Fünf lange Jahre in Berlin

Uli Wickert interviewt Willy Brrrrandt

Klingelingelingeling

Brandt: Brrrrandt.

Wickert: Guten Abend, Herr Bundeskanzler, hier spricht Uli Wickert.
Brandt: Werrrr?

Wickert: Uli Wickert. Der Sohn vom alten Wickert. Jetzt Tagesthemen. Guten Abend, Herr Bundeskanzler.
Brandt: Hier spricht Seeeebacher-Brrrandt! Die Frau von Herrrn Brrandt!

Wickert: Huch. Guten Abend, Frau Seebacher, ich habe Ihre Stimme zuerst gar nicht erkannt. Schlimm erkältet?
Brandt: Garrr nicht. Bebel schläft. Was wollen Sie?

Wickert: Ich hätte ihren Mann gern zu den letzten fünf Jahren befragt: „Fünf Jahre Berliner Republik“ heißt unser Thema in den Themen, wenn Sie verstehen.
Brandt: Ich sagte doch: Bebel schläft. Kann ich Ihnen weiterrr helfen?

Wickert: Frau Seebacher, verehrte Frau Bundeskanzler, ich hätte doch gern ihren Gatten gesprochen.
Brandt: Na, wenn sie den Alten unbedingt sprechen wollen, dann kann ich es ja mal versuchen. Wiiilly! Hier ist der Vicco Torriani und will Dich was fragen!
Brandt: Brrrandt.

Wickert: Guten Abend, Herr Bundeskanzler, hier ist Uli Wickert von den Tagesthemen.
Brandt: Los, mein Jung, die Sekunden laufen und Brigitte will das Telefon zurück.

Wickert: Herr Brandt, nun ist Berlin seit fünf Jahren so richtig Hauptstadt Deutschlands. Was empfinden Sie dabei?
Brandt: Als ich noch Kreisvorsitzender in Wilmersdorf war, gab es hier viele Waschlappen mit Wahlschlappen. Das hat sich unter dem Wowereit grundlegend geändert, wie ich höre. Keine Waschlappen mehr, nur noch Schlappen. Ist doch besser. Und im Roten Rathaus sind die auch noch. Alles gut.

Wickert: Lieber Herr Brandt, ich meine nicht so sehr die lokale Politik, ziele eher auf die Bundesregierung.
Brandt: Ich habe in einem kleinen Reihenhaus gewohnt, wie der Genosse Schröder auch. Das eint. Für immer. Da will man doch nur raus, kann ich Ihnen sagen. Und da ist das große Berlin doch ’ne tolle Sache. Wenn die lokalen Politiker da nur nicht so petite klein und wenig bedeutsam wären. Berlin hat eine so gute Regierung wie die vom Schröder doch gar nicht in ihren Mauern verdient. Wenn der nicht hier wäre, dann müsste man den da hin holen. Der soll man Berlin gleich mitmachen. Das kann der locker. Wie Washington.

Wickert: Herr Bundeskanzler, Deutschland hat sich sehr verändert seit Sie sich aus der Politik zurückgezogen haben.
Brandt: Nur die Lohnnebenkosten sind gleich geblieben. Da stimmt doch was nicht. Und was früher das Büdchen in Bonn am Plenarsaal war, soll heute einWartesaal am Gendarmenmarkt sein. Mir grust es. Es bringt nichts, in einem Wartesaal vor sich hin zu dösen. Wir sollten uns wenigstens nach dem nächsten Zug erkundigen. Das hat mir der Julius Leber mit auf den Weg gegeben. Das können Sie dem Schröder mal von uns beiden ausrichten.


Wickert: Herr Bundeskanzler, in Berlin ist die Republik zu sich selbst gekommen und hat sich gewissermaßen auch verloren. Verloren in eine Beliebigkeit, die durch eine immense Unprofessionalität der privaten Medien und ebensolche der meisten Politiker geprägt ist. Wie sehen Sie dies?
Brandt: Schauen Sie, das war doch in Bonn nicht anders. Es waren nur weniger Journalisten und mehr Abgeordnete. Da stimmte die Mischung der dünnen Soße und fiel nicht so auf. Und die Öffentlichen haben sich heute mit den Privaten doch ins gleiche Bett gelegt, wenn ich mich nicht irre.

Wickert: Die Probleme der Berliner Republik aber sind heute größer denn je. Was raten Sie?
Brandt: Sagen Sie mal, Herr Lueg, gibt es eigentlich den Clement noch, den Chefredakteur der Hamburger Morgenpost?

Wickert: Wickert, Herr Bundeskanzler, ich heiße Wickert.
Brandt: Weiß ich. Was macht nun der Clement?

Wickert: Der war dann Ministerpräsident von NRW und ist heute das, was Schiller früher war.
Brandt: Aha. Dann ist der ja auch durch. Der Plumm. Schade. Der hat damals im März 1987, als ich zurücktrat, in seiner Zeitung geschrieben, dass ich die Brocken hingeschmissen hätte, wie es so meine Art wäre. Und damit angeblich den atemberaubenden Autoritätsverfall der Führung der SPD stoppen wollte. Eigenwillige Interpretation. Das soll ja heute besser sein. Wer sitzt der alten Tante SPD denn gerade vor?

Wickert: Der Franz Müntefering.
Brandt: So. Also, die Probleme. Na ja, da finde ich den Schröder ja ganz gut. Der muss nur noch lernen, dass die Welt für die einfachen Menschen nicht aus so neuen Begriffen und Reformen besteht, sondern aus Essen, Schlafen, Fußballspielen, Kanarienvögeln, Schrebergärten und anderen schönen Dingen. Da gehört der Harz auch dazu, wenn Sie mich verstehen, Herr Nawattnu.

Wickert: Nowottny, lieber Herr Brandt!
Brandt: Sagten Sie eben nicht Lueg? Auch egal. Noch was?

Wickert: Uns interessiert der innere Zusammenhalt der Bundesrepublik 15 Jahre nach der Wiedervereinigung, die Erwartungen und Hoffnungen, die Enttäuschungen und ob die Menschen im Osten bei uns angekommen sind. Was halten Sie davon?
Brandt: Angekommen sind doch erst mal die Wildwestkapitalisten mit ihren üblen Manieren. Die werden sich die Republik doch unter den Nagel reißen wollen. Sagt der Onkel mir jeden Tag. Wenn wir nicht die Opel, die Volkswagen und die Karstadts hätten, dann wären wir doch bald am Ende mit der ausgleichenden Gerechtigkeit. Das sind noch treue Patrioten.

Wickert: Lesen Sie gelegentlich Helmut Schmidt?
Brandt: Der war doch für Wirtschaft und Finanzen in keiner Weise ausgebildet oder vorbereitet. Und redet noch immer darüber. Man ist erstaunt.

Wickert: Herr Bundeskanzler, eine letzte Frage: Was wünschen Sie der Berliner Republik ganz persönlich?
Brandt: Die Merkel. Damit Deutschland endlich weiß, was es noch am Allerletzten von uns Sozen gehabt hat. Und dann wieder Sozen.

Wickert: Ich danke Ihnen herzlich, Herr Bundeskanzler.
Brandt: Gute Nacht, Herr Jauch.

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