Die Versäumnisse der fetten Jahre

Die spanischen Sozialisten unter Premier Zapatero haben die Krise erst verschlafen und dann unterschätzt. Jetzt soll entschieden gegengesteuert werden. Doch der ehemalige Hoffnungsträger der europäischen Sozialdemokratie ist angezählt

Die Erkenntnis, dass man aus einer Krise Lehren ziehen und so der nächsten vorbeugen kann, ist so alt wie die Menschheit. Nicht immer wird danach verfahren, vor allem nicht in der Politik. Aberglaube, Ideologie und Alles-wird-gut-Ansagen als Strategien zur Krisenbewältigung sind nach wie vor weit verbreitet, rechts und links und in der Mitte. Alte Hausmittel und Heilmythen " kalte Umschläge gegen hohes Fieber, Kamillentee gegen Bauchschmerzen und gutes Zureden " sind populär, weil ihr Einsatz nicht schmerzt. Dass sie im Ernstfall nicht helfen, merkt man erst, wenn"s zu spät ist.

Dafür gibt es in Geschichte und Gegenwart Beispiele in Hülle und Fülle. Zum Beispiel die Untätigkeit der seinerzeitigen konservativen amerikanischen Regierung nach dem New Yorker Börsenkrach von 1929. Oder die Passivität der Regierung Bush im Fall des Zusammenbruchs der Investmentbank Lehman Brothers.

Oder auch die Schönwetterpolitik der sozialistischen Regierung in Spanien, die erst jetzt, ein Jahr nach ihrem Wahlsieg vom März 2008 und mehr als ein halbes Jahr nach der katastrophalen Kernschmelze in der Wall Street die Krise plötzlich eine Krise nennt, von schweren Zeiten spricht und eine ernsthafte Krisenstrategie entwickelt.

Es ist, als sei die Regierung des freundlichen Parteivorsitzenden und zweimaligen Wahlsiegers Zapatero aus einem längeren Tagtraum oder Heilschlaf erwacht. Oder einfach von der Aufregung um die explodierenden Arbeitslosenzahlen und die abstürzenden Wachstumsraten aufgeschreckt worden. Jedenfalls hat Regierungschef Zapatero soeben ziemlich abrupt auf Reform und Krisenmanagement umgeschaltet und einen radikalen strukturellen Umbau des spanischen Wirtschaftsmodells angekündigt. Weg von der Monokultur der Bau- und Betonindustrie, hin zur Wissens- und Bildungsgesellschaft, zur Förderung von Zukunftsprojekten und industrieller Vielfalt. Sogar Sparmaßnahmen in der immer noch hoheitlichen spanischen Verwaltung, diesem Relikt eines antiken prädigitalen Bürokratismus, sind vorgesehen. Die Krise als Chance?

Wird Zapatero doch noch zum Retter?

Zapateros Reformpläne, die er Mitte Mai mit ernster Miene im Parlament ankündigte, offenbar zur Überraschung der Opposition, die zumindest in dieser Debatte nicht gut aussah, sind ein ehrgeiziges Projekt. Man darf nicht vergessen, dass die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) ungeachtet ihres Wahlsiegs nicht über eine parlamentarische Mehrheit verfügt. Sie muss sich ihre Mehrheiten suchen.

Und das ist schwieriger geworden. Seit die PSOE im Baskenland die dort traditionell regierenden Baskischen Nationalisten (PNV) mit Hilfe der konservativen Volkspartei (PP) gestürzt hat, ein politisch ebenso mutiger wie sinnvoller Akt, kann sie nicht mehr wie bisher auf die Unterstützung der kleinen PNV-Fraktion in Madrid zählen. Auch das Verhältnis zu den nationalen Katalanen (CiU) ist gespannt, da die katalanischen Sozialisten in Barcelona gegen die CiU regieren. Selbst das Verhältnis zur kleinen gesamtspanischen Linkspartei (IU) ist ungleich gespannter denn zur Zeit der bejubelten Aznar-Ablöse im Jahr 2004. Manche sagen, es sei fraglich, ob Zapatero im Herbst eine Mehrheit für seinen Haushalt zusammen bekommen wird.

Kann man so zum Retter in der Krise werden? Diese Frage stellt sich zumal dann, wenn man bis vor kurzem vor allem auf die heilende Kraft des Optimismus (und der Realitätsverweigerung) gesetzt und noch im Wahlkampf vor einem Jahr ignoriert hat, dass Spaniens Wirtschaft in ihrer Abhängigkeit von der Baubranche ungesund einseitig organisiert ist. Oder wie man heute sagt: extrem schlecht aufgestellt. Umso härter traf die Spanier nun der reale Krisenschock. In der Folge begann der Glanz von Ministerpräsident Zapatero, der vor einem halben Jahrzehnt noch der strahlende Hoffnungsträger der europäischen Sozialdemokratie war, zu verblassen. Zapatero ist angezählt.

Schade eigentlich. Denn der Chef der sozialistischen Allein- und Minderheitsregierung hätte, so glaubte man jedenfalls außerhalb Spaniens eine ganze Weile gern, in Südeuropa ein positives Gegenmodell entwickeln können zum krassen Macho-Politikstil seines rechtskonservativen Vorgängers José María Aznar und dem vordemokratischen Politikconferencier Silvio Berlusconi in Italien.

Für Zukunftsinvestitionen fehlte die Zeit

Zapatero hatte diese Hoffnung sogar selbst genährt, als er nach dem zweiten Wahlerfolg im Jahr 2008 öffentlich erklärte, er nehme die Erwartungen der europäischen Genossen an ihn und seine erfolgreiche Partei sehr ernst, akzeptiere angesichts der akuten Schwäche der meisten anderen Schwesterparteien die Verantwortung und wolle ihr gerecht werden. Deshalb werde er beispielsweise eine zentrale politische Stiftung der PSOE ins Leben rufen, die der programmatischen Arbeit der europäischen Sozialdemokratie neue Impulse geben solle. Die Stiftung ist dann in der Tat gegründet worden, doch gehört hat man von ihr seither nichts mehr.

Für die Spanier ist das belanglos. Ungleich schlimmer ist, dass Zapatero in seinen bisherigen fünf Regierungsjahren zwar reformpolitisch auf vielen Feldern aktiv war, vor allem verfassungspolitisch, das Problem der einseitigen Wirtschaftsstruktur des Landes, eines der großen Defizite Spaniens, jedoch geradezu sträflich vernachlässigt hat. Es war, als hätte die Regierung das von der EU stark mitfinanzierte Wachstum ihrer ersten Amtsjahre und den wirtschaftlichen Aufstieg begeistert konsumiert, ohne darauf zu achten, die Einkünfte für Zukunftsinvestitionen zu nutzen.

Altmeister Solbes ging die Puste aus

Der spanische Regierungschef ist kein Ökonom. Mag sein, dass er den trügerischen Dauerboom der Bauwirtschaft für eine nachhaltige Angelegenheit hielt. Die zubetonierte Küste am Mittelmeer, für Spanienbesucher aus aller Welt ein Menetekel für die Grenzen des Wachstums, war dem Mann aus dem Norden offenbar kein Begriff.

Aber wozu hat er dann im Jahr 2004 den ökonomischen Altmeister Pedro Solbes als Finanzminister und Vizeministerpräsident ins Kabinett geholt? Hat dieser die Probleme nicht gesehen " was unwahrscheinlich ist " oder sich gegen die "Probleme? Welche Probleme?" " Strategie der Zapatero-Truppe nicht durchgesetzt?

Solbes, ein Veteran der spanischen Politik, Wirtschaftsminister schon unter Felipe González, später Finanzkommissar in Brüssel, galt zwar als der starke Mann im Kabinett Zapatero. Doch der Kern der umfangreichen Kabinettsumbildung durch den Regierungschef Anfang April dieses Jahres " 6 von 17 Ministern wurden dabei ausgetauscht " war dessen Abgang. Solbes war amtsmüde. Im Wahlkampf hatte er Zapatero noch den Rücken freigehalten, die Konservativen besaßen kein adäquates Gegenüber für ihn. Für die ökonomische Krise in der Zeit danach schien Solbes dann aber die Kraft zu fehlen.

Insofern kam die Ablösung nicht aus heiterem Himmel. Aber es fiel doch auf, wie sang- und klanglos der erschöpfte Alte aus dem Amt schied. Irgendwie unbedankt. Ein gefallener Stern, geopfert, so als wäre er für die Versäumnisse der fetten Jahre allein verantwortlich gewesen.

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