Handkäs mit Musik

Thea Tucher ist im Urlaub. Peter Seideneck vertritt sie kongenial

Vor gut drei Jahren beendete ich meine Rundreise durch verschiedene europäische sozialdemokratische Parteien. Rund 13 Jahre Exil lagen hinter mir. Erst in Belgien. In diesem kleinen Land gibt es ziemlich viele Regierungen. Eine in Flandern, eine in Wallonien, eine in Brüssel, eine für die Deutschen in Eupen. Sogar eine für das ganze Land. Und weil in Belgien nichts in einfacher Ausführung existiert, gibt es auch zwei sozialistische Parteien. Eine für die Flamen und eine für die Wallonen. Nur der König ist einmalig. Ich habe mich dann in der wallonischen Partei eingeschrieben, weil ich kein Flämisch kann.

In Frankreich sind die Verhältnisse auch nicht einfach. Dort gibt es eine Sozialistische Partei. Eine einzigartige. Sie hat fast mehr Strömungen und Tendenzen als Mitglieder, wenn sie in der Opposition ist. Ist sie aber an der Regierung, dann ändert sich das über Nacht. Die Strömungen teilen sich die Posten auf, und die neuen Mitglieder strömen in Scharen herbei. Diese sehr bewegliche Partei ist manchmal basisdemokratisch. Sie veranstaltet gerne Mitgliederabstimmungen, an deren Ergebnisse sich die Strömungen dann aber nicht immer halten. Auch dort habe ich mich eingeschrieben. Allerdings strömungsfrei.

In Deutschland ist das leichter. Dachte ich. Als ich in Frankfurt am Main meinen Wohnsitz nahm, habe ich mich sofort in die SPD eingeschrieben. Meine Frau auch. Schließlich bin ich der Haushaltsvorstand. Unser Sohn war schon drin. Während in Belgien und Frankreich die Mitgliedschaft fast zum Nulltarif zu haben ist, kostet sie in Deutschland richtig Geld. Das ist soweit völlig in Ordnung. Was nichts kostet, das taugt nichts.

Dann ging alles ganz schnell. Wir wurden begrüßt. Erst wurde uns mitgeteilt, wir seien nun der „Gruppierung“ Arbeitsgemeinschaft 60 plus „zugewiesen“. Früher war das anders. Da trat man einfach ein. Ich spreche aus Erfahrung. Unserer Gruppenleiterin 60 plus habe ich dann ein Schreiben zukommen lassen, in dem ich nach der Sinnhaftigkeit einer „zugewiesenen“ Gruppenzugehörigkeit gefragt habe. Sie hat etwas verbittert reagiert. Daraufhin habe ich mich an die Rentnerabteilung des Parteivorstandes gewandt und um Aufklärung gebeten. Die E-Mail liegt dort heute noch unbeantwortet. Eine gewisse Erleichterung und eine ziemliche Freude überkam uns allerdings, als wir ein nettes Begrüßungsschreiben der Jungsozialisten erhielten. So etwas tröstet.

Etwas Belgisches allerdings gibt es auch in der deutschen Partei. Den Vorwärts erhalten wir in dreifacher Ausfertigung. Das ist völlig in Ordnung. Es rechtfertigt einen Teil des Parteibeitrages, und man hat mehr zu lesen.

Und dann kam der Landtagswahlkampf. Der heftige Herr Koch zog als Favorit ins Rennen und ließ – wie immer – nichts aus. Auch wenn er diesmal kein Volksbegehren gegen Ausländer auflegte. Im Übrigen war er so, wie er schon immer war.

Wir hatten mit der Genossin Ypsilanti eine Kandidatin, die einen spitzenmäßigen Wahlkampf hinlegte. Allerdings lief sie dem netten Herrn Koch ganz locker ins Messer, denn der behauptete, Frau Ypsilanti und die hessische SPD hätten nichts anderes im Sinn, als eine Verbindung mit den Kommunisten einzugehen. Damit meinte Herr Koch eine Partei, die sich „Die Linke“ nennt, neu ist und dennoch ziemlich alt aussieht, wenn man genau hinguckt. Frau Ypsilanti ließ das nicht durchgehen und erklärte wiederholt und laut und deutlich, das komme überhaupt nicht in Frage. Großes Ehrenwort. Auch eine Koalition mit der CDU und dem Herrn Koch komme nicht in die Tüte. Das war Parteitagsbeschluss. Und so etwas hat mehr Gewicht als ein Ehrenwort.

Frau Ypsilanti fuhr ein bemerkenswertes Ergebnis ein. Herr Koch hatte nur ein paar Stimmen mehr. Nun liefen Frau Ypsilanti und die hessische SPD zu großer Form auf. Ausgerufen wurde die „Soziale Moderne“, ein schöner Werbespruch, unter dem wir uns alle etwas vorstellen können. Etwas Schönes. Für das Schöne war vor allem der Herr Professor Doktor Hermann Scheer zuständig. Der Mann ist die personifizierte Alternative und auch deswegen Träger des alternativen Nobelpreises. Er hat die Sonnenstrahlen erfunden und ist für Wenden jeder Art zuständig, in erster Linie für die Energiewende. Er kann übrigens auch ganz lange reden, am liebsten in Fernsehsendungen. Als der gar nicht nette Herr Koch in einem Fernsehduell mit unserer Spitzenkandidatin auf die Energiepolitik zu sprechen kam, erledigte unsere Kandidatin die ganze Sache mit: „Dafür haben wir unseren Professor Doktor Hermann Scheer, Träger des alternativen Nobelpreises.“ Das saß.

Nach der Wahl machte sich Hessens SPD unter der Anleitung von Frau Ypsilanti daran, die Klatsche für den Herrn Koch in einen Sieg für denselben zu konvertieren. Und das mit sehr viel Talent. Zuerst wurde „Nicht mit Die Linke!“ realpolitisch korrigiert. Das Konzept einer Minderheitenregierung entstand, mit Frau Ypsilanti und Herrn Professor Doktor Hermann Scheer als Zentralfiguren. Geduldet von der Fraktion „Die Linke“. Herr Professor Doktor Hermann Scheer soll übrigens seine zukünftigen Amtsräume im Wirtschaftsministerium schon einmal vermessen und über den Einbau einer Dusche nachgedacht haben, um 24 Stunden am Tag ungestört an der Energiewende arbeiten zu können.

Dass nun die Dusche nicht eingebaut werden kann, liegt an vier Abgeordneten, die erklärten, sie könnten Andrea Ypsilanti nicht wählen. Wegen Gewissenskonflikt. Einen Tag vor der geplanten Abstimmung im Parlament. Bis auf Frau Metzger, die weniger Zeit brauchte. Herr Walter sagte, er habe einen Fehler gemacht und sich nicht so mutig verhalten wie Frau Metzger. Er war wohl auch ein wenig traurig darüber, dass ihm Frau Ypsilanti nicht das Wirtschaftsministerium zugewiesen hatte. Frau Ypsilanti sagte, sie habe einen Fehler gemacht. Sie habe gedacht, die Linken kämen sowieso nicht in den Landtag. Und deshalb habe sie versprochen, nicht mit ihnen zusammenzuarbeiten. So hat sie gedacht.

Nun ist Hängen im Schacht. Herr Koch wird die nächsten Wahlen gewinnen. Frau Ypsilanti und die „Soziale Moderne“ sind gestartet wie eine Rakete – und nun gelandet wie das Frankfurter Nationalgericht Handkäs mit Musik. Ich bleibe in der Partei. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Es kann aber sein, dass ich in Zukunft mit nur noch zwei Exemplaren des Vorwärts zurechtkommen muss. Meine Frau denkt nach. Aber noch bin ich ja der Haushaltsvorstand.

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