Entscheidungen beim fünften Bier

zum Schwerpunkt: Kampf um die Mitte, Berliner Republik 3+4/2016

Deutschland im Sommer 2016: Die Bundestagswahl ist noch ein gutes Jahr entfernt und die AfD fährt einen Wahlerfolg nach dem anderen ein. Auch in Berlin ist es dieser menschenverachtenden Partei gelungen, mit einem zweistelligen Ergebnis in das Abgeordnetenhaus einzuziehen. Mit jeder Wahl wird es wieder ein bisschen dunkler in diesem Land.

Im Folgenden soll es um das Verhältnis der SPD zu den Frauen gehen. Was hat das mit der AfD und dem „Kampf um die Mitte“ (Berliner Republik Heft 3+4) zu tun? Seitdem die AfD wieder an Zustimmung gewonnen hat, fragen sich politische Strategen in allen Lagern, wie man der blau-braunen Gefahr von rechts begegnen kann. Die einen setzen auf Boykott, die anderen – namentlich die CSU – auf billige Kopien ihrer Positionen. Ich meine: Frauen sind der Schlüssel, um die AfD zu bekämpfen und der SPD bei der nächsten Bundestagswahl einen Wahlerfolg zu bescheren.

Studien zeigen, dass sich das Wahlverhalten von Frauen in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt hat. Bis in die siebziger Jahre hinein wählten Frauen eher konservativ. Seit den achtziger Jahren ändert sich dies. Das zeigt zum Beispiel ein Blick über den Atlantik: Unter Wählerinnen hat Hillary Clinton (58 Prozent) ihren Kontrahenten Donald Trxump (38 Prozent) mittlerweile deutlich abgehängt, während The Donald unter den Männern mit 54 zu 32 Prozent führt. Und auch bei den vergangenen Landtagswahlen wählten überwiegend Männer die AfD: In Mecklenburg-Vorpommern gaben rund 25 Prozent der Wähler ihre Stimme der AfD, aber „nur“ 15 Prozent der Wählerinnen. Ähnliche Muster waren in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz erkennbar.

Eine mögliche Erklärung: Frauen sind eher von Armut betroffen, öfter als Männer alleinerziehend und wären – neben allen Menschen nicht-deutscher Herkunft – am stärksten von der Politik der AfD betroffen. Könnte die AfD ihre neoliberale, antisoziale und frauenfeindliche Politik tatsächlich in die Tat umsetzen, würden Frauen mit einem Schlag in die vierziger Jahre zurückversetzt. Die AfD ist keine Alternative für Frauen. Im Gegenteil: Sie würde alle Errungenschaften der Frauenbewegung zunichtemachen.

Hier muss die SPD ansetzen. Die AfD stellt radikal all das infrage, wofür Generationen von Frauen gekämpft haben. Die Partei betrachtet Frauen vor allem als Gebärmaschinen der Nation. Sie will das Recht der Frauen auf sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive Gesundheit (also das Recht, über die eigene Familienplanung entscheiden zu können) einschränken und würde Alleinerziehende massiv benachteiligen.

Hier liegt die Chance der SPD, sich als Gegenpol zur AfD zu profilieren und Frauen mit einer progressiven Geschlechter- und Sozialpolitik anzusprechen. Um mehr Wählerinnen für die Sozialdemokratie zu gewinnen, muss die SPD den Frauen wieder politische Angebote machen, die von einem glaubwürdigen Personal repräsentiert und vermittelt werden. Dieser simple Dreisatz – Inhalte, Repräsentanz und Kommunikation – ist zwar nicht neu, aber in der Praxis schwer umzusetzen.

Die CDU predigt, es gehe Deutschland gut. Pünktlich ein Jahr vor der Bundestagswahl propagiert sie Steuersenkungen in Höhe von 15 Milliarden Euro. Darin enthalten: eine Erhöhung des Kindergeldes um ganze zwei Euro. Für wirtschaftlich schwache Familien klingt das wie Hohn. Wen wundert es dann noch, dass sich ganze Schichten abgehängt fühlen und von der Politik enttäuscht sind? Es dürfte auch niemanden überraschen, wenn diese Menschen dann nicht mehr zur Wahl gehen oder sich den Populisten zuwenden. Auch wenn der Vorstoß von Wolfgang Schäuble kam, so wird er auch an der SPD haften bleiben. Denn die SPD wird an ihren Kompromissen gemessen. Wo also bleibt unsere Empörung?

Als Sozialdemokraten können wir uns nicht damit zufriedengeben, dass die Union (mal wieder!) eine Politik vorantreibt, die vor allem den Bessergestellten zugutekommt. Der alleinerziehenden Aufstockerin ist mit zwei Euro mehr im Monat nicht geholfen. Denn jeder Euro mehr Kindergeld wird beim Arbeitslosengeld II gleich wieder abgezogen. Dieses Thema ist nicht sexy, ich weiß. Aber wollten wir nicht bereits 2009 wieder dorthin gehen, wo es laut ist, wo es brodelt – und wo es manchmal anstrengend ist?

Und überhaupt: Ich will, dass die Sozialdemokratie wieder die große Erzählung sozialer Gerechtigkeit wagt. Warum ziehen wir nicht mit dem Versprechen in den Wahlkampf, dass in zehn Jahren kein Kind mehr unter der Armutsgrenze leben muss? Und dass wir das erreichen, indem wir jeder Frau, die arbeiten möchte, einen Job besorgen, sie bei der Kinderbetreuung unterstützen und alles tun, was nötig ist, um ihre Situation entscheidend zu verbessern. Denn auch das ist Geschlechterpolitik.

Dabei kann die Sozialdemokratie zeigen, dass sie durchaus in der Lage ist, über den Tellerrand zu schauen. Wir sollten uns endlich wieder Dinge zutrauen. Wo bleiben die Ideen für die nächsten großen Reformen? Der Mindestlohn und die Frauenquote können doch nicht alles gewesen sein. Wie können wir die Agenda 2010 weiter und sozialer denken? Wie können wir endlich allen Frauen umfassende gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen? Wir befinden uns im Jahr 2016 und trotzdem wird ein großer Teil der Frauen aufgrund veralteter Strukturen und Gesetze immer noch daran gehindert, ihr Potenzial in vollem Umfang zu entfalten – siehe Ehegattensplitting, Teilzeitfalle und die aktuellen Regelungen zum Elterngeld. Als Sozialdemokraten müssen wir diesen Frauen Angebote machen!

Dabei sollten wir nie vergessen, den Blick nach innen zu richten. Als Partei vertreten wir ein gutes Programm für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Doch das Standing der Genossinnen in der eigenen Partei ist noch immer ausbaufähig. Auch wenn ich mich manchmal wie eine gesprungene Schallplatte fühle: Die SPD hatte in ihrer über 150-jährigen Geschichte noch keine Parteivorsitzende, keine Vorsitzende der Bundestagsfraktion und auch keine Kanzlerkandidatin. Und auch sonst erscheint die SPD recht Testosteron-geprägt und von speziellem Habitus. Versuche der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, Doppelspitzen auf allen Ebenen der Partei einzuführen, sind an den Würdenträgern der Partei gescheitert.

Woran liegt das? Warum sind gerade unsere Strukturen so undurchlässig? Warum lassen wir es zu, dass uns die Union regelmäßig überholt (Stichwort: erste Bundeskanzlerin, erste Verteidigungsministerin) und dadurch moderner und frauenfreundlicher erscheint? Wahlstrategisch ergibt dies keinen Sinn. Seitdem Angela Merkel an der Spitze der CDU steht, wählen Frauen zum großen Teil die Union. Durch Frauenförder- und Mentoringprogramme sowie spezielle Frauennetzwerke kommt langsam Veränderung in die SPD. Das geht mir und vielen anderen weiblichen Parteimitgliedern aber immer noch nicht schnell genug. Hinzu kommt, dass Young-Boys-Netzwerke an die Stelle der Old-Boys-Netzwerke treten und sich Strukturen der Diskriminierung einfach fortschreiben.

Zu oft werden die Gründe dafür jedoch auf der individuellen Ebene gesucht. Da heißt es dann: Du bist halt nicht da, wenn kurz vor Mitternacht beim fünften Bier die wichtigen Entscheidungen getroffen werden. Oder auch und ebenfalls sehr beliebt: Frauen müssen ihre Komfortzone verlassen und besser netzwerken. Hinzu kommen doppelte Standards für Frauen und Männer, bei denen Frauen nur verlieren können. Fordern wir Dinge ein und diskutieren hart in der Sache, dann sind wir zu unweiblich, zu hart, vielleicht auch Zicken. Verweigern wir uns gewissen Riten und vermeintlichen Traditionen, sind wir selbst Schuld – etwa, wenn wir keine Lust haben, neben einem 60-Stunden-Job und den Resten unseres Privatlebens in dieser Form Politik zu machen. Teile der Partei verweigern sich noch immer einer offenen Debatte und schließen damit unzählige junge, kluge Frauen aus. Kommen Kinder ins Spiel, ist es für viele Frauen noch schwieriger mitzuhalten und sich einzubringen. Auch auf diese Weise verschließt man sich als Partei ganzen gesellschaftlichen Schichten. Dies sollten wir dringend ändern.

Debatten über Geschlechterpolitik betreffen jede und jeden, sie greifen tief in das eigene Privatleben ein. Vieles, was selbstverständlich erscheint, muss hinterfragt werden. Doch das Private ist politisch und wir müssen besser sein als die anderen. Vor allem aber müssen wir authentisch sein, um Vertrauen zurückzugewinnen – besonders das der Frauen. Nur dann werden wir unsere Ideen von sozialer Gerechtigkeit vorantreiben, dem Rechtsruck in unserer Gesellschaft begegnen und auch wieder ins Kanzleramt einziehen können. Es steht viel auf dem Spiel.

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