Fördert die Kinder, nicht die Ehen!

Das Ehegattensplitting ist das anachronistische Relikt einer vergangenen Ära

Anfang des Jahres hat sich die SPD erneut für die Abschaffung des Ehegattensplittings ausgesprochen. In dem Entwurf des Programms „Neuer Fortschritt und mehr Demokratie“ heißt es, diese Form der Steuererhebung sei „angesichts der Vielfalt von Lebensentwürfen fernab der klassischen Ein-Personen-Versorger-Ehe nicht mehr zeitgemäß“. Auch die Sachverständigenkommission für den diesjährigen Gleichstellungsbericht ist vom Ehegattensplitting abgerückt. Bereits im Jahr 2007 forderten 17 Organisationen in einem öffentlichen Appell die Einführung einer Individualsteuer mit übertragbarem Grundfreibetrag für jeden steuerpflichtigen Arbeitnehmer.

Heute werden Eheleute meistens zusammen veranlagt: Ihr zu versteuerndes Einkommen wird gemeinsam ermittelt. Auf diesen Betrag wird dann der so genannte Splittingtarif angewendet; der Grundfreibetrag in Höhe von derzeit 8.004 Euro wird doppelt gewährt. Darüber hinaus werden die Einkünfte der Ehepartner addiert, durch zwei geteilt und die beiden „Hälften“ dann zum jeweiligen Steuertarif versteuert – auch dann, wenn das Einkommen faktisch oder überwiegend nur von einer Person erzielt wurde. Dies führt bei einem hohen Einkommen eines Ehepartners und einem großen Einkommensunterschied zwischen den Partnern zu einer steuerlichen Entlastung, weil die Steuerprogression geringer ausfällt.

Nur Ein-Verdiener-Ehen profitieren

Das bereits im Jahr 1958 eingeführte Ehegattensplitting fördert die Ehe, nicht die Familien. Seine Vorteile kommen nur Paaren mit Trauschein und dabei überwiegend Ein-Verdiener-Ehen zugute. Dabei ist es unerheblich, ob in diesen Ehen Kinder leben oder nicht. Unverheiratete Eltern, eingetragene Lebenspartner mit Kindern und Alleinerziehende profitieren hingegen nicht vom Ehegattensplitting. Und das, obwohl nichteheliche Familienformen bereits ein Viertel aller Familien ausmachen. Gefördert werden vor allem die Ein-Verdiener-Ehen mit hohen Einkommen, da der Splittingvorteil umso größer ausfällt, je höher und je ungleicher das Einkommen zwischen den Ehegatten verteilt ist. Sobald der Partner ebenfalls verdient, schwächt sich der Splittingvorteil erheblich ab. Annähernd gleich verdienende Paare haben vom Splitting überhaupt keine steuerlichen Vorteile. Familien im Transferbezug oder gering verdienende Familien verfügen über kein oder nicht genug Einkommen, um überhaupt vom Splitting profitieren zu können. Außerdem hat das Splitting negative geschlechterpolitische Auswirkungen. Es hält verheiratete Frauen von der Erwerbstätigkeit ab, die sich angesichts des Steuervorteils der Ein-Verdiener-Ehe oftmals nicht lohnt. Ein (Wieder)Einstieg in die Erwerbsarbeit wird erschwert oder die Frauen landen in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen.

Künftig sollte das Einkommen jeder erwerbstätigen Person individuell besteuert werden. Die gemeinsame Veranlagung zur Besteuerung und die Anwendung des Splittingtarifs fiele dann weg. Die Unterhaltspflicht der Partner in Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften bestünde allerdings weiterhin. Sie würde über einen übertragbaren Grundfreibetrag berücksichtigt. Folglich könnte ein Partner, der seinen Grundfreibetrag nicht durch eigenen Verdienst ausschöpft, ihn ganz oder teilweise auf den anderen übertragen. Aufgrund dieser Übertragungsmöglichkeit bringt die Streichung des Ehegattensplittings keine höhere Belastung für niedrige und mittlere Einkommen mit sich. Auf Ein-Verdiener-Ehen mit höherem Einkommen kämen hingegen stärkere Belastungen zu.

Eine solche Reform hätte zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von etwa
16 Milliarden Euro zur Folge, die aus der Begrenzung des Splittingvorteils und dem Wegfall der Zusammenveranlagung resultierten. Plant man für bestehende Ehen eine Übergangslösung ein, reduziert sich diese Summe auf rund 7 Milliarden Euro. Die eingesparten Mittel könnten Kindern direkt zugute kommen, etwa durch Investitionen in die Bildungsinfrastruktur sowie in die Existenzsicherung von Kindern. Auf diese Weise könnten die finanziellen Belastungen gerade für Partnerschaften mit Kindern ausgeglichen werden.

Besser Individualbesteuerung als Familiensplitting

Hingegen ist die immer wieder diskutierte Variante eines Familiensplittings, wie es zum Beispiel in Frankreich existiert, keine sinnvolle Alternative zum Ehegattensplitting. Dem ersten Anschein nach klingt es vernünftig und gerecht, im Steuerrecht eine zusätzliche „Kinderkomponente“ einzuführen. Jedoch: Diese würde nur jenen zugute kommen, die überhaupt Steuern zahlen. Ein Drittel aller Familien entrichtet aber gar keine Steuern, weil sie von sozialen Transfers leben oder zu geringe Einkommen haben. Von einem Familiensplitting würden besonders Gutverdiener mit mehreren Kindern profitieren. Somit führt es die verteilungs- und geschlechterpolitisch negativen Auswirkungen des Ehegattensplittings auf noch höherem Niveau fort.

Studien belegen, dass die Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag verfassungsrechtlich haltbar wäre. Das Ehegattensplitting war eingeführt worden, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Benachteiligung von Ehepaaren durch die Zusammenveranlagung in Kombination mit der Steuerprogression moniert hatte. In der Entscheidung des Gerichts wurde das Splitting allerdings nur als eine Möglichkeit benannt, um den Schutz von Ehe und Familie zu gewährleisten. Das Ehegattensplitting ist „keine beliebig veränderbare Steuervergünstigung“, wie es in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1982 heißt, aber es ist reformierbar.

Muss die Politik den Zorn der Wähler fürchten?

Es ist paradox: Obwohl sich seit Jahren immer mehr wichtige gesellschaftliche Kräfte für die Abschaffung des Splittings aussprechen, verbleibt die Politik in einer Verhaltensstarre. 1998 und 2002 war die Ablehnung des Ehegattensplittings in den Wahlprogrammen von SPD und Grünen zu finden – nichts geschah. Während der Großen Koalition von 2005 bis 2009 konnte der sozialdemokratische Juniorpartner eine Abschaffung nicht durchsetzen. Und in der schwarz-gelben Koalition macht die FDP das Ehegattensplitting bislang nicht  zum Thema.

Die Gründe für diesen betonartigen Widerstand sind vielfältig: Erstens fürchten viele Parteien den Zorn der Wähler, wenn sie eine – im weitesten Sinne – familienorientierte Leistung streichen. Diesem Zorn lässt sich aber mit einer durchdachten Kompensation begegnen. Verknüpft man die Abschaffung des Splittings mit der Einführung einer existenzsichernden, zu besteuernden Kindergrundsicherung, werden Ehen mit Kindern auch in mittleren und höheren Einkommensgruppen keine finanziellen Einbußen erleiden. Zweitens ist der Bundestag – ebenso die Landesparlamente – noch immer zu rund 70 Prozent mit Männern besetzt, die offensichtlich überwiegend traditionelle Ehen führen. Sie würde die Streichung etwas kosten, vor allem, wenn ihre Kinder bereits aus dem Haus sind. Diese Abneigung könnte ein Übergangsmodell, wie es die SPD vorschlägt, jedoch „leer laufen“ lassen.
Drittens haben sich die großen Kirchen bislang nicht in die Reihe der Kritiker eingereiht. Selbst die – sonst recht fortschrittlichen – Frauen- und Familienverbände der katholischen und evangelischen Kirche wollen das Ehegattensplitting beibehalten. Hier spielen allerdings weniger sozial-, steuer-  oder gleichstellungspolitische Argumente eine Rolle. Immer weniger Ehen werden in Deutschland allein aus Liebe oder religiöser Überzeugung geschlossen, sondern meistens aus ökonomischen und rechtlichen Gründen, zum Beispiel wenn das erste Kind geboren wird. Bei zunehmender rechtlicher und steuerlicher Gleichstellung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften könnte die Ehe zum Auslaufmodell werden. Die Kirchen müssten dann eindringlicher und überzeugender für den Wert der Ehe als verlässliche Form der Bindung werben. Aber warum eigentlich nicht?

Die Argumente gegen das Ehegattensplitting sind bestechend – aus Sicht der Gleichstellung, Familienförderung und der Sozialpolitik. An Mehrheiten in Politik und Gesellschaft muss weiter gearbeitet werden. Mit dem Modell einer Kindergrundsicherung liegt mittlerweile ein überzeugender Gegenentwurf vor. Diese Entwicklung stimmt mehr als zuversichtlich. «

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