Für eine Generationenbilanz

Die Idee der Nachhaltigkeit am Beispiel der Reform der Alterssicherung

Nachhaltigkeit" hat beste Aussichten, das Wort des ausgehenden Jahrzehnts zu werden, wenn es so etwas gibt. Während Goethe mit seinem Wort "Was Du ererbt von Deinen Väter, erwirb es, um es zu besitzen", darauf hinwies, dass die bloße Übernahme ohne eigenes Bemühen nicht ausreichen kann und nichts auf Erden von Dauer ist, wenn es nicht ständig erneuert wird (Ernst Albrecht), ist die Begrenztheit der Ressourcen als ein wesentliches Element der Verantwortung für kommende Generationen die Idee der Nachhaltigkeit. Wir müssen heute so handeln, dass es morgen noch etwas zu gestalten oder, um mit Goethe oder Albrecht zu sprechen, etwas zu erwerben oder zu erneuern gibt.


Hatte zunächst die Umweltbewegung dem Gedanken der Nachhaltigkeit in der deutschen Linken zu einer gewissen Anerkennung verholfen ("Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geliehen"), beginnt er nun auch, in die Finanz- und Sozialpolitik Eingang zu finden.


Für die deutsche Linke ist das eine neue Erfahrung: Geprägt von den Vorstellungen der 68er glaubte sie zu lange, dass die staatliche Gestaltungsmacht dann unbegrenzt sei, wenn sich der Eingriff nur umfassend genug der "Umverteilung von oben nach unten" bediene. Das erträumte Ergebnis: "soziale Gerechtigkeit".


Doch die Dinge sind nicht so einfach, wie man sie sich auf Juso-Kongressen vorstellt. Die sogenannte Globalisierung hat nun auch für die linken Flügel von SPD und Grünen die Erkenntnisprozesse schmerzhaft beschleunigt. Und auch die Realität, von manchen als Sachzwang diffamiert, leistet ihren Beitrag. Dass Erkenntnis und das Handeln nach ihr sich nach zaghaften Annäherungsversuchen auch wieder voneinander wegbewegen können, zeigt allerdings die aktuelle Diskussion um die Reform der Alterssicherung.


Nie ging es einer Rentnergeneration so gut wie heute. Durchschnittliche Lebenserwartung und Lebensstandard im Alter haben ein Niveau erreicht, das man noch vor einiger Zeit für unmöglich hielt. Die Regel "alt gleich arm" gilt längst nicht mehr, denn mehr als ein Drittel aller Sozialhilfeempfänger war im vergangenen Jahr jünger als 18 Jahre, der Anteil der Sozialhilfeempfänger über 65 liegt bei nur 6,4 Prozent.
Doch ist die erhöhte Lebenserwartung bisher ohne ausreichende Konsequenz für die Lebensarbeitszeit geblieben. Denn mit dem Anstieg der Rentenbezugszeit mussten auch die Beiträge steigen. Sie haben mittlerweile eine für Arbeitsmarkt und Volkswirtschaft schädliche Höhe erreicht.


Die "Rente mit 60" ist deshalb der falsche Weg: Sie führt zu mehr Kosten für die aktiven Arbeitnehmer, ohne dass diese zusätzliche Ansprüche erwerben und verengt zudem ihren finanziellen Spielraum für eine eigene private Altersvorsorge.


Sie ist arbeitsmarktpolitisch wenig sinnvoll, weil die Erfahrungen der letzten Jahre belegen, dass lediglich einer von sieben freigewordenen
Arbeitsplätzen wiederbesetzt wird.


Und die "Rente mit 60" ist schließlich nicht zu finanzieren. Nach Angaben des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger betragen die Kosten 50.000 bis 100.000 Mark pro Frührentner. Dadurch entstehen Gesamtkosten in Höhe von bis zu 11,8 Milliarden Mark pro Jahr. Die Beiträge in die Tariffonds sollen darüber hinaus steuer- und abgabenfrei bleiben. Steuerausfälle in der Größenordnung von vier Milliarden Mark sind die Folge. Mit Nachhaltigkeit hat das nichts zu tun.

Wir brauchen stattdessen eine Rentenreform, die die Lasten der Alterssicherung auf die Generationen gerecht verteilt und so den Arbeitnehmern genug finanziellen Spielraum gibt, um für eine zusätzliche private Alterssicherung zu sorgen. Es war daher unsinnig, den demographischen Faktor in der Rentenversicherung wieder auszusetzen. Er bezog nämlich die Entwicklung des Altersaufbaus der Gesellschaft in die Rentenberechnung und die Beitragsbemessung ein, ohne Rentenkürzungen notwendig zu machen. Ein nachhaltiger Ausgleich der Lasten zwischen den Generationen war die Idee.


Eine Reform der Alterssicherungssysteme braucht aber nicht nur den Konsens der Parteien, sondern vor allem den Konsens der Generationen. Die plötzliche Reduzierung der Rentenanpassung auf das Inflationsniveau nach der Bundestagswahl ohne vorherige Ankündigung hat diese Konsenssuche in beiderlei Hinsicht erheblich erschwert. Sie hat den Eindruck der "Rentensteigerung nach Kassenlage" erweckt und damit das Vertrauen in das System der gesetzlichen Rentenversicherung stark beschädigt. Auch die Entlastung der Rentenkasse wird nur von kurzer Dauer sein, wenn Bundesarbeitsminister Riester seine Ankündigung wahr macht, 2002 zur Bruttolohnanpassung zurückzukehren.


Wesentliches Ziel der Rentenreform muss es sein, den jüngeren Generationen ausreichenden finanziellen Spielraum für den Aufbau einer eigenen ergänzenden Altersvorsorge zu schaffen. Dazu bedarf es einer Steuerreform mit deutlicher Nettoentlastung. Auch der Vorschlag der derzeitigen Bundesregierung, eine Sparzulage zur privaten Altersvorsorge einzuführen, kann hilfreich sein.


Nachhaltigkeit darf sich aber nicht nur auf die Finanz- und Sozialpolitik beschränken. Sie muss zu einem umfassenden Gestaltungsprinzip der Politik werden. Dazu drängt sich die Einführung einer Generationenbilanz geradezu auf.


Die Generationenbilanz ist ein ganzheitliches Konzept, das die zeitliche Entwicklung der fiskalischen Lasten ermittelt und somit die Auswirkungen neuer finanz- und sozialpolitischer Entscheidungen transparent werden lässt. Mit ihrer Hilfe können die zukünftigen ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Belastungen jeder Generation ermittelt und miteinander verglichen werden.


Die Generationenbilanz könnte die finanziellen Belastungen aus der Steuer- und Sozialpolitik für die verschiedenen Altersjahrgänge exakt aufzeigen. Eine solche Bilanz wird in anderen Ländern mit Erfolg aufgestellt. Aus den Daten der Wirtschaftsstatistik wird dort getrennt nach Geschlecht für jeden Jahrgang ein Konto angelegt, auf dem alle Zahlungen an den Staat und alle empfangenen Transfers zusammengerechnet werden. Auf dieser Grundlage lässt sich die Durchschnittsbelastung eines jeden Jahrganges genau ermitteln.


Die Generationenbilanz kann so Grundlage für Entscheidungen der Politik sein, die zu einer verbesserten intergenerationellen Gerechtigkeit beitragen. Die Bilanz fördert das Bewusstsein für die Verantwortung und stärkt den Zusammenhalt der Generationen untereinander. Auf diese Weise kann auch das Prinzip der Nachhaltigkeit in allen Politikbereichen deutlich gestärkt werden - damit es morgen noch etwas zu erwerben oder zu erneuern gibt.

zurück zur Person