Europas Antwort? Nichts als Lärm

Ohne politische Idee, transformative Kraft und militärische Macht ist starke Außenpolitik nicht zu machen. Der terroristische Massenmord von Paris trifft ein Europa, das konzeptionell und militärisch mit leeren Händen dasteht

Der terroristische Massenmord von Paris erfordert eine entschiedene außenpolitische Reaktion Frankreichs und seiner europäischen Partner. Die meisten Politiker und Kommentatoren in Europa scheinen sich darin einig zu sein, dass die Angriffe des 13. Novembers nicht nur eine Angelegenheit der inneren Sicherheit sind, sondern auch von unmittelbarer Bedeutung für die europäische Außenpolitik. Doch was in dieser Nacht in Paris einschlug, das hat einen Kontinent getroffen, der gegenüber der großen außenpolitischen Herausforderung durch Daesh (den selbst ernannten „Islamischen Staat“) und andere islamistische Gruppen mit leeren Händen dasteht.

Die Probleme fangen schon bei der Frage der Luftangriffe an, die doch eigentlich am einfachsten zu klären sein müsste. Eher pflichtgemäß griff Frankreich als Folge des Pariser Anschlags Daesh-Ziele in der syrischen Provinz Rakka an. Diese Luftschläge mögen der militärischen Infrastruktur der Gruppe sogar einige Schäden zugefügt haben, aber in Wirklichkeit waren sie weitgehend nur symbolisch. Frankreich wollte zeigen, dass es bereit und fähig zum Zuschlagen ist und dass die Täter nicht das Gefühl haben sollten, in ihren Verstecken im Nahen Osten in Sicherheit zu sein.

Allerdings ist der reale Wert dieser Angriffe zu vernachlässigen. Eine viel umfangreichere Bombenkampagne gegen Daesh ist schon seit Monaten im Gang – mit eher begrenzter Wirkung. Ergänzende französische Feuerkraft in dieser Kampagne ist sicherlich hilfreich und willkommen, aber auch sie wird eine halbherzige Operation nicht in einen militärischen Erfolg verwandeln. Die meisten anderen europäischen Länder halten sich aus dem Geschehen heraus.

Aber selbst wenn sich mehr Länder anschlössen, bliebe der Effekt begrenzt, da Luftmacht allein nicht bewirken kann, was einen wirklichen Unterschied aus-machen würde, nämlich die Herrschaft zu gefährden, die Daesh heute über die von ihm besetzten syrischen und irakischen Territorien ausübt. Dies könnte nur mittels einer massiven militärischen Aufstockung inklusive Bodentruppen erreicht werden. Niemand in Europa will das. Und selbst wenn unter den Europäern der politische Wille und die Unterstützung der Öffentlichkeit vorhanden wären, besäßen sie nur sehr begrenzte Ressourcen. Eine ernsthafte Militäroperation könnte im Grunde nur im Bündnis mit den Vereinigten Staaten betrieben werde – einem Land, das heute jegliche bewaffnete Verwicklung am Boden in dieser Region vehement ablehnt. Doch ohne amerikanische Hilfe ist Europa militärisch gelähmt.

Welchen Nahen Osten wollen wir?

Infolgedessen ist die robuste militärische Reaktion, die einigen außenpolitischen Heißspornen offenbar vorschwebt, nichts weiter als ein Hirngespinst. Aber das ist vermutlich gar nicht so schlimm. Nicht nur weil die Interventionen Europas und des Westens insgesamt in den vergangenen Jahren, vorsichtig formuliert, nicht sonderlich erfolgreich gewesen sind. Sondern auch deshalb, weil niemand in Europa in der Lage zu sein scheint, das politische Ziel zu definieren, dem ein Krieg dienen würde. Doch ohne ein politisches Ziel sind militärische Operationen sinnlos, werden anfällig für schleichende Ausweitung (mission creep) und gehen schließlich, wie nicht nur Clausewitz-Leser wissen, nach hinten los.

Dieser Mangel an Konzeption ist im Hinblick auf das Nachdenken über militärische Optionen ein Problem. Aber er ist eine Katastrophe, wenn es um das eigentlich Wichtige geht, nämlich eine politische Lösung zu finden.

Die Europäer verspüren keine Lust auf langwierigen Staatsaufbau nach afghanischem Muster. Sie haben auch – abgesehen von pathetischen Verallgemeinerungen – nicht die geringste Vorstellung davon, welche Art von Nahem Osten sie gerne zuwege bringen würden. Die Nachbarschaftspolitik der EU ist nicht nur an störrischen regionalen Eliten gescheitert. Sie besaß auch kein klares Konzept für eine neue und nachhaltige politische Ordnung in der Region, verrannte sich in ihren technokratischen Ansätzen zur Lösung politischer Probleme und war im übrigen nicht einmal ansatzweise mit ausreichenden Mitteln ausgestattet, um ihre erklärten Ziele auch nur mit moderaten Ergebnisse zu erreichen.

Ohne politische Idee, ohne transformative Kraft und ohne militärische Macht ist keine starke Außenpolitik zu haben. Darum ist der Lärm, den das politische Personal Europas gerade macht, ziemlich genau das: Lärm.

Das Ergebnis dürfte sein, dass Politiker, die außenpolitisch keine Stärke beweisen können, umso eifriger an der Heimatfront versuchen, Entschlossenheit zu demonstrieren. „Heimatschutz“ wird das große Thema schlechthin, und viele Vorhaben auf diesem Gebiet sind sicher sogar notwendig und sinnvoll. Andere Pläne werden zu weit gehen, könnten den Rechtsstaat und die bürgerlichen Freiheiten beschädigen. Die Europäer werden es wieder mit dem uralten Dilemma zu tun bekommen, dass derjenige, der sich aufmacht, die Freiheit zu schützen, dieser oft am meisten schadet. Doch wer würde in einer stürmischen Zeit wie dieser den richtigen Spagat hinbekommen?

Das andere Ergebnis wird ein Europa sein, das auf die Vereinigten Staaten wartet. Die Europäer werden im Nahen Osten das tun, was sie dort seit mindestens einer Generation tun, wenn nicht gar länger: den Amerikanern folgen. Sie werden sehr wenig tun, solange Washington wenig Interesse zeigt. Sie werden mitmachen, wenn Amerika diplomatische Führung übernimmt – so etwa am 14. November bei den Wiener Gesprächen über Frieden für Syrien. Und sie werden auch – zumindest teilweise – Gefolgschaft leisten, wenn die Vereinigten Staaten entscheiden, dass militärische Macht zum Einsatz gebracht werden muss, damit Fortschritte erzielt werden können.

Der nächste Terroranschlag kommt

Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten bleiben im Nahen Osten somit abgeleitete außenpolitische Kräfte. Die EU bezieht ihre Macht in der Region aus der Macht der Vereinigten Staaten. Aus eigener Kraft besitzt die Union nur sehr geringe Kapazitäten, um außenpolitische Ergebnisse zu erwirken. Wenn es stimmt, dass die Vereinigten Staaten heute eine geschrumpfte Macht darstellen, dann gilt dies für die EU erst recht.

Für Europa ist das eine gefährliche Lage. Zum einen, weil es immer unangenehm ist, von den Launen anderer abzuhängen. Zum anderen, weil es den Europäern keine andere Wahl lässt, als der Führung der Vereinigten Staaten zu folgen – selbst dann, wenn diese Führung so katastrophal ausfällt wie im Fall des Irak.

Kurzum: Anders als die starken Worte europäischer Politiker nach den Angriffen in Paris nahelegen, wird sich an der Außenpolitik Europas gegenüber dem Nahen Osten nichts Grundsätzliches ändern. Niemand besitzt das tatsächliche oder politische Kapital sowie die strategische Versiertheit, einen aktiveren Auftritt Europas auf den Weg zu bringen. Die sich nach den Angriffen in Paris lärmend aufspielenden Politiker werden belämmert dastehen. Daesh wird jubeln. Regionale Machthaber werden weiterhin Krieg gegen ihre eigene Bevölkerung führen. Der nächste Terroranschlag wird kommen. Und dann wird die ganze Debatte wieder von vorn beginnen.

Aus dem Englischen von Tobias Dürr

Dieser Text erschien zuerst auf carnegieeurope.eu.

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