Eine sehr kurze Geschichte des Wohnens

Vom Mittelalter bis zur Urbanisierung und Industrialisierung im 19. Jahrhundert waren kommunale Wohnverhältnisse gekennzeichnet durch die räumliche Durchmischung verschiedener Schichten. Danach begann das Zeitalter der sozialen Separierung. Der Rückzug des Staates aus dem sozialen Wohnungsbau hat die Probleme weiter verschärft

Die Frage nach der Wohnqualität begann spätestens mit dem Übergang zu (prä-)urbanen Lebensformen an Bedeutung, und die Trennung von Hütten und Palästen blickt auf eine lange Geschichte zurück. Doch dieser Beitrag beschränkt sich auf die kommunalen Wohnverhältnisse der vergangenen Jahrhunderte mit ihren großen regionalen Abweichungen im Reich nördlich der Alpen, jenem Gebiet also, aus dem Deutschland nach und nach an Kontur gewann.

Mit der dauerhaften Verbreitung von Stein- und Fachwerkhäusern – in Oberdeutschland setzte sich bei letzteren die etagenweise Abzimmerung um das Jahr 1300 durch – war die Grundlage für städtisches Bauen bis weit in die Neuzeit gelegt. Erste Steinhäuser sind zwar bereits für das 11. Jahrhundert nachweisbar, aber noch als Ausnahmen, erbaut zumeist für die Stadtherren und deren Funktionsträger. Wiederum zeigte sich das mit den Bauten verbundene Sozialprestige. Im Norden dominierten aufgrund naturräumlicher Gegebenheiten Backsteinbauten, ansonsten wurde hier die Ständerbauweise beibehalten.

Parallel zu dem Gewinn an Wohnraum verlief der Übergang vom Einraumhaus (beziehungsweise von je einem Wohn- und Schlafbereich) zur Aufteilung der Häuser in mehrere Räume, die bei den Ober- und Mittelschichten verschiedenen Funktionen dienten und reich ausgestattet sein konnten. Freilich lebten und schliefen auch die Bediensteten in diesen Räumen. Den großflächigen, mehrgeschossigen Häusern vornehmlich der Kaufleute, nicht selten Ensembles mehrerer Bauwerke, standen die zahlreichen kleineren Häuser vor allem der Handwerker gegenüber, welche die Jahrhunderte aber nur in Ausnahmefällen überdauert haben. Diese dürften verbreitet zweigeschossig errichtet worden sein, wobei Keller oder Erdgeschoss der Betätigung diente und das Obergeschoss zu Wohnzwecken genutzt wurde, unterteilt in Küche, Wohnraum und weitere Kammern.

Als der Nürnberger Rat Ende des 15. Jahrhunderts schwäbische Barchentweber anwerben wollte, ließ er zunächst 15 Häuser fertigstellen, in denen der Keller – für Weber typisch – als Arbeitsraum diente, während die beiden darüberliegenden Geschosse eine Wohnfläche von jeweils 45 Quadratmetern aufwiesen, vorgesehen für jeweils eine Familie, unterteilt in Küche mit Herd, Stube mit Ofen und unbeheizte Schlafkammer. Diese uns bescheiden erscheinenden Wohnverhältnisse sollten als Anreiz für potenzielle Zuziehende dienen. Die Wohnfläche in der von den Zeitgenossen viel gelobten Augsburger Fuggerei lag in den 52 Häusern zumeist ebenfalls bei 45 Quadratmetern, bestimmt für verarmte aber ehrbare Handwerker, vornehmlich Weber. Die geringe Miete sollte ihr Überleben erleichtern, da ihr Einkommen kaum ausreichte. Neben der Sorge um das Seelenheil zeigten sich hier noch Bindungen an den gemeinen Nutzen als oberstes Prinzip gesellschaftlicher Ordnung, das nur langsam an Bindekraft verlor.

Immobilienspekulation seit dem Mittelalter

Erwies sich die Mehrheit der Handwerkerwohnungen und -häuser als eher bescheiden, so gilt dies umso mehr für die Verschläge und Hütten von Teilen der Unterschicht. Beispielsweise ließen in Lübeck wohlhabende Bürger in den Gängen Buden als serielle Bauten für Mieter erstellen, von denen bis zu zehn nebeneinander standen. Ihre Grundflächen betrugen etwa 17 bis 30 Quadratmeter; in der Regel handelte es sich um Einraumwohnungen. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts dienten in Lübeck über 100 Gänge Wohnzwecken, in denen ein knappes Drittel der Einwohnerschaft gehaust haben soll. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts setzte nochmals ein intensiver Budenbau ein. Zwar vermitteln die heute teilweise liebevoll restaurierten Gänge noch immer ein Gefühl der Enge und Kleinräumigkeit, kaum aber das wirkliche Gefühl der seinerzeitigen Wohnverhältnisse. Nochmals schlimmer erging es denjenigen, die auf zuvor als Lagerräume erbaute Kellerwohnungen angewiesen waren. Diese waren feucht, schlecht beheizbar und unzureichend belüftet; durch Geldnot bedingte Untervermietung stellte keine Ausnahme dar. Viele dieser Bewohner zogen dann im 16. Jahrhundert in die neu errichteten Buden der Gänge.

Spätestens seit dem Spätmittelalter dienten Immobilien den vermögenden Einwohnern als Wertanlage, aber kaum als Spekulationsobjekte. Die Immobilien wurden bewohnt, vermietet oder ge- sowie verkauft, zumal das Wohnen zur Miete weit verbreitet war. Darüber hinaus konzentrierte sich der Immobilienbesitz auf Kirchen und geistliche Institute.

Ohne in sozialromantischer Verklärung eine Gemeinschaft gleichrangiger Bürger oder sogar Einwohner zu postulieren, muss sozialtopografisch betont werden, dass trotz einer verschärften Trennung sozialer Schichten im 15. Jahrhundert die räumliche Nähe sozialhierarchisch weit getrennter Einwohner ein typisches Merkmal städtischen Lebens blieb. Dagegen lassen sich die spätestens seit dem frühen 14. Jahrhundert zahlreich überlieferten Erlasse, mittels derer aus Gründen der Sicherheit und der Wohnqualität sowie zur Vermeidung von Feuergefahren sowie von Geruchs- und Lärmbelästigungen bestimmte Gewerbe räumlich konzentriert wurden, als raumplanerische Ordnungsmaßnahmen verstehen. Allgemein waren die Bewohner der Vorstädte ärmer als die der Innenstadtbezirke, zudem wurden im 15. Jahrhundert verstärkt Konzentrationen von Armut und Anrüchigkeit sichtbar, aber eben nicht nur in den Randlagen.

Der Kölner Jurist und zwischenzeitliche Ratsherr Hermann Weinsberg, durchaus stolz auf Alter und Herkommen der Familie, berichtet noch im späten 16. Jahrhundert wertneutral, dass in unmittelbarer Nachbarschaft zu seinem stattlichen Geburtshaus zunächst ein Büttner, dann ein Essighändler, ein Decklakenweber und ein Bartscherer zur Miete gewohnt haben. In einem winzigen Eckhaus verkaufte eine getaufte Jüdin Branntwein, daneben lebten ein alter Schnitzer, ein Handlanger, eine Waschfrau und ein Stadtbote. Voraussetzung für die Anerkennung durch Weinsberg war die Ausübung eines gesellschaftlich anerkannten Berufs, wobei er die Einwohner der Stadt in drei Schichten differenzierte. Zu der dritten Schicht zählte er unter anderem „diener, arbeider, …, und gute erliche gemeinsburger“. Darunter – also keiner Schicht mehr angehörend – rangierten dann die in seiner Sicht nicht mehr ehrbaren Einwohner, nämlich die „gruntsoppe, heffe des folcks und verachte leut“. Als störend empfand er außerdem den Lärm der handwerklichen Produktion, da dieser seiner Konzentration als Gelehrter abträglich sei, nicht aber deren Nachbarschaft.

Rund um die Bahnhöfe wuchsen wilde Siedlungen

Während des 16. Jahrhunderts ging die Zahl der Vermögenslosen in bevorzugten Stadtlagen wie an Märkten oder gepflasterten Durchgangsstraßen zurück, doch verhinderte schon die geringe Größe vorindustrieller Städte eine ausgeprägte Segregation. Hinzu kam: Die zentralen Märkte waren nicht nur leicht erreichbar, sondern hier konzentrierte sich auch der Verkauf von Grundnahrungsmitteln, so dass diese Einwohner aller Schichten aufsuchten. Während der Frühen Neuzeit traten dann vornehmlich in Residenzstädten Mitarbeiter der wachsenden Verwaltungen und Gerichte mit den Eingesessenen in Konkurrenz um die besseren Wohnlagen, wobei sich aber ein großer Teil des Verwaltungspersonals aus dem Bürgertum rekrutierte.

Eine grundsätzliche Neuausrichtung mit der Bildung sozial scharf geschiedener Stadtviertel brachten erst die Urbani­sierung und die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts, gekennzeichnet durch ein weitgehend ungezügeltes und ungeregeltes Wachstum. In den Städten wurden nicht selbst benötigte Zimmer und Verschläge genutzt, um diese an das entstehende Proletariat zu vermieten, rund um Industriestandorte und Bahnhöfe wuchsen wilde Siedlungen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte dann eine verstärkte Segregation ein, wohlhabende Industrielle und andere Reiche ließen prachtvolle Villen in den Randbezirken der Städte errichten, fernab von Lärm, Ruß und Gestank. Dagegen mussten sich Arbeiterfamilien häufig mit Einzimmerwohnungen in Hinterhöfen oder Kellerquartieren begnügen und sahen sich überdies gezwungen, zur finanziellen Entlastung Schlafgänger aufzunehmen.

Die Frage nach bezahlbarem Wohnraum ist zurück

Abhilfe boten dann Werksiedlungen, gebaut zunächst allerdings überwiegend für Angestellte, wobei das Mietverhältnis an die Arbeitsstätte gebunden war. Genossenschaftlicher beziehungsweise gemeinnütziger Wohnungsbau kam in der ersten Phase ebenfalls Angestellten zu Gute, für Arbeiter erwiesen sich die Wohnungen als zu teuer. Der staatlich vollkommen ungeregelte Wohnungsmarkt – wirtschaftsliberale Ansichten überwogen – ließ neben Elendssiedlungen in den Großstädten vor allem ab 1870 eine bisher unbekannte Wohnungsnot entstehen, deutlich verstärkt durch saisonale Schwankungen. Der Anteil von Kleinwohnungen, in denen nur ein Zimmer beheizt werden konnte, lag in Berlin um die Jahrhundertwende bei 50 Prozent. Dennoch hatte sich bereits der Massenwohnungsbau mit Anlagen für zahlreiche Mietwohnungen durchzusetzen begonnen, zumal auch die (Fach-)Arbeiter von steigenden Löhnen profitierten. Um die Jahrhundertwende intensivierten sich zudem die Diskussionen um die Wohnungsnot und die Wohnqualität. Vor allem Mediziner und Hygieniker forderten Mindeststandards.

Erst Eingriffe des Staates in den Wohnungsmarkt während des Ersten Weltkriegs führten zu einem grundlegenden Umdenken, doch konnte der Staat aufgrund von Finanzproblemen erst nach dem Ende der Inflation in größerem Umfang initiativ werden. Neue Siedlungen wuchsen vornehmlich in Randbereichen; die Voraussetzung war die Einbindung in den Nahverkehr.

In der Nachkriegszeit galt es zunächst, die Wohnungsnot zu beseitigen. Neben dem privaten sowie steuerlich geförderten gewann der soziale Wohnungsbau massiv an Bedeutung. Vielfach entstanden Trabantenstädte an den Rändern, die dann wiederum von denjenigen verlassen wurden, die sich teureren Wohnraum oder Wohneigentum leisten konnten, was die soziale Separierung erneut verstärkte und diese Siedlungen zu gesellschaftlichen Brennpunkten werden ließen. Das erstrebte Nebeneinander mehrerer sozialer Schichten („Durchmischung“) erwies sich als trügerisch und scheiterte mittelfristig. Gut gemeint erwies sich wie so oft nicht als gut gemacht! Dennoch kam es in Deutschland nicht zu einer ausgesprochenen Ghettobildung wie in den USA. Allerdings wachsen derzeit Stadtteile mit einem hohen Anteil an Bewohnern nicht-deutscher Herkunft zu Problemzonen mit eigenen, mit dem Grundgesetz kaum zu vereinbaren Rechtsvorstellungen heran, vor denen etwa der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky eindringlich warnt.

In den siebziger Jahren nahm die Wiederbelebung der Innenstädte an Fahrt auf, begleitet allerdings von der Modernisierung zuvor preiswerten Wohnraums und dessen Umwandlung in Eigentumswohnungen und Geschäftsräume sowie dem Vordringen des tertiären Sektors in diese Bereiche. Daneben wuchsen weitere Einfamilienhaussiedlungen im Umfeld der Großstädte sowie in Klein- und Mittelstädten, ebenso wie auf dem Land. Der weitgehende Rückzug des Staates aus dem sozialen Wohnungsbau sowie die Aufgabe von Mietpreisbindungen ließ die Probleme noch größer werden, zumal vornehmlich in Großstädten Modernisierungen – wie zuletzt im Rahmen einer unzureichend durchdachten und übereilten „Energiewende“ – zu Mietpreiserhöhungen genutzt wurden, die selbst für viele Vollbeschäftigte nicht mehr aufzubringen sind. Nunmehr stellt sich wieder die Frage nach bezahlbarem Wohnraum. An der Entfesselung eines rein profitorientierten, ungezügelten (Finanz-)Kapitalismus, der auch auf dem Wohnungsmarkt Folgen zeigt, war die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder freilich maßgeblich beteiligt.

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