Die Unbelehrbarkeit der Politik

Susanne Fenglers Romanheldin Fräulein Schröder kann Edmund Stoiber nicht retten und scheitert auf der ganzen Linie

Wahlkampf ist ganz einfach: Man muss nur herausfinden, die Geschichte welcher alten Herrscher sich gerade wiederholt. Wäre das nicht toll? Ausgerüstet mit alten Papyri könnten Wahlkämpfer in der Stabi in Berlin sitzen und nachlesen, welche Katastrophe sie als nächstes verhindern müssen, welche Themen den Bürgern gerade besonders am Herzen liegen und wie sie ihren Kandidaten am besten zum Sieg führen. Ist der Untergang der PDS zum Beispiel eine Wiederholung der Geschichte der alten Inka? Hätte man das vorher gewusst, dann hätte man das Verschwinden Gregor Gysis von der politischen Bühne verhindern können. Schließlich wäre dann klar gewesen, dass dies den Untergang der PDS bedeutet, nachdem sich die Inka infolge des plötzlichen Todes ihres Gottkönigs widerstandslos den Spaniern unterwarfen.

Wenn es wirklich so leicht wäre, würde der Bundeskanzler heute nicht Gerhard Schröder sondern Edmund Stoiber heißen! Doch niemand glaubt so richtig Fräulein Schröders historischen Ausführungen über die alten Ptolemäer. Fräulein Miriam Schröder, das ist die Protagonistin in Susanne Fenglers gleichnamigem neuem Roman. Nachdem sie an ihrem 30. Geburtstag durch ihre altertumswissenschaftliche Doktorprüfung über Geschichte der Ptolemäer gefallen ist, landet sie unvermittelt in der Kommunikationsabteilung der CDU-Wahlkampfzentrale. Schnell stellt sie fest, dass sich der Untergang der Ptolemäer-Königin Berenike mit dem Rückzug Angela Merkels von der Kanzlerkandidatur wiederholt. In den Gedichten des Kallimachos steht die Geschichte des Wahlkampfs vor der Bundestagswahl 2002 vorgeschrieben. Fräulein Schröder kämpft für ihre Partei, sie versucht die bevorstehenden Katastrophen für die Kanzler-Herausforderer zu verhindern. Leider glaubt ihr niemand vor der großen Flut, die im Sommer 2002 die ostdeutschen Länder heimsucht, dass eine Naturkatastrophe den großen Meinungswandel vor der Wahl herbeiführen werde. Doch so steht es bei Kallimachos geschrieben: „Groß ist die Flut des assyrischen Stroms, und zumindest führt er schmutzigen Schlamm in seinen Gewässern und Menschen von Unrat.“ Auch das am Ende die Stimmen der Frauen die Wahl entscheiden würden, hat Kallimachos vorausgesagt. Anstatt jedoch auf die Empfehlung Fräulein Schröders zu hören, in der heißen Wahlkampfphase die Frauen anzusprechen, setzt der Herausforderer erfolglos auf die Ausländerthematik: „Er wird nicht wiederkommen in dies Land ... betrübt sahen ihm nach die Frauen ... Fremder, wohin trieben die Winde Dich?“

Und so beginnt Fräulein Schröders Kampf um ihre Glaubwürdigkeit als Wahlkämpferin und ihr Selbstbewusstsein als Wissenschaftlerin. Mit viel Humor beschreibt Susanne Fengler das Hineinplatzen Fräulein Schröders in die Welt der Christdemokraten mit ihren gelben Sakkos und Krawatten, in die Welt der kalten und blitzblank gewienerten Flure einer Parteizentrale, die so ganz anders sind als die staubigen Korridore der Berliner Universität, Miriam Schröders ehemaliger Wirkungsstätte. Sie beginnt ihr neues Leben, wie alle Frauen, die ihr Leben ändern wollen, beim Friseur. Anstatt die Papyri alter Dichter zu übersetzen, soll sie ab sofort griffig formulierte Wahlkampfbroschüren verfassen. Sie tauscht ihre Strickjacken gegen Nadelstreifenanzüge und glaubt, in der neuen Karriere die Niederlage ihrer nicht bestandenen Doktorarbeit hinter sich lassen zu können.

Natürlich gelingt ihr das nicht: Der Dichter Kallimachos und seine Schriften bleiben Miriam Schröders Berufung. Da sie niemanden davon überzeugen kann, die Lehre der Geschichte zu beachten, macht sie sich den Vorwurf, die Partei blind in eine Niederlage laufen zu lassen. Sie versagt. Sie versagt auf der ganzen Linie: Sie versagt in ihrem neuen Beruf. Sie versagt in ihrer neuen Liebe. Und sie versagt in ihrem Vorhaben, ihre Doktorarbeit zu vergessen.

Menschen in gelben Sakkos und roten Socken

Fräulein Schröder ist ein humorvoller Roman über die Eigenheiten der Politik und die Eigenheiten von Politikern, in deren Welt anscheinend nur Menschen bestehen, die bereits in gelben Sakkos (oder, wahlweise, roten Socken) auf die Welt kamen. Das schmutzige Geschäft des Wahlkampfs vor und hinter den Kulissen wird aus der Sicht einer jungen Frau beschrieben, der es als Altertumswissenschaftlerin so gar nicht gelingt, sich an Vermerke, Dienstwege und Werbeagenturen zu gewöhnen.

Mit Fräulein Schröder ist Susanne Fengler eine sympathische Anspielung auf die Unbelehrbarkeit der Politik gelungen. Mancher Sozialwissenschaftler wird in diesem Roman vielleicht seine Verzweiflung über das Scheitern der Wissenschaft am realen Leben, aber auch über den Zustand der deutschen Universitäten wieder finden.

Susanne Fengler, Fräulein Schröder, Berlin: Kiepenheuer 2004, 380 Seiten, 19,90 Euro

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