Hinter der Maske der Freundlichkeit

Im März ist die AfD gleich in drei Landtage eingezogen. Was werden die Populisten dort aufführen? Wie sollen demokratische Fraktionen mit ihnen umgehen? Im Brandenburger Parlament sitzt die AfD bereits seit 2014 - welche Lehren für den Umgang mit der Partei lassen sich weitergeben?

Wenn Alexander Gauland im Plenum des Brandenburger Landtags seine Botschaft losgeworden ist, huscht oft ein kleines Lächeln über sein Gesicht. Ob er Flüchtlingshelfer als „nützliche Idioten“ beleidigt oder die rhetorische Frage stellt, ob denn bedürftige Deutsche erst das Mittelmeer überqueren müssten, um von der Politik wahrgenommen zu werden: Gauland weiß genau, wie er am meisten provoziert – und er genießt es, weil er die Reaktionen vorausberechnet. Der Fraktions- und Landes-parteichef der AfD in Brandenburg macht keinen Hehl daraus, dass Grenzüberschreitungen für ihn zum politischen Geschäft gehören.

Der Zweck – die Aufmerksamkeit der Journalisten, anderer Parteien und mittelbar der Öffentlichkeit – heiligt für Gauland und seine Fraktionskollegen fast jedes Mittel und nahezu jede verbale Entgleisung. Wenn ein AfD-Abgeordneter in der Debatte über die Rechte von Homosexuellen schwadroniert, vielleicht wolle ja auch jemand vier Frauen oder einen Gartenzwerg heiraten, dann ist das keine Ausnahme, sondern kennzeichnet das Niveau dieser Partei, gleichsam ihr sprachlich-intellektuelles Normalnull. Eineinhalb Jahre nach dem Einzug der AfD ins Potsdamer Parlament hat sich die Empörung über solche abwertenden, teils offen fremdenfeindlichen und fast immer dümmlichen Redebeiträge zwar nicht gelegt, aber doch merklich abgekühlt.

Die Rechtspopulisten legen auch deshalb immer wieder und immer heftiger nach, weil sie anderenfalls ihr unmittelbares Ziel – auffallen und provozieren – auf Dauer verfehlen würden. Der Mechanismus aus Reiz und Reaktion beschreibt die Vorgehensweise der AfD im Parlament, verweist aber zugleich auf ein Dilemma demokratischer Parteien im Umgang mit der AfD: Bloßes Ignorieren verbietet sich, um der Sache wie um der politischen Kultur willen; zugleich sind Widerspruch und offensives Gegenhalten durchaus im Sinne der AfD, weil es ihr hilft, ihre vermeintliche Singularität und Ausgrenzung durch die so genannten Systemparteien zu belegen.

Den Gegner gut kennen ist die halbe Miete

Im Brandenburger Landtag haben die Parteien unterschiedliche Wege gesucht, um dieser Zwickmühle zu entgehen. Die SPD-Fraktion hatte sich schon vor der Landtagswahl im September 2014 auf den erwarteten Einzug der AfD eingestellt und begonnen, Gegenstrategien zu entwickeln. Dazu gehörte zunächst eine eingehende Analyse der Listenkandidaten und der Mitglieder des Landesvorstands der Partei, die damals erst seit einem guten Jahr existierte. So war bereits Monate vor der Wahl einer interessierten Öffentlichkeit bekannt, dass ein großer Teil der AfD-Mitglieder zuvor rechtsextremen oder islamfeindlichen Parteien angehört hatte und welche Ressentiments sie im Detail pflegen. Das freundliche Gesicht Gaulands war schon zu diesem Zeitpunkt als bloße Maske enttarnt – jedenfalls für diejenigen, die hinter die Maske blicken wollten.

Nach dem Einzug der AfD in den Landtag mit mehr als zwölf Prozent und zunächst elf Abgeordneten (von insgesamt 88) war sich die SPD mit den meisten anderen Parteien, auch dank dieser Vorrecherchen, schnell über einige Grundsätze im Umgang mit der neuen Fraktion einig: keine gemeinsamen Anträge mit der AfD, keine Zustimmung zu ihren Anträgen, kein AfD-Vorsitz in wichtigen Ausschüssen wie Inneres oder Bildung. Nur die CDU brauchte etwas länger, um eine klare Haltung zur Konkurrenz von rechts zu entwickeln.

Die frühzeitige Aufklärungsarbeit über die AfD-Abgeordneten verhinderte zudem, dass sie sich in Landtag und Medien als harmlose „besorgte Bürger“ darstellen konnten. Besonders SPD-Fraktionschef Klaus Ness lieferte sich bis zu seinem unerwarteten Tod Ende 2015 mit den Abgeordneten der AfD harte Wortgefechte im Plenum und ließ Gauland, der sich in seiner Alterspräsidentenrede noch als anglophiler Konservativer zu präsentieren versuchte, die Biedermann-Attitüde nie durchgehen. Die gezielte Auseinandersetzung und die politische Einordnung der AfD – „nach rechts und nicht ganz dicht“, wie Klaus Ness sagte – zeigten Wirkung: Statt als vermeintlich neue, unbelastete Kraft in die Offensive gehen zu können, war die AfD von Beginn an in der Defensive – im Parlament ebenso wie in der breiten Öffentlichkeit. Dies ist ein Grund dafür, warum die Partei sich über soziale Medien rasch eine eigene, zwar begrenzte, aber von ihr steuerbare Pseudo-Öffentlichkeit als Resonanzkörper geschaffen hat.

Die kritisch-wachsame Sicht der Medien war besonders in zwei Fällen erkennbar: Als ein Fraktionsmitglied nicht nur ausgeschlossen, sondern zum Mandatsverzicht gedrängt wurde (übrigens wegen zu enger Kontakte zu den Medien), konnte der potenzielle Nachrücker von Journalisten anhand von Facebook-Einträgen als Antisemit entlarvt werden. Diesen Makel sind Gauland und seine Fraktion trotz ihrer Distanzierung bis heute nicht losgeworden. Zudem fanden SPD, Linkspartei und Grüne breite öffentliche Zustimmung, als sie einen AfD-Kandidaten für die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK), die den Verfassungsschutz beaufsichtigt, mehrfach ablehnten, der früher Mitglied der rechtsradikalen Republikaner war. Mit einer Klage gegen seine Ablehnung scheiterte die AfD-Fraktion vor dem Brandenburger Verfassungsgericht.

Nach nunmehr eineinhalb Jahren im Brandenburger Landesparlament muss man feststellen, dass die Gauland-Truppe nicht nur bewusst Eskalationskaskaden im Plenum kalkuliert, sondern auch gezielt andere parlamentarische Rechte ausreizt. War die AfD-Fraktion in ihrer mühsamen Selbstfindungsphase der ersten Monate einzig durch Personalquerelen aufgefallen, so ist sie inzwischen – auch dank der Erweiterung ihres Mitarbeiterstabes – dazu übergegangen, zu jedem nur erdenklichen Thema parlamentarische Anfragen an die Landesregierung zu stellen. Um es sich einfach zu machen, zitiert sie häufig lediglich Presseartikel oder Aussagen Dritter und fragt hierzu die Meinung der Landesregierung ab. Die Anfragen behandeln Themen wie „Grundgesetzwidriges EEG“ bis hin zu den Kernthemen der AfD wie etwa Ausländerkriminalität, Transferleistungen an Migranten oder Islam. Manchmal scheint es so, als hoffe die Partei allein durch die schiere Zahl der Anfragen den einen oder anderen Zufallstreffer zu landen.

Absprachen unter Demokraten sind entscheidend

Ganz ähnlich verhält es sich bei Anträgen an den Landtag selbst. Auch hier werden immer wieder Papiere zu fast identischen Themen eingebracht – in der Hoffnung, die politische Tagesordnung bestimmen zu können. Neben merkwürdig anmutenden Orchideen-Anträgen (etwa zur Abschaffung der Sommerzeit) ist das Gros der Anträge aber deutlich ideologischer geleitet als die parlamentarischen Anfragen. Die anderen Landtagsfraktionen haben deshalb mittlerweile einen differenzierten Umgang mit den Anträgen der AfD entwickelt. Bei entweder offen rassistischen oder nicht originär landespolitischen Themen antwortet jeweils nur ein Redner für alle Fraktionen, ob Opposition oder Koalition. Dies ermöglicht eine pointierte und sachliche Auseinandersetzung, ohne dass der AfD unnötig viel Raum auf dem parlamentarischen Parkett geboten wird.

Viel Gewicht legt die AfD-Fraktion offenkundig auf die Pflege ihrer Bündnisstrukturen. Überregionale Beachtung fand der Besuch Alexander Gaulands zusammen mit Fraktionskollegen auf einer Dresdener Pegida-Demonstration im Dezember 2014. Ebenso beteiligen sich AfD-Landespolitiker rege an Anti-Asyl-Protesten in Brandenburg. Dass dabei wissentlich und bewusst die Nähe zu offen rechtsextremistischen Kräften in Kauf genommen wird, beweist der Brandenburger AfD-Vize Andreas Kalbitz regelmäßig. Er hat sich langsam, aber beharrlich zu Gaulands „Kronprinzen“ im Landesverband und der Fraktion aufgebaut, nachdem er zuvor in aller Ruhe andere vorwärtsstürmende Fraktionskollegen ins Leere laufen ließ. Gemeinsam mit Björn Höcke und André Poggenburg ist Kalbitz zudem einer der Repräsentanten der AfD-internen, deutlich antiislamischen Sammlungsbewegung „Der Flügel“.

Lasst die Radikalen nicht zur Ruhe kommen!

Die AfD-Landtagsfraktion hat in den gut eineinhalb Jahren ihrer Existenz eine Metamorphose durchgemacht. Wurde sie auch in Brandenburg zu Beginn noch als eurokritische und wertkonservative Kraft wahrgenommen, hat sie sich mittlerweile ein stramm-rechtes Profil erarbeitet. Die Vernetzung und Zusammenarbeit des rechten AfD-Flügels, der „Patriotischen Plattform“, spielt dabei ebenso eine Rolle wie der Schulterschluss zwischen Gauland, Kalbitz und Björn Höcke. Besonders Fraktionsmitglieder, die vorher wenig politisches Profil besaßen, sind im Laufe der vergangenen Monate auf den Kurs der Spitze eingeschwenkt. Mittlerweile tritt die AfD-Fraktion nach außen als homogene Gruppe auf, der die letzten Reste einer wertkonservativen Mitte verloren gegangen sind. Aufgrund dieser Gärprozesse, die von internen Gruppierungen wie der „Plattform“ vorangetrieben werden, ist eine ständige Beobachtung durch die anderen Fraktionen und die Medien notwendig – und wird auch gewährleistet: Die AfD-Fraktion sorgt selbst dafür, dass sie weder zur Ruhe kommt noch in Ruhe gelassen wird.

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