Finanzwirtschaft, Politik und Organisierte Kriminalität

Alle Banker der Welt wehren sich dagegen, mit Mafia-Bossen in einen Topf geworfen zu werden. Aber warum eigentlich? Wir haben es längst mit Zweckgemeinschaften zu tun, die mit krimineller Energie, überlegenem Sachverstand und asozialer Gesinnung ein ganzes Wirtschaftssystem gefährden

Mafiosi begehen Morde. Banker machen Bankgeschäfte. Politiker arbeiten für das Gemeinwohl. Wiederholt man solche Sätze oft genug, werden sie zu tragenden Säulen der Gesellschaft. Was aber passiert, wenn sich in Banken mafiöse Strukturen breit machen? Im Dezember 2013 verhängte die EU-Kommission gegen sechs internationale Großbanken Bußgelder in Höhe von insgesamt 1,71 Milliarden Euro, weil ihre – angeblich von Gier getriebenen – Mitarbeiter mittels äußerst schädlicher Finanzoperationen die wichtigen Leitzinssätze „Euribor“ und „Libor“ manipuliert hatten. Zwei Händlerringe sprachen sich jahrelang in verschwörerischer Weise ab und beeinflussten auf diese Weise nach bisherigen Erkenntnissen Geschäfte im Wert von 500 Billionen Dollar. Acht Banken waren daran beteiligt.

Die Deutsche Bank kassierte mit 725 Millionen Euro die höchste Strafe. Die Akten eines Arbeitsgerichtsprozesses belegen, dass die Zinsmanipulationen in der größten Bank des Landes eine Selbstverständlichkeit waren und nicht nur auf das „Fehlverhalten“ von „Einzeltätern“ zurückgeführt werden können, wie führende Vorstände erklärt haben. Das zuständige Gericht ließ sich davon aber nicht beeindrucken und sprach sogar von einem „System organisierter Unverantwortlichkeit“. Dabei dürfte der Schaden, den dieses System angerichtet hat, die Gewinne aller weltweiten Mafia-Organisationen übertreffen.

Die korrumpierte Verfassungsordnung

Selbstverständlich wehren sich alle Banker der Welt entschieden dagegen, mit Mafia-Bossen in einen Topf geworfen zu werfen. Aber warum eigentlich? Im Wesentlichen bedeutet „Organisierte Kriminalität“ die planmäßige Begehung von Straftaten. Nach anderer Auffassung bezieht sich der Begriff auf kriminelle Organisationen, also Gruppen mit „formaler Struktur“. Schließlich könnte man auch die Ausübung von Macht als das zentrale Element Organisierter Kriminalität ansehen, entweder alleine ausgeübt oder in Allianz mit anderen Kriminellen oder Angehörigen der gesellschaftlichen „Eliten“. In dieser Variante erscheint Organisierte Kriminalität als ein systemischer Zustand, gekennzeichnet durch die Korrumpierung der verfassungsmäßigen Ordnung im Zusammenwirken von Unterwelt, Wirtschaft und Politik.

Das Beispiel der Deutschen Bank regt zu intensiven Diskussionen über den Begriff der Organisierten Kriminalität an. Mit der rekordverdächtigen Sanktionierung durch die EU-Kommission wurde gleichzeitig ruchbar, dass die Deutsche Bank sogar in Japan unter Verdacht geraten ist, reihenweise gegen Anti-Korruptionsregeln verstoßen zu haben. Die EU-Kommission vermutet darüber hinaus, dass die Bank auch im Geschäft mit Kreditausfallversicherungen Absprachen getroffen hat. Und mittlerweile wird untersucht, ob zudem Devisenkurse auf dem Währungsmarkt manipuliert wurden. In diesem Fall kämen auf die Deutsche Bank Strafzahlungen in Höhe von mehr als drei Milliarden Dollar zu.

Doch anstatt die Ermittlungen ernst zu nehmen und ihr Geschäftsgebaren zu ändern, versucht die Führung der Deutschen Bank weiterhin, die fragwürdige „Kurspflege“ und andere Verfehlungen untergeordneten Einzeltätern zuzuschreiben. In der Konsequenz werden zukünftig wohl noch weniger Personen Entscheidungen von enormer Tragweite treffen können, wodurch noch größere Anreize zu organisierten Betrügereien entstehen. Daran werden auch hohe Bußgelder nichts ändern, denn die verhängten Strafen fallen regelmäßig niedriger aus, als die mit den Rechtsverletzungen erzielten Gewinne. Zudem ist das Risiko, entdeckt zu werden, gegenwärtig sehr gering.

Schwarze Schafe oder systemische Kriminalität?

Die Geschäftspraxis der Deutschen Bank allein ist Anlass genug, daran zu erinnern, dass es in Deutschland immer noch kein echtes Unternehmensstrafrecht gibt – entgegen zahlreichen europarechtlichen Vorgaben und anders als in vielen OECD-Staaten. Deshalb kann man gegen Banken und andere juristische Personen hierzulande allenfalls mit dem Ordnungswidrigkeitenrecht vorgehen. Das ist vergleichbar mit dem Versuch, einen Mafioso nachhaltig zur Rechtstreue anzuhalten, indem man ihn zwingt, pünktlich sein Bußgeld fürs Falschparken zu zahlen.

Welche Rolle spielt dabei eigentlich die Politik? Bundes­finanzminister Wolfgang Schäuble wurde vor kurzem öffentliche Sympathie zuteil, weil er erklärte, dass die Banken selbst sechs Jahre nach dem Beginn der Finanzkrise immer noch viele Regeln umgehen. Aber wenn stets dieselben Banken in immer neue „Skandale“ verwickelt sind, wenn sie sich Diktatoren und Steuerbetrügern andienen, Zinssätze manipulieren, Preise absprechen und gegen die eigenen Kunden wetten, wenn „Berater“ ahnungslosen Senioren Zockerpapiere aufschwatzen, wenn durch die Verantwortungslosigkeit einer Branche ganze Staaten in die Knie gezwungen werden – dann müsste die Politik doch eigentlich so lange regulierend eingreifen, bis die Ursachen dafür beseitigt sind. Und vor allem müssten sich die Verantwortlichen in den gesetzgebenden Körperschaften und zuständigen Bürokratien fragen, ob die gebetsmühlenartig vorgetragene These von den Einzeltätern stimmt, oder ob aus den vielen einzelnen Kriminellen nicht längst kriminelle Strukturen erwachsen sind: eine Finanz-Mafia.

Massive Schäden fürs Gemeinwohl

Jeder neue Skandal bringt auch die Politik selbst in Verruf. Dennoch lassen sich viele Volksvertreter nach wie vor mit Beschwichtigungen abspeisen und murmeln das Mantra vom angeblich freien Spiel der Marktkräfte vor sich hin. In Wahrheit lässt sich nicht mehr verdecken, dass in vielen privaten und öffentlichen Banken eine Erosion des Rechtsverständnisses stattgefunden hat. Und auch wenn sich viele noch damit schwertun, das Bankwesen mit Organisierter Kriminalität gleichzusetzen: In großen Teilen des Finanzwesens hat sich mindestens eine organisierte Verantwortungslosigkeit breit gemacht, die massive Schäden fürs Gemeinwohl entfaltet. Durch politische Fehlentscheidungen wie die Deregulierung der Finanzmärkte wurde der Boden dafür bereitet, dass sich Mafiosi und Banker in dieser Hinsicht auf Augenhöhe begegnen können – wenn der Capo nicht sogar zum Finanzmanager aufschauen muss.

Man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Die Bundesregierung wird die Banken, und speziell die Deutsche Bank, nicht mit der gebotenen Härte in ihre Grenzen verweisen. Nur allzu leicht wird vergessen, dass die deutsche Politik Hand- und Spanndienste leistete, damit sich dieses Geldhaus in die Sättel der internationalen Hochfinanz schwingen konnte. Es war ein Entschließungsantrag der rot-grünen Regierungsfraktionen, der im Jahr 2003 den Finanzplatz Deutschland fördern sollte und der größten Wert darauf legte, dass „unnötige Belastungen“ der deutschen Finanzdienstleistungsindustrie vermieden werden. Auch im Koalitionsvertrag des Jahres 2013 heißt es, das „bewährte Universalbankensystem“ solle erhalten bleiben. Das bedeutet eine Bestandsgarantie für die größte Universalbank in Deutschland: die Deutsche Bank. In den Aufsichtsräten darf man sich also entspannt zurücklehnen. Aus den Reihen der Koalitionäre wird keiner hervortreten, der dieser Bank nachhaltig weh tun will (und kann).

Im Gegenteil: Das neue und alte Motto heißt Wachstumsförderung. Diesem Ziel entgegenstehende Finanzregulierungen dürften weitgehend unterbleiben, da die faktisch stattfindende Verschuldungspolitik keine ernsthafte Beschädigung der vermeintlich unentbehrlichen Banken erlaubt. Die Deutsche Bank ist als einziges deutsches Institut auf allen für die Exportindustrie wichtigen globalen Märkten vertreten und gilt insoweit als unverzichtbar. Und der Blick in die Vergangenheit zeigt: Die Politik hatte dem Motto „Alles ist möglich“ schon vor vielen Jahren nichts entgegenzusetzen, obwohl es genügend Indizien für unzulässige Absprachen unter Bankern gab. Regierungen und Aufseher standen achselzuckend daneben. Warum sollte es heute anders sein?

Wir haben es längst mit Zweckgemeinschaften zu tun, die mit krimineller Energie, überlegenem Sachverstand und asozialer Gesinnung ein ganzes Wirtschaftssystem gefährden. Sogenannte Finanzexperten haben dieses Systems mit infiziertem Geld verstopft und etwas möglich gemacht, was selbst der abgefeimteste Wirtschaftskriminelle sicher nicht erwartet, geschweige denn angestrebt hätte: den Zusammenbruch der marktwirtschaftlichen Ordnung. Insoweit dürften Gangster vielen Bankern an natürlicher Intelligenz überlegen sein. Denn jeder Mafioso dürfte wissen, dass er eine Ordnung nicht zerstören sollte, wenn er weiter Gewinne aus ihr ziehen möchte.

Die heutige Finanzwelt bedroht die Demokratie

Die Geschichte der Mafia zeigt, dass sie sich immer als Ordnungsmacht verstanden hat, manchmal auch als Staat im Staate. Aber selbst insoweit ist sie gegenüber der Konkurrenz aus der Finanzwelt chancenlos geworden. Diese stiftet Chaos, das früher oder später mit herkömmlicher politischer Führung in einem demokratischen System nicht mehr zu moderieren sein wird. Weder die Justiz noch die parlamentarische Demokratie scheinen über die Mittel zu verfügen, um den marodierenden Cliquen aus Finanzexperten, Rechtsberatern und „Wirtschaftsprüfern“ Einhalt gebieten zu können. Trotz evidenter Schäden in Milliardenhöhe greifen Begrifflichkeiten wie „Untreue“ häufig nicht. Die Anforderungen der Beweisführung sind justizförmig kaum noch zu erfüllen. Das Gesäusel über einen „Kulturwandel“ hat den Wirkungsgrad weißer Salbe und ist letztlich nur eine der vielen Formeln, mit denen der obszöne Verfall jeglichen Anstands in Wirtschaft und Politik kaschiert werden sollen.

In den Banktürmen aus Stahl und Glas muss sich einiges ändern – wenn nötig und zweckmäßig auch durch Verstaatlichung. Geldstrafen allein werden das System organisierter Unverantwortlichkeit nicht verändern. Deshalb ist zudem eine weitreichende Reform der manipulationsfähigen Preise an den Finanzmärkten notwendig. Referenzgrößen, die nur auf mehr oder weniger willkürlichen Schätzungen beruhen, sind nicht belastbar. Sie sollten daher durch den Staat beaufsichtigt werden.

Es könnte auch helfen, den „normalen“ Banken weltweit zu verbieten, spekulative Geschäfte auf eigene Rechnung („Eigenhandel“) abzuschließen und sich an Hedgefonds oder Private-Equity-Fonds zu beteiligen. Mit der Beachtung dieses Verbots – „Volcker-Regel“ genannt – könnte sich das Spiel an den Finanzbörsen der Welt grundlegend ändern. Der Eigenhandel, der bis zur Finanzkrise eine der wichtigsten Quellen von Gewinn und Risiko für die Banken war, dürfte praktisch verschwinden. Bei diesem Geschäftsmodell wirkt der staatliche Schutz von Bankeinlagen wie eine Subvention und Garantie, keine Verluste einfahren zu müssen. Dadurch wurden bei den Bankern die Verantwortung sowie die treuhänderischen Pflichten gegenüber den Kunden unterminiert. Sie spekulierten mit deren Einlagen auf Risiko der Steuerzahler. Gingen die Geschäfte schief, musste der Staat einspringen, während die Gewinne bei den Banken und ihren Managern verblieben.

Die Kumpanei von Banken und Politik geht weiter

Bemerkenswert ist, dass mittlerweile selbst im konservativen Milieu Deutschlands das Treiben der Finanz-Mafia wahrgenommen wird. Auch dort erkennt man, dass Banken die Weltwirtschaft an den Abgrund geführt und unglaubliche Verluste auf den Steuerzahler abgewälzt haben. Die Sozialisierung ihrer Billionenverluste hat die Staatsschulden in die Höhe und Länder in den Bankrott getrieben.

Und dennoch: Die „Kumpanei“ zwischen Banken und der Politik besteht fort, obschon Politiker nach der Finanzkrise geschworen hatten, sich nie wieder von Banken erpressen zu lassen. So wird der zur „Staatenrettung“ gedachte und aus Steuergeld gespeiste Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) künftig auch zur Rekapitalisierung von Banken genutzt werden. Derweil laufen die Bankgeschäfte weiter wie bisher, ganz so, als hätte es die Weltwirtschaftskrise gar nicht gegeben. Sechs Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers zittern Staaten also weiter vor Banken, die übrigens nur die Sprache des Geldes verstehen.

Das Eigenkapital dürfte daher der einzige Hebel sein, um das Risiko für das Finanzsystem nachhaltig zu begrenzen. Banken sollten viel mehr Eigenkapital und Liquidität vorhalten müssen, um die Gefahr „systemrelevanter“ Banken zu verkleinern und den Drang nach Expansion einzuschränken. Die Deutsche Bank will dem Rest der Welt aber weismachen, sie müsse mit etwa 97 Prozent Fremdkapital arbeiten, weil sie in einer besonderen Branche besonders gut sei. Das ist blanker Unsinn. Dass sie mit diesem Argument durchkommt, liegt nicht zuletzt an den Verquickungen zwischen Banken und Politik. Bei einer strafrechtlichen Würdigung müsste man in diesem Fall von einer „Mittäterschaft“ ausgehen.

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