesellschaft ist gespalten: Laut der „Vorwerk Familienstudie 2013“, die auf einer repräsentativen Befragung beruht, kommt es für gerade einmal 44 Prozent der Deutschen infrage, dass der Mann bei seiner Karriere zurücksteckt, damit seine Frau ebenfalls arbeiten kann. Selbst unter den Frauen sind es nur 48 Prozent der Befragten. Überraschenderweise sind die Zahlen sogar rückläufig; vor zwanzig Jahren waren es noch 53 Prozent von ihnen. Allerdings bedeutet dies im Umkehrschluss auch, dass knapp die Hälfte der Frauen von ihrem Partner erwartet, für ihre berufliche Weiterentwicklung zurückzustecken. Immerhin 36 Prozent der Befragten können sich eine familiäre Arbeitsteilung vorstellen, in der die Frau Vollzeit und der Mann Teilzeit berufstätig ist.

Somit lag die Haltung der Union voll im Trend: Die Partei ließ die frauenpolitischen Meinungsunterschiede der Ministerinnen Kristina Schröder und Ursula von der Leyen einfach stehen. Schließlich gibt es eine kleine Mehrheit für traditionelle Rollen und eine deutliche Minderheit für eine gleichberechtigte Arbeitsteilung. Dabei ist das Betreuungsgeld zu recht hoch umstritten, da sich die Familien an eine Subventionierung durch Transferleistungen schnell gewöhnen, während es für die betroffenen Mütter immer schwieriger wird, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Viele Frauen lehnen die damit verbundene Rollenzuschreibung ab. Mit dem Betreuungsgeld, dem Ehegattensplitting und anderen Elterngeld zementieren wir eine niedrige Geburtenrate.

Weniger ansprechend geht es kaum

In der SPD hingegen kollidierte eine fortschrittliche Frauenpolitik, die auf Kinderbetreuung, das Recht auf Vollzeitbeschäftigung und die Frauenquote setzte, mit einem Spitzenpersonal, das nur wenig davon ad personam repräsentierte – mit Ausnahme von Sigmar Gabriels Elternzeitmonaten. Weniger ansprechend geht es kaum. Allerdings gibt es für die Sozialdemokratie keine Alternative zu einer fortschrittlichen Frauenpolitik. Die Erfahrungen der nordischen Länder zeigen deutlich, dass nur eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt die Verwirklichung von Kinderwünschen ermöglicht, die die allermeisten Frauen (und Männer) haben. Die Geburtenraten in den OECD-Ländern korrelieren stark mit dem Erwerbsverhalten von Frauen: Je eher Mütter eine unabhängige berufliche Laufbahn verfolgen können, umso mehr Kinder bekommen sie. Je mehr Frauen beruflich auf eigenen Füßen stehen, desto dynamischer ist der Arbeitsmarkt, desto besser sind Familien gegen Arbeitsmarktrisiken versichert und umso größer ist die Nachfrage nach Dienstleistungen. In den nordischen Ländern wählen mehr Frauen als Männer sozialdemokratisch. Auch sind sie in den Gewerkschaften stärker vertreten. Skandinavische Frauen wissen, wer ihnen im Arbeitsleben am meisten hilft.

Wie kann die SPD ein überzeugendes Programm für Gleichberechtigung entwickeln? Wie sehr sollte sie Rücksicht auf die konservative Grundstimmung in der Familienpolitik nehmen? Auf welche Weise sollte sie ihr eigenes Fortschrittsprogramm propagieren? Und wie kann sie in ihrer Organisationskultur und durch ihr Führungspersonal ein solches Programm verkörpern? Es folgen vier Bestandteile einer Frauenstrategie für die SPD:

Ein Kulturwandel. Politische Korrektheit wird gern verspottet, vor allem von denjenigen, die unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit ihre bornierten Vorurteile und Machtpositionen loswerden möchten. Flotte Sprüche gehören in der Politik dazu und verbale Übergriffe leider auch. Der Begriff des „Gedöns“ ist da nur ein Beispiel. Diskussionen über Frauenfragen sind in Deutschland heute nur selten politisch korrekt. Wer sich die Kommentare auf den Internetseiten verschiedener Zeitungen unter Artikeln zu Frauenthemen durchliest, merkt das schnell. Frauen werden von dieser Sprache abgestoßen – und auch von der Häme, mit der in der Partei häufig miteinander umgegangen wird. Verbindlichkeit, Offenheit und Transparenz sind überall Schlüssel zum Erfolg. Machogehabe und Ramboallüren sind es nicht. Die Partei muss sich einen Umgangskodex zulegen, wenn sie Fraueninteressen ernst nehmen will. Ein Mindestmaß an politischer Korrektheit gehört dazu.

Eine realitätsnahe aber progressive Politik. Der Feminismus alter Schule hat stark auf das Thema Gleichberechtigung gesetzt. Aber die Trippelschritte in Richtung Gleichberechtigung haben die Lebenswirklichkeit vieler Frauen ignoriert. Die meisten Frauen streben kein Spitzenamt an, sondern sie wollen im Einklang mit ihren Fähigkeiten, Interessen und den Bedürfnissen ihrer Familien leben. Die Frauenquote im Aufsichtsrat betrifft nur eine winzige Minderheit. In der Praxis ist Frauenpolitik zum überwiegenden Teil Familienpolitik. Das „einerseits-andererseits“ in der deutschen Familienpolitik führte nicht nur zu einem Gebärstreik junger und hochqualifizierter Frauen, sondern zudem zu einer verqueren Frauenpolitik. Auch die kinderlosen Frauen machen selten Karriere, und noch immer werden Frauen per se als weniger kompetent eingeschätzt. Darum gehört die Familienpolitik weiterhin auf den Prüfstand und sollte die Realität junger Familien in den Mittelpunkt stellen. Familienarbeitszeiten, die Abschaffung der Steuerklasse V zugunsten des Faktorverfahrens sowie Veränderungen bei den Vätermonaten sind Bausteine für ein partnerschaftliches Familienleben. Die SPD sollte diese Politik weiterhin selbstbewusst und offensiv vertreten. Sie muss stärker auf die emanzipatorischen Erfolge berufstätiger Mütter hinweisen und aktive Väter auch in der eigenen Partei fördern.

Formate und Inhalte passen nicht mehr

Eine Verjüngungskur. Die Mitgliedschaft der SPD ist hoffnungslos überaltert. Junge Frauen und alte Männer stehen sich sprachlos gegenüber. Doch junge Frauen und Männer sind die Zukunft der Gesellschaft. Um junge progressive Frauen zu erreichen, müssen die Formate und Inhalte politischer Bildungsarbeit modernisiert werden. Netzaffine Feministinnen sind der Kontakt zur nächsten Generation und keine Dekoration auf Podiumsdiskussionen. „#Aufschrei“ und Alltagssexismus sind wichtige Themen, um mit jungen Frauen ins Gespräch zu kommen. Denn sie leiden unter dem Druck und der Unsicherheit, die auf ihnen lasten. Sie sind beruflich stark gefordert und werden zugleich sexistisch diskriminiert. Ihnen praktisch und politisch beizustehen, wäre eine wichtige Aufgabe der SPD.

Die ASF: Verhärtet und verkämpft

Eine institutionelle Reform. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) wurde 1972 als Vertretung von Fraueninteressen in der SPD gegründet. Seitdem dominiert in der Partei ein institutionalisierter Feminismus, der oftmals verhärtet und verkämpft erscheint. Diese Form des Feminismus wirkt oft so, als sei er bei August Bebels Schrift Die Frau und der Sozialismus stehengeblieben. Durch den institutionalisierten Feminismus der AsF hat sich der Diskurs über Gleichberechtigung in der SPD eingeigelt. Insider berichten, dass in der SPD ein Engagement für Frauenthemen und ein Führungsamt in der AsF häufig eher ein Karrierehindernis sind, als das es für höhere Aufgaben qualifiziert. Viele karriereorientierte Frauen wollen sich dort nicht einsortieren lassen. Die AsF sollte den Dialog mit jungen Feministinnen suchen und ihre eigene Modernisierung betreiben. Wenn dies nicht gelingt, sollte man einen grundlegenden Umbau ernsthaft in Erwägung ziehen.

Die Familienpolitik ist in Deutschland der letzte Ort eines konservativen Gesellschaftsbilds. Die Hoffnung vieler junger Familien, eine traditionelle Arbeitsteilung sei das Beste für sie und ihre Kinder, ist trügerisch. Das ökonomische Risiko und die große Unzufriedenheit, die lange Phasen von Miniteilzeit und Elternzeit bei Müttern hervorrufen, sind einfach zu groß. Eine klare Positionierung für eine progressive Politik wird den berufstätigen Müttern und Vätern langfristig helfen. Wird sie von sensiblen Politikerinnen und Politikern vertreten, dann kann die SPD, wie die nordischen Sozialdemokraten, auch das Wählerreservoir junger Frauen wieder ausschöpfen.

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