Eine links, eine rechts, Rest fallenlassen?

Florian Hartleb hat Rechts- und Linkspopulismus am Beispiel der Schill-Partei und der PDS verglichen

Populismus – ein schillernder, vielschichtiger Begriff. Seine aktuelle Prominenz verdankt das Konzept der Etablierung einer neuen Parteienfamilie in den Ländern Westeuropas: Seit Mitte der achtziger Jahre schicken sich rechte Politiker an, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs weitgehend unveränderten, ja eingefrorenen Parteiensysteme kräftig durcheinander zu bringen. Mit aggressiver Rhetorik, ressentimentgeladenen Inhalten und den großen Gesten der Volkstribune geben Agitatoren wie Haider, Le Pen und Schönhuber vor, sich für das einzusetzen, was „der kleine Mann auf der Straße“ denke und fühle, das „Kartell der Altparteien“ aber hartnäckig verweigere.

Obwohl ihre Anführer häufig aus dem Dunstkreis klassisch-rechtsextremer Grüppchen und Sekten stammten, bemühten sich vor allem Journalisten um ein neues Label für diese Parteien. Zu sehr unterschieden sie sich von der Traditionslinie des Faschismus, ideologisch seien sie kaum festgelegt, ja ständig schwankend. So wurde ihr kleinster gemeinsamer Nenner, die populistische Politikform, zum namensgebenden Charakteristikum. Die Bezeichnung als rechtspopulistische Parteien hat sich seit dieser Zeit weitgehend durchgesetzt und wurde in den neunziger Jahre auch von der Politikwissenschaft aufgegriffen.

Populismus als self-fulfilling prophecy?

Dennoch: Auf eine allgemein anerkannte Definition für den Begriff „Rechtspopulismus“ oder auch nur „Populismus“ konnten sich die Politologen bisher noch nicht einigen. Dabei muss es gar nicht schwer sein: Franz-Josef Strauß, selbst ein großer Meister des populistischen Appells, brachte den Begriff einst auf die einprägsame Kurzform: „Dem Volk aufs Maul schauen“. Wer eine längere Ausarbeitung wünscht, dem sei das Buch von Florian Hartleb angeraten.

Bei Hartlebs Dissertation zu Rechts- und Linkspopulismus am Beispiel von Schill-Partei und PDS handelt es sich um eine begrifflich-typologische Arbeit, der es – im Unterschied zu vielen anderen Monographien zum Thema – nicht um Entstehungsursachen und Erfolgsbedingungen populistischer Parteien geht. Vielmehr steht die Frage im Vordergrund, ob der Begriff „populistisch“ überhaupt als wissenschaftliche Kategorie zur Bezeichnung einer Partei geeignet ist. Hartleb vertritt diese Auffassung und stellt darüber hinaus die gewagte These auf, dass es einen einheitlichen, von anderen Parteienfamilien abgrenzbaren Typus von Protestparteien gibt, der als „Rechts- und Linkspopulismus“ bezeichnet werden könne.

Der Autor entwickelt einen allgemeinen Kriterienkatalog, der neben acht übergreifenden Charakteristika auch solche enthält, die nach Hartlebs Auffassung jeweils nur für die rechte beziehungsweise linke Variante des Populismus gelten. Anschließend wendet er diesen Katalog auf die zwei Fallbeispiele Schill-Partei und PDS an und prüft – gleichsam im Sinne einer juristischen Subsumtion –, ob sie nach seinem eigenen Kriterienkatalog als populistische Parteien zu bezeichnen sind.

Diese Vorgehensweise legt den Verdacht nahe, der Autor habe die Kriterien so gewählt, dass am Ende das Herauskommen muss, was für ihn vorher feststand – nämlich, dass beide Parteien populistisch genannt werden müssten. Zwar sind mehrere der Kennzeichen, die Hartleb als gemeinsame Merkmale des rechten wie linken Populismus anführt, durchaus plausibel, werden theoretisch begründet und stellenweise mit Beispielen aus anderen Parteien belegt. Doch es bleibt der schale Beigeschmack, dass die Kriterien letztlich Setzungen sind und der Populismus-Nachweis nicht mehr ist als eine self-fulfilling prophecy.

Von Äpfeln und Birnen

Neben diesem rein formal-methodischen Einwand ist aber auch ein inhaltlicher von Bedeutung: Was erreicht man damit, so unterschiedliche Phänomene wie die PDS und die Schill-Partei miteinander in Beziehung zu setzen? Vergleicht man da nicht Äpfel mit Birnen? Entgegen der Alltagsweisheit lassen sich letztere – wie Hartleb selbst bemerkt – sehr wohl vergleichen, solange sie unter einen Oberbegriff fallen: Bei beiden handelt es sich um Obst. Doch welchen Erkenntnisgewinn bringt der gemeinsame Oberbegriff „Rechts- und linkspopulistische Partei“ für die Einstufung von zwei höchst unterschiedlichen Phänomenen?

Versteht man Populismus – wie dies viele Wissenschaftler tun – primär als Politikform, so ist Hartlebs Einschätzung sicherlich in vielen Punkten beizupflichten. Mit Schill und Gysi verfügen beide Parteien über charismatische Führungsfiguren, die ohne Zweifel den populistischen Appell beherrschen. Auch greifen beide Parteien diffuse Ängste und Stimmungen auf, die sich durchaus als populistische Mobilisierungsthemen eignen. Man denke nur an den vermutlich gezielten „Ausrutscher“ des Linkspartei-Neuzugangs Lafontaine, der mit seiner „Fremdarbeiter“-Rede ausgerechnet in der NPD-Hochburg Sachsen auftrat. Doch, Hand aufs Herz, sind dies nicht Eigenschaften, über die viele Spitzenpolitiker gerade auch in den etablierten Parteien verfügen? Können Schröder, Stoiber, Westerwelle nicht auch, je nach Bedarf und Situation, in plakativer Weise auf das eingehen, was die „kleinen Leute auf der Straße“ denken? Verstehen sie es nicht in mindestens ebenbürtiger Weise, die Klaviatur des Populismus zu spielen? Wie sonst kann man sich erklären, dass in Wahlkampfzeiten auch bei den etablierten Parteien von „Heuschrecken“ und von „Kindern statt Indern“ gesprochen wird?

Man könnte noch weiter gehen und konstatieren, dass die populistische Agitation eine Notwendigkeit im durch Mediatisierung und Personalisierung geprägten Politikgeschäft ist. Versteht man den Begriff in diesem rein formalen Sinn, dann müsste man – um im Bild zu bleiben – neben Äpfeln und Birnen auch die Erdbeeren, Zitronen und Kiwis in den Vergleich mit einbeziehen, um Populismus als Mobilisierungstechnik erfassen zu können.

Antirassismus für „kleine Leute“?

Versteht man hingegen Populismus als inhaltliche Kategorie, so verstellt die Gruppierung beider Parteien unten den Begriff „Rechts- und Linkspopulismus“ die Sicht auf die fundamentalen Unterschiede zwischen beiden: Die PDS sieht sich als linkssozialistische Partei, Schill gab sich rechtskonservativ. Die PDS deckt programmatisch praktisch alle Politikfelder ab, während Schills „Programm“ sich auf wenige Spiegelstriche zu Themen der Kriminalitätsbekämpfung und Zuwanderung beschränkte. Und wenn Hartleb strukturelle Ähnlichkeiten darin sieht, dass die Schill-Partei Anti-EU- und Anti-Immigrationspartei sei, die PDS wiederum eine Partei des Antifaschismus und Antirassismus, dann muss man ihn darauf hinweisen, dass eine Ablehnung der EU und ausländerfeindliche Tiraden sehr wohl zur populistischen Mobilisierung geeignet sind. Eine Politik des Antirassismus hingegen hat bisher die „kleinen Leute“ noch nie in Massen zu den Wahlurnen getrieben. „Anti“ ist nicht gleich „Anti“.

Alles in allem kann die von Hartleb propagierte Kategorie „Rechts- und Linkspopulismus“ also nicht wirklich überzeugen. Das Strickmuster „Eine rechts, eine links, den Rest fallen lassen“ geht nicht wirklich auf. Wen das nicht schreckt, wird im Buch Rechts- und Linkspopulismus einen sehr pointierten Vergleich zweier höchst unterschiedlicher Parteien finden.

Florian Hartleb, Rechts- und Linkspopulismus: Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2004, 361 Seiten, 36,90 Euro.

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