"Die Versachlichung der Diskussion muss im Vordergrund stehen!"

Gespräch mit dem Genforscher Oliver Brüstle

Herr Brüstle, in der Presse wurden Sie als ein Befürworter des Klonens dargestellt. Können Sie uns erläutern, was Sie tatsächlich machen? Wie sieht ihre Forschung an den embryonalen Stammzellen aus und was ist "therapeutisches Klonen" eigentlich?

Unsere Arbeit hat zunächst nichts mit therapeutischem Klonen zu tun. Es geht vielmehr darum, aus embryonalen Stammzellen Spenderzellen für Zelltransplantate ins Nervensystem herzustellen. Diese Technik ist meiner Meinung nach sehr erfolgversprechend. Embryonale Stammzellen weisen Eigenschaften auf, die Sie bei Stammzellen aus erwachsenen Geweben sonst nicht vorfinden. Zum Ersten besitzen sie die Fähigkeit, noch in nahezu alle Körperzelltypen ausreifen zu können. Zum Zweiten lassen sie sich in Zellkultur endlos vermehren. Beide Eigenschaften zusammen machen diese Zellen im Prinzip zu einer unerschöpflichen Spenderquelle für Zelltransplantate in verschiedenste Organsysteme - wenn es gelingt, die Signalmechanismen zu identifizieren, mit denen diese Zellen in der Zellkultur ganz gezielt ausgereift werden können. Genau an diesem Problem arbeiten wir. Dabei ist es uns bereits gelungen, ganz spezifische Spenderzellen für bestimmte neurologische Erkrankungen herzustellen.

Im Rahmen der deutschen Forschungsgemeinschaft sollen Projekte im Bereich Stammzellforschung gefördert werden. Können Sie uns erläutern, was Sie genau beantragt haben?

Wir würden sehr gerne die Ergebnisse, die wir mit Mauszellen an Tiermodellen neurologischer Erkrankungen erzielt haben, auf menschliche Zellen übertragen. Dazu werden wir zunächst an bereits bestehenden, in den USA etablierten humanen Stammzellinien überprüfen, ob sich aus menschlichen ES-Zellen Spenderzellen für Transplantate in myelindefiziente Tiere und andere Tiermodelle neurologischer Erkrankungen herstellen lassen.

Das bedeutet, Sie brauchen Stammzellenimporte aus den USA.

Ja, im Moment ist es so, dass die Herstellung embryonaler Stammzellen in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten ist. Die einzige Möglichkeit, die uns bleibt, ist der Import. Mittlerweile werden diese Zellen der Wissenschaft weltweit zur Verfügung gestellt. Sie sind im Prinzip jedem Wissenschaftler zugänglich, vorausgesetzt es liegt ein entsprechendes Forschungsprogramm vor und die Hochrangigkeit der Forschungsziele wurde bestätigt.

Das heißt, Sie können nach Deutschland Stammzellen importieren, und das ist strafrechtlich unbedenklich und mit dem Embryonenschutzgesetz vereinbar?

Der Import dieser Zellen ist rechtlich möglich. Es ist uns natürlich ein großes Anliegen, dies nicht im Alleingang zu tun, sondern Unterstützung zu erhalten, eine Diskussion zu führen, möglichst zu einem Konsens zu kommen. Die Technologie kann nur dann in Deutschland etabliert werden, wenn sie breite öffentliche Unterstützung findet. Ein wichtiges Signal wäre beispielsweise, dass sich Institutionen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft für eine Förderung solcher Projekte aussprechen würden.

Sie haben einige Jahre in den USA gelebt und geforscht. Wie wegweisend ist die dortige Entwicklung für die Situation in Deutschland?


Ganz wichtig war die jüngste Entscheidung des NIH (National Institut of Health). Im September sind neue Richtlinien zur Forschung an humanen embryonalen Stammzellen veröffentlicht worden, die erstmals eine staatliche Förderung von Forschungsarbeiten an diesen Zellen erlauben. Mein Wunsch wäre, dass die DFG als Analogon des NIH sich diesem Verhalten anschließen könnte.

Die Stammzellforschung hat durch die Bemühungen in Großbritannien auch eine gewisse Tagesaktualität erlangt. Beeinflußt die Expertenempfehlung die Meinungsbildung auch in Deutschland?

Es ist sicher so, dass der Vorstoß Großbritanniens zu einer wichtigen Zeit kommt. Meiner Meinung nach hätte der Vorstoß mehr Vorbereitung gebraucht. Was in dem Entwurf in Großbritannien angestrebt wird, ist eine Ausweitung der Stammzelltechnologie in Richtung therapeutisches Klonen. Das kann durchaus ein Fernziel in dieser Technologie darstellen, mit zweifellos großem Potential. Beispielsweise könnte es diese Technik erlauben, Spenderzellen vom betreffenden Patienten selbst herzustellen und dadurch Abstoßungsreaktionen zu verhindern. Allerdings sollte meiner Meinung nach zunächst gezeigt werden, dass aus humanen Stammzellen therapeutisch einsetzbare Spenderzellen gewonnen werden können. Diese müssen dann wiederum in einem Zwischenschritt an Tiermodellen menschlicher Erkrankungen erprobt werden. Erst dann können wir uns die Frage stellen, ob wir langfristig solche Zellen auch vom jeweiligen Patienten selbst gewinnen wollen - durch therapeutisches Klonen. Im Moment herrscht große Begriffsverwirrung, was die einzelnen Definitionen anbelangt. Therapeutisches Klonen hat zunächst nichts mit der Herstellung von Spenderzellen aus embryonalen Stammzellen zu tun. Therapeutisches Klonen ist ein letzter Schritt in der Zukunft, der es ermöglichen könnte, Spenderzellen vom jeweiligen Patienten selbst herzustellen.

Der Unterschied zwischen therapeutischem Klonen und Stammzellforschung ist vielen Menschen nicht klar. Wie kann man das einer breiten Öffentlichkeit vermitteln?

Ich denke schon, dass der Öffentlichkeit die Probleme des Organ-Zellersatzes bekannt sind. Für viele Organtransplantate fehlen nach wie vor Spender, und zahlreiche Patienten versterben, noch während sie auf ein Transplantat warten. Viele Menschen haben zudem in ihrer engen Bekanntschaft Patienten, die von schweren neurologischen Erkrankungen, wie Schlaganfällen oder der Parkinsonschen Krankheit betroffen sind. Diese Menschen sind sich der Notwendigkeit einer Forschung auf diesem Gebiet durchaus bewusst.

Therapeutisches Klonen beinhaltet Reprogrammierungsvorgänge der Zellen? Wie spielt sich das ab?

Die Reprogrammierungsstrategien sehen so aus, dass ein Zellkern aus einem erwachsenen Organismus entnommen wird. Dieser Zellkern wird in eine entkernte Eizelle implantiert. Auf noch nicht verstandene Art und Weise kommt es dabei zu einer Umprogrammierung des Zellkerns in ein sehr frühes embryonales Stadium. Die Zelle, die dabei entsteht, hat die Fähigkeit, sich in ein Keimbläschen weiterzuentwickeln, aus welchem embryonale Stammzellen gewonnen werden können. Diese können ihrerseits wieder die verschiedensten Körperzellen bilden. Das ist eine Strategie, die heute experimentell durchgeführt werden kann. Eine Umsetzung auf den Menschen halte ich aus zwei Gründen langfristig für problematisch. Zum einen wird es sowohl aus ethischer als auch logistischer Sicht unmöglich sein, entsprechende Mengen an entkernten Eizellen zur Verfügung zu stellen. Zum anderen wird diese Methode dadurch kompliziert, da sie über ein Stadium geht, das wir als totipotent bezeichnen, das heißt, dass beispielsweise nach Implantation in die Gebärmutter sich - zumindest theoretisch - wieder ein Individuum entwickeln könnte. Langfristig müssen meiner Meinung nach Anstrengungen unternommen werden, diese beiden kritischen Punkte zu umgehen. Entsprechende Untersuchungen sind bereits im Gange. Auf der anderen Seite ist es so, das wir diese Reprogrammierungsvorgänge nur dann verstehen können, wenn wir an entsprechenden Stadien wissenschaftliche Untersuchungen durchführen können. Genau das war auch die Zielsetzung des Vorstoßes in Großbritannien - einen begrenzten Einsatz solcher Verfahren für die Gewinnung medizinisch nutzbarer Informationen zu erlauben.

Würden Sie den deutschen Politikern raten, auch so vorzugehen?

Meiner Meinung nach sollte schrittweise vorgegangen werden. Zunächst muss gezeigt werden, dass aus humanen Zellen Spenderzellen für Transplantationszwecke gewonnen werden können. Derartige Untersuchungen könnten beispielsweise an importierten Stammzellen durchgeführt werden. Wenn dies gelingt, kann man sich die Frage stellen, inwieweit wir solche Zellen im Land herstellen wollen. Erst an letzter Stelle kann die Frage stehen, ob Spenderzellen über Klonierungsmethoden vom selben Patienten hergestellt werden sollen. Bis dahin wird unter Umständen so viel Zeit vergangen sein, dass bereits andere, weniger problematische Methoden der Reprogrammierung zur Verfügung stehen werden. Auch was Stammzellen aus erwachsenen Geweben anbelangt, werden sich neue Befunde ergeben. Dann wird es wichtig sein zu entscheiden, für welche Bereiche welche Stammzellen die besseren Kandidaten darstellen. Eine neue gesetzliche Regelung muss flexibel genug sein, sich diesen Entwicklungen anzupassen. In meinen Augen wäre es ein großer Fehler, aufgrund der momentan noch bestehenden Probleme bei der Stammzellgewinnung diese Technologie pauschal abzulehnen und dadurch Patienten den Zugang zu neuen Therapiestrategien zu verbauen

Wie Sie es gerade dargestellt haben, sieht die Situation für Biotech-Firmen in Deutschland schlecht aus.

Es ist sicherlich so, dass Deutschland auf Grund der äußerst strengen Vorschriften für entsprechende Firmen nur bedingt attraktiv ist. Derartige Konzerne sind ganz überwiegend in den USA angesiedelt. Erstaunlicherweise sind bislang wenig Kommentare der ansässigen Biotech-Industrie zu vernehmen. Das mag mit der enormen Brisanz des Themas zusammenhängen.

Wir haben zur Zeit ein Sammelsurium von unterschiedlichen nationalen Richtlinien und Gesetzen, die die Forschung begrenzen. Brauchen wir ein internationales Übereinkommen?

Das ist ein ganz wichtiges Problem. Nahezu alle Forschungen in diesem Bereich werden mittlerweile als internationale Kollaborationen ausgeführt. Wir haben mehrere Projekte mit Partnern sowohl in Europa als auch in Japan und den USA. Es ist eine Utopie, langfristig national verschiedene Lösungen zu haben. Wir müssen auf eine internationale Lösung hinarbeiten. Sonst wird es einfach so sein, dass entsprechende Projektteile an Partnerinstituten im Ausland durchgeführt werden.

Wäre es dann nicht sinnvoll, auf nationaler Ebene ein Forum zwischen Politik und Industrie einzurichten?

Ich glaube, im Vordergrund muss jetzt eine Versachlichung der Diskussion stehen. Erst dann werden sich weitere Befürworter dieser Technologie in der Öffentlichkeit zu Wort melden.

Welche Aufgabe sollte ihrer Meinung nach die Politik übernehmen?

Die Politik sollte die Diskussion moderieren und auf eine Entscheidungsfindung hinarbeiten. In dieser Hinsicht halte ich die bereits stattgehabten Statusseminare des BMBF und des Gesundheitsministeriums für einen guten Anfang. Solche Veranstaltungen helfen, die Diskussion zu versachlichen und auf eine öffentliche Meinungsbildung hinzuwirken. Denn schließlich ist eine neue gesetzliche Regelung nur dann sinnvoll, wenn sie von einer breiten informierten Öffentlichkeit getragen wird.

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