Etwas Besseres als die "GroKo" finden wir leider nicht

Die SPD muss eine eigenständige Agenda entwickeln, mit der sich auch ein erneutes Dasein als Juniorpartner gewinnbringend aushalten ließe

Drei strategische Optionen könnten für die SPD im September 2017 auf dem Spiel stehen: eine hypothetische, eine nostalgische und eine realistische.

Hypothetisch: Rot-Grün-Rot

CSU-Chef Horst Seehofer hat mit Blick auf die Regierungsbildung in Thüringen für die Bundestagswahl 2017 bereits die Erringung der absoluten Mehrheit als Wahlziel ausgegeben. Eine riskante Strategie, mit der auch schlafende Hunde in die entgegengesetzte Richtung geweckt werden könnten, um allzu viel Macht für die Union zu verhindern. Immerhin wurde Angela Merkel am Wahlabend des 13. September 2013 eine Stunde lang die absolute Mandatsmehrheit prognostiziert. Da FDP und AfD hochprozentig, also knapp unter 5 Prozent, gescheitert waren, hätte die Union auch mit 42 Prozent die absolute Mehrheit im Parlament erzielen können. Doch dazu kam es nicht – und dürfte es auch 2017 nicht kommen, solange die AfD gute Aussichten hat, die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen.

Die SPD sollte die Verhinderung einer absoluten Mehrheit für die Union jedoch nicht in den Vordergrund ihres Wahlkampfs rücken, denn mit einem rot-grün-roten „Schreckgespenst“ lässt sich das andere „Schreckgespenst“ von Merkels Alleinherrschaft kaum vertreiben. Auch mit platten Antifa-Alarmismen und Unterstellungen, das Verhältnis zwischen CDU und AfD betreffend, ist der Bundeskanzlerin kaum beizukommen – zumal nach ihrer allerorts gelobten Neujahrsrede. Die jahrelange Prahlerei, es gebe eine „strukturelle Mehrheit“ für das linke Lager in Deutschland, die nur aufgrund der Tabuisierung eines Bündnisses mit der SED-Nachfolgepartei nicht zum Zuge komme, war schon immer ein frommer Selbstbetrug. Denn Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier waren stets Realisten genug, um zu wissen, dass bereits der Nichtausschluss einer rot-grün-roten Koalition die SPD in der Mitte beträchtlich Stimmen kosten würde. Auch wenn man sich von visionärer Fantasie gern überraschen lassen möchte, scheint im Moment nicht ganz klar, wie ein rot-grün-rotes Projekt der SPD bessere Möglichkeiten zu seriöser Politik bieten könnte, als ihr in der Großen Koalition bereits zähneknirschend zugestanden wurden, und wie diese Option zugleich unter den epochal anmutenden Titel eines „Politikwechsels“ zu stellen wäre.

Auf der Wunschagenda der Freunde von Rot-Grün-Rot stehen dabei unter anderem: die weitere institutionelle Demokratisierung und Integration der EU, wie sie von Jürgen Habermas und anderen gefordert wird, inklusive einer Haftungsgemeinschaft und Schuldenschnitte im Namen europäischer Solidarität; der Rückzug deutscher Soldaten aus Krisenregionen entgegen allen Bündnisverpflichtungen und Gauck-Ermahnungen; eine liberalere Flüchtlingspolitik sowie die Abwehr „US-imperialistischer“ Übergriffe à la TTIP oder NSA-Überwachung; und im Inneren: die keynesianische Abkehr von der Politik der „schwarzen Null“ sowie die Neuerhebung der Vermögensteuer.

Dieser Forderungskatalog wäre gewiss isolationsverdächtig, ein Spiel mit diplomatischen Sonderwegen, wirtschaftlicher Labilität, inneren Verwerfungen und verstärkter Polarisierungsdynamik. Zumal die SPD in einem solchen Projekt gegen Merkels Europapolitik Front zu machen hätte, die sie – etwa bei den Rettungsschirmen ESM und EFSM oder dem Fiskalpakt – schon als Oppositionspartei mit guten Argumenten unterstützt hat.

Nostalgisch: Rot-rote »Wiedervereinigung« gegen Schwarz-Grün

Für den Fall, dass Rot-Grün auf Bundesebene allein keine Mehrheit erzielen kann, entscheidet sich Umfragen zufolge unter den Wählern der Grünen eine klare Mehrheit für Schwarz-Grün statt für Rot-Grün-Rot. Dies bewegt durchaus ernstzunehmende sozialdemokratische Köpfe seit geraumer Zeit dazu, nach Oskar Lafontaines Abgang und einem möglichen Lagerwechsel der Ökopartei über eine Neupositionierung der politischen Linken insgesamt nachzudenken. Manfred Bissinger und andere haben in ihrem Sammelband zum hundertsten Todestag von August Bebel 2013 einen Denkanstoß für die „Wiedervereinigung der Linken“ liefern wollen: „Die Frage ist, ob nicht Bebel, wenn er heute leben würde, versuchen würde, die SPD und die Linkspartei wieder unter einen Hut zu bringen.“

Ein neues Godesberg wird da gefordert, dieses Mal nicht gegen die marxistischen Wurzeln, sondern – man höre und staune – gegen den grün-ökologischen Mainstream. Unter den Befürwortern einer solchen Option befinden sich nicht nur altlinke Bündnisromantiker, sondern auch Kritiker vom eher rechten Flügel, wie zum Beispiel Klaus von Dohnanyi, denen die sozialökologische Programmwende der SPD schon immer ein Dorn im Auge war und die die Partei wieder auf das Credo einer beherzten Fortschritts-, Wachstums- und Modernisierungspartei verpflichten möchten. So bekennt denn auch mit Fritz Vahrenholt, Ex-Chef von RWE Innogy und ein alter Gewährsmann aus den den Zeiten des Hamburger Senats: „Die SPD drückt sich noch vor der Erkenntnis, dass der überstürzte Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohle sowie der überhastete massive Ausbau der Erneuerbaren zu korrigieren sind.“

Von einem Bündnis oder sogar Zusammen­schluss mit der Linkspartei ist aber keine mehrheitsversprechende Arbeitsteilung zwischen linkem Rand und linker Mitte zu erwarten. Die SPD hätte von solch einer Rückkehr zur alten Lagerbildung nur alte ideologische Fesseln zu erwarten.

Realistisch: Fortsetzung der Großen Koalition

Also „GroKo“ gut, alles gut? Natürlich nicht, solange die SPD dabei die Verliererin ist. Doch das liegt eher an ihr selbst als am unübertroffenen Taktizismus der Bundeskanzlerin, eiskalte Haken zu schlagen. Die Klage über den angeblichen „Themenklau“ Merkels resultiert aus einem Mangel an Selbstbewusstsein und einer höchst bedenklichen, weil verschwörungsideologisch verblendeten Sicht auf mediale Prozesse. Wer zu seinen eigenen Erfolgen nur verzagt stehen mag, weil ihm die Formation nicht passt, der darf sich nicht wundern, „beklaut“ zu werden.

Doch seit mit der AfD und Pegida erhebliche gesellschaftliche Irritationen und Suchbewegungen im hiesigen Parteienspektrum auftauchen, ist auch die Große Koalition für die Langzeitkanzlerin längst keine glückliche Fügung mehr. Weshalb es für die SPD umso mehr darauf ankäme, ein neues personelles, moralisches wie intellektuelles Potenzial zuzulassen, das eine eigenständige Agenda entwickelt, mit der sich auch eine erneute Große Koalition gewinnbringend aushalten ließe.

Ansatzpunkte wären zum Beispiel das Konzept einer neuen internationalen Ordnung, eine Vorstellung von Bildung, die mehr ist als ein bürokratischer Zentralbegriff zur Gewinnung von Sozialchancen, sowie ein neu ausbalanciertes Verhältnis zwischen Freiheit und sozialer Sicherheit.

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