Die Technomediale Illusion

Warten Millionen von Handybenutzern sehnlichst darauf, mit ihren Geräten endlich auch fernsehen zu können? Die Branche ist fest überzeugt vom Erfolg des "HandyTV". Doch auch im digitalen Zeitalter bleiben die Menschen analoge Wesen

Aus Anlass der WM habe ich mal wieder auf den roten Knopf der Fernbedienung gedrückt, der ins Reich digitaler Interaktivität führt. Was nach quälend langsamem Aufladen geboten wird, ist mager: Tabellen, Statistiken, später ein paar Wiederholungen vorausgegangener Höhepunkte. Vor ein paar Jahren noch wurde den Fans unaufhörlich eingehämmert, sie könnten fortan selbst Regisseur spielen und etwa den Spieler wählen, den sie beobachten wollen. Die angepriesene interaktive Beglückung ließ die Konsumenten kalt. Der Service wurde kaum genutzt.

Zu Recht. Ingenieure und Manager hatten sich allein an der technischen Möglichkeit eines solchen Services berauscht und allen Ernstes geglaubt, interaktiver Fernsehfußball werde ein Renner sein. Nicht ausgelotet wurde vorher, ob diese Dienstleistung wirklich gewünscht und zum Verhalten des Kundenkreises passen werde. Die menschliche Natur, Bedürfnisse, Gewohnheiten und Freizeitverhalten wurden nicht untersucht. Das ist die entscheidende Ursache dafür, dass es immer wieder zu technologischen Flops kommt. Unrealistische Erwartungen führen zu Fehlinvestitionen, mangelnder Realitätssinn macht anfällig für Hype.

Wer für neue Technologien Businessmodelle entwirft, sollte zunächst einmal selbst praktisch ausprobieren, was er anpreist. Die Fußballfans, die der Aufforderung folgten, selbst Regisseur zu spielen, haben längst gemerkt, was für ein Unsinn ihnen da empfohlen wurde – und deshalb die Finger davon gelassen. Zunächst verschwand das Bild, für eine Zeitspanne, die zumal während eines laufenden Spiels wie eine Ewigkeit wirkt. Verfolgte man schließlich den gewählten Spieler mittels einer Kamera, erwies sich rasch, dass die Action meist gerade woanders abläuft. Bestenfalls wurde der Zuschauer gewahr, wie oft ein Spieler herumsteht oder sich im Schritttempo bewegt, ohne in Kontakt mit dem runden Leder zu kommen. Und ohnehin: Der Fußballfan will in der Regel nichts anderes, als passiv vor dem Bildschirm hängen, in einer Hand die Flasche Bier. Das Fernsehen ist ein passives Medium geblieben. Das beste Bild, ob in Zeitlupe oder Normaltempo, liefert blitzschnell, zwischen verschiedenen Kameraeinstellungen wechselnd, immer noch die Bildregie.

Skeptiker als rare Spezies

Niemand bezweifelt, dass die digitale Zukunft begonnen hat. Eine Phase der Konvergenz von Telekommunikation, TV, Telefon und Internet hat eingesetzt, die vieles durcheinander wirbelt. Umso wichtiger ist es, klaren Kopf zu behalten angesichts der Flut unerprobter Möglichkeiten und Angebote. Vor allem sollte man nicht darauf verzichten, die spezifischen Angebote, Produkte und Formate der digitalen Ära genau unter die Lupe zu nehmen. Vorzugsweise bevor sich Unternehmen auf kostspielige Abenteuer eingelassen und die Politiker weit reichende Entscheidungen getroffen haben.

In der Medien- und Technologiebranche sind Skeptiker jedoch eine rare Spezies. Die notwendige Reflexion kommt angesichts des Aufbruchs ins scheinbar grenzenlose Paradies der Innovation meist zu kurz. Mechanische Intelligenz arbeitet vor allem funktional und nicht selbstkritisch. Über die Entwicklung neuer Techniken entscheiden Ingenieure, die „technikverliebt“ an die Materie herangehen und sich nicht weiter um Zuschauerverhalten oder die Bedürfnisse des Publikums kümmern.

Ministerialbeamte und Politiker wiederum wissen nichts über die Grenzen und Möglichkeiten neuer Techniken, während sie zugleich unbeleckt sind, was die Nutzbarkeit der neuen Angebote betrifft. In der Medienpolitik führt das generell zu Nutzerferne sowie fehlender Resistenz gegen technikbesessene Ingenieure und die Verheißungen der Marketingstrategen. Das alles verleitet häufig zu fulminanten Fehlprognosen, die dann in Fehlinvestitionen münden.

Das Platzen der Internetblase vor fünf Jahren lieferte in dieser Hinsicht eindrucksvollen Anschauungsunterricht. Doch die Gefahr der Wiederholung des „technologischen Wahns“ ist alles andere als gebannt. Die „Techno-Euphorie“ blüht und gedeiht in vielen digitalen Varianten. Das neueste Exempel liefert der Hype des Mobilen Fernsehens, kurz HandyTV.

Mobiles Fernsehen sei „wie Sex im Freien – eine höchst vergnügliche Vorstellung, aber nicht immer sehr praktikabel“ bemerkte kürzlich Dick Emery, der Chef von UKTV, einem britischen Konsortium digitaler Fernsehkanäle. UKTV verdient sein Geld mit der konventionelleren Form der Übermittlung von content. Emerys schnoddriger Vergleich sollte als Warnung an allzu optimistische Gemüter in der Branche verstanden werden. Mobilfunker befinden sich derzeit in einer Gemütsverfassung, bei der sich die Frage aufdrängt, ob man nicht da und dort in den Vorstandsetagen zu viel Prozac schluckt und die Welt daher durch eine allzu rosarote Brille wahrnimmt.

In Wahrheit herrscht Ungewissheit

Ob Netzbetreiber, Geräteindustrie, Handyhersteller oder die Inhaltanbieter des Fernsehens – jedermann ist offenbar felsenfest davon überzeugt, dass Millionen von Handybesitzern rund um die Welt nur sehnlichst darauf warten, endlich mit bewegten Bildern versorgt zu werden. Überall herrschte in diesem Jahr wegen des HandyTV euphorische Stimmung – auf Medienkongressen in Leipzig, Köln, auf der IFA in Berlin und Anfang des Jahres in Barcelona auf dem 3. GSM Weltkongress, der größten Showcase-Veranstaltung des technomedialen Komplexes. Dort wie überall sonst dominierte überschwänglicher Optimismus und die ausgeprägte Vorliebe für Techno-Speak. Kürzel wie DVB-H, IMS, DVB-T, DAB, DVB-IP wurden in die Debatten geworfen, als handelte es sich in allen Fällen um wohletablierte Wege zur mobilen Datenbeglückung. Ein anderes Kürzel, HSDPA, ein „schnelleres UMTS“, wurde enthusiastisch als nächste „Durchbruchtechnologie“ gehandelt, während die Amerikaner die neue Hoffnung „Flo“ anpriesen. In Wahrheit herrscht große Ungewissheit über die richtige Technik für den Mobilfunk. Auch ist schon jetzt klar, dass es einen Krieg der Formate geben wird, ähnlich dem zwischen den Videoformaten VHS und Betamax.

In Zeiten aufregender Möglichkeiten und Neuerungen empfiehlt sich eine Faustregel: Man achte auf die Sprache, der man begegnet. Unsere technologische Zivilisation produziert nicht nur in rasantem Tempo Neuerungen; sie liefert zugleich den Jargon dazu. Auffällig ist, wie oft „Buzzwords“ vor allem dann genutzt werden, wenn es eigentlich gar nicht glänzend steht um die Aussichten: „Wertschöpfungsketten“ oder „Programmbouquets“; das Englische als Lingua Franca liefert viele der international verwendeten Begriffe: „End to end solutions“, „leveraging the platforms“ oder, ganz oben auf der Liste der Verheißungen, „monetisation“. Schwammig-euphorische Sprache deutet fast immer darauf hin, dass man in Wahrheit nicht so recht weiß, wie und ob da wirklich Geld zu machen ist.

Klar ist eines: Die Mobilfunkindustrie, bislang wild darauf, das Ohr möglichst vieler Menschen zu finden, ist nun vor allem damit beschäftigt, ihre Augen zu erreichen. Der Kampf um den Kuchen des mobilen Fernsehens ist entbrannt – bevor sicher feststeht, ob der Kuchen genießbar ist, ob sich genug Esser finden werden oder ob sich der Kuchen, um im Bild zu bleiben, überhaupt an genügend Esser wird verteilen lassen.

Die ewige Furcht, zu spät zu kommen

Neben der Hoffnung, mit dem HandyTV einen neuen lukrativen Markt zu schaffen, treibt ein anderer Faktor die Akteure um. Es ist Furcht. Die Furcht, zu spät zu kommen und den Zug zu verpassen. Die Furcht vor dem Internet, über das mehr und mehr telefoniert und ferngesehen wird, auch wenn die Qualität in beiden Fällen viel zu wünschen übrig lässt. Die Furcht der Handy-Unternehmen angesichts stagnierender oder fallender Umsätze, die sie ins HandyTV treibt, wie auch die Angst vor der Kabel- und Breitbandkonkurrenz, von der man sich nicht abhängen lassen will.

Andere Spieler hoffen, bei der Entwicklung des HandyTV werde sich UMTS, die dritte Generation des Mobilfunks, wenigstens für eine Übergangszeit profitabel verwenden lassen. Ungeheure Summen wurden in Deutschland und anderen Ländern allein für die Lizenzen bezahlt. UMTS ist ein Musterbeispiel für den Glauben, dass alles, was der technische Fortschritt hervorbringt, segensreich und gewinnträchtig sei. Die dritte Handy-Generation wurde eine bittere Enttäuschung: zu wenig Abonnenten, eine zu geringe Nutzung der zusätzlichen Dienste, mit denen Geld gemacht werden sollte, nicht zuletzt eine maßlos überschätzte Technologie. Es besteht keine Aussicht, die Summen hereinzuholen, die in Deutschland, Großbritannien und Italien für Lizenzen und den Aufbau der UMTS-Netze ausgegeben wurden, auch wenn die Branche das nicht gerne zugibt. Derzeit versucht sie, über Brüssel einen Teil der vergeudeten Milliarden zurückzubekommen.

Vor fünf Jahren war UMTS als Vorbote mobiler, visueller Kommunikation gepriesen worden. Nun erweist es sich als nutzlos für das HandyTV. Warum? Würde sich nur ein kleiner Teil der UMTS-Abonnenten für das HandyTV erwärmen, bräche unweigerlich das Netz zusammen. Es wäre nicht einmal mehr möglich zu telefonieren. Das wird mittlerweile freimütig eingeräumt, weshalb man sich mit „Video on demand“ begnügen will, bevor man sich von der UMTS-Technologie verabschiedet. Die dritte Generation ist also ein furchtbar teurer Flop geworden. In die Technologiegeschichte wird die dritte Generation – erst hochgejubelt von der Branche und als Offenbarung gepriesen von vielen Politikern – als eines der teuersten Desaster überhaupt eingehen. Der Rekordverlust von 20 Milliarden Pfund, den Vodafone im Juni 2006 meldete, geht vor allem auf die Kappe dieses technologischen Irrwegs.

Letzte Hoffnung „Vollerotik“

Beim Handyfernsehen ruhen die Hoffnungen auf den Gewohnheiten und Bedürfnissen der Unter-30-Jährigen. Schnell gelangweilt, auf raschen Wechsel der Reize bedacht, an den Bildschirm gewohnt, auf visuelle Reize programmiert und fixierter als ältere Jahrgänge auf ihr Handy, könnten sie die Kunden werden, die sich tatsächlich für ein paar Minuten zwischendurch die Zeit vertreiben – ein Musikvideo oder die Höhepunkte eines Fußballspiels abrufen, oder ein originales Häppchenprogramm des HandyTV anschauen.

Peter Balzalgette von Endemol, der Erfinder von Big Brother, fordert neue Programme als „killer application“ für das mobile Fernsehen. Etwa das, was die Branche „Mobisodes“ nennt, kurze Episoden neuer Soaps und Serien, oder besser noch, Kurzausgaben bereits etablierter, populärer Angebote. In Amerika und Großbritannien werden sie bereits produziert. Auch hat man bereits begonnen, neuen content fürs HandyTV zu produzieren, „Schnipsel-Komik“ sowie Sex- und Pornoangebote. Gerade diese erweisen sich erneut als die stille, große Hoffnung. Wenn gar nichts mehr läuft, kann „Vollerotik“ immer noch aus der Bredouille helfen, lautet das interne Motto der Branche.

„HandyTV“ lässt die Leute ziemlich kalt

Es mag sein, dass sich die Sehgewohnheiten zumindest einer ausreichend großen, langsam wachsenden Minderheit hin in die Richtung HandyTV entwickeln werden. Sicher ist das beileibe nicht. Umfragen in Deutschland, Großbritannien und Italien deuten allesamt auf starke Vorbehalte der Kundschaft hin. Mobile Datendienste wie Videostreaming und Handyfernsehen lassen die meisten Leute kalt. Die Marktforschung in verschiedenen Ländern Europas produzierte selbst in der Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen enttäuschende Resultate. Die Mehrzahl der Benutzer will auf dem Handy telefonieren oder SMS verschicken und empfangen. Zwar gilt es als imagefördernd, ein Handy zu besitzen, das alle erdenklichen Funktionen hat; doch bedeutet dies nicht, dass man die Funktionen benutzen und Geld dafür ausgeben will.

Die Marktforscher fanden zudem heraus, dass selbst die Minderheit, die sich für neue Dienste erwärmen könnte, mehr am Radiohören per Handy als am Fernsehen interessiert ist. Per Handy im Internet zu surfen, Musik herunterzuladen, selbst E-Mails per Handy zu verschicken, stößt nach wie vor nur bei einer relativ kleinen Minderheit auf Interesse. Noch etwas sollte die Branche skeptisch stimmen: Die bisherigen Testläufe für das HandyTV, die wegen ihrer angeblich hohen Zustimmung zu den neuen Angeboten gerne zitiert werden, vermitteln ein geschöntes Bild: Den Teilnehmern wurden keine Kosten auferlegt, der Service war frei.

Eine andere Frage ist die der technischen Realisierung des HandyTV. Welche Technologie sich am Ende durchsetzen wird, steht noch aus. In Europa und damit auch in Deutschland konkurrieren derzeit zwei Formate miteinander, DVB-H, basierend auf DVB-T, der terrestrisch-digitalen Technologie, und DMB, einer Art aufgemotzte Version von DAB, dem digitalen Rundfunksignal. Bei DVB-T sind die Batterien viel zu schnell leer. Auch beim Hybrid aus DVB-H und DAB, dem „PocketTV“, das der Bayerische Rundfunk erprobt, erweist sich aufs Neue, dass dieses Problem der Lösung noch harrt. Fachleute spötteln, dass das „H“ bei DVB-H derzeit eigentlich nur für „Hype“ stehe. DVB-H ist in Deutschland erst in vier Städten verfügbar. Vor vier Jahren fällte Professor Wolfgang Klimek in einer internen Studie des Bundesforschungsministeriums das Urteil, DVB-T sei „nicht ausgelegt für mobilen Empfang“ und „unattraktiv für Mobilfunk“. Das Urteil gilt offenbar weiterhin. Dagegen wurde DAB beziehungsweise DMB als „geeignet“ bezeichnet für die „hochqualitative Übertragung beweglicher Bilder“.

Sketche und Komödien

Deutschlands erstes HandyTV, Mobiles Fernsehen Deutschland, kurz MFD, bedient sich der DMB-Technologie. Gezeigt werden vier Fernsehprogramme: ZDF, N 24 sowie zwei Programme, die aus content von MTV und Pro7 geschneidert werden, also vor allem Sketche und Komödien. Man scheint vorsichtig zu kalkulieren, erwartet bis zum Jahresende eine fünfstellige Zahl von Abonnenten und will erst 2007 Gewinne machen. Man wird sehen.

Die Fußball-WM war aus Sicht der Betreiber des HandyTV, zu denen auch T-Mobile zählt, eine einmalige Chance. Nach dem Ende der WM wird sich erweisen, ob das HandyTV tatsächlich einen Durchbruch erzielen konnte oder ob man auf die nächste Chance, die Olympischen Spiele 2008, warten muss, um einen Service an den Kunden zu bringen, der technisch nicht ausgereift war und von dem man eigentlich nicht wusste, ob die Menschen ihn überhaupt annehmen würden. Erste Informationen aus Deutschland und Großbritannien deuten nicht auf einen glänzenden Start hin.

Im Übrigen sollten die Anbieter neuer digitaler Dienstleistungen nicht glauben, sie wären allein im Buhlen um gefragte, vielleicht schon überforderte Konsumenten. Die zweite Welle des Internet, genannt „2.0“, umspült derzeit die Fundamente der etablierten Mediengiganten. Zu nennen sind hier vor allem die Online Communities, etwa MySpace und Mytube, die sich in der englischsprachigen Welt blitzschnell ausgebreitet haben und enorm populär sind. Auf diesen Plattformen im Cyberspace hält ein überwiegend junges Publikum Kontakt miteinander, knüpft Netzwerke, tauscht Bilder, Videoclips und Fotos aus – also das, was im Jargon „Benutzer-content“ genannt wird. Die Online Communities erlauben es, eigenes Material zu schaffen und zu verbreiten. Bands wie die Arctic Monkeys stießen über Myspace ohne jeden Plattenvertrag an die Spitze der Hitparade in Großbritannien vor und inspirierten andere Musiker, gleiches zu versuchen. Rupert Murdoch hat Myspace vor ein paar Monaten für 580 Millionen Dollar gekauft, um nicht abgehängt zu werden. Die BBC will mit BBC.com eine ähnliche Stätte der elektronischen Begegnung schaffen, aus Furcht, sonst ein junges Publikum zu verlieren, das weniger denn je Fernsehen einschaltet.

Minderwertige und vulgäre Inhalte

Es empfiehlt sich zudem, in allen Phasen der Innovation nie das weitere gesellschaftliche und wirtschaftliche Umfeld aus dem Auge zu verlieren. Gemeint ist hier nicht einmal die wichtige Frage nach der Wirkung, die noch mehr Fernsehen, dazu in einer Häppchen-Version, erzielen wird. Zwangsläufig bedeutet HandyTV, dass eine Menge minderwertiger, vulgärer und gewalttätiger Inhalte in die Gesellschaft hineingespült werden. Sie dürften kaum der größeren Erleuchtung dienen oder die zivilisatorische Verfeinerung erhöhen.

Hier soll lediglich an ökonomische Faktoren erinnert werden, an Energiepreise, die in Zukunft eher steigen als sinken dürften, aber auch an die wachsenden Belastungen für die Verbraucher, die sich in Deutschland allein schon durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer ergeben wird.

Die Verbraucher werden in den kommenden Monaten und Jahren mit einer Flut von Optionen konfrontiert, nach denen sie nicht unbedingt verlangt haben und die sie zumeist nicht überschauen. Sie täten gut daran, abzuwarten, bis sich der Nebel über dem Schlachtfeld lichtet. Es gibt zuviel Ungewissheit über den Ausgang der HandyTV-Schlacht, in die sich manche stürzen dürften, ohne ein wirklich erfolgsversprechendes „Businessmodell“ zu besitzen. Wer als Verbraucher zu schnell einsteigt, mag es ebenfalls bereuen. Man könnte für eine Variante Geld ausgeben, die dann doch vom Markt verdrängt wird; ein Schicksal, das einst beim Kampf der Videoformate Betamax widerfuhr. Wenig spricht dafür, dass der Verbraucher viel verpasst, wenn er sich dem mobilen TV zumindest vorerst verweigert.

Die Zweifel über die neuen Angebote des digitalen Zeitalters, die nun auf uns zurollen, sollten zugleich Anlass sein zu einer kritischen Betrachtung der ersten Tranche der Digitalisierung in Deutschland. Die Zwischenbilanz für das vor vier Jahren gestartete digital-terrestrische Fernsehen fällt durchwachsen aus. Vorab hatte man auf eine kritische Überprüfung dieser Technologie verzichtet und geflissentlich übersehen, dass allein die Ausstrahlung viermal so teuer ist wie die des analogen Signals. Die Entscheidung fürs DVB-T ist gefallen und damit unumkehrbar. Norbert Schneider, Chef der Landesmedienanstalt in Nordrhein-Westfalen, hält DVB-T eigentlich für überflüssig und spricht von einer „Fehlentscheidung“ der Politik. Die Zweifel an der Weisheit der Entscheidung für diese Technologie bestehen also fort. Man sollte nun zumindest bereit sein, die Schwächen von DVB-T einzuräumen und an notwendigen Verbesserungen zu arbeiten.

„Digital ist besser“ – oder doch nicht?

Die digital-terrestrische Technologie erweist sich alles andere als ausgereift. Was Benutzerfreundlichkeit, Praktikabilität und Schnelligkeit betrifft, hält digital-terrestrisches Fernsehen ironischerweise auf einer Reihe von Feldern noch immer keinem Vergleich mit dem analogen Fernsehen stand. DVB-T ist langsam und schwerfällig. Video- oder Teletext auf DVB-T ist kaum mehr als ein schlechter Scherz. Am Ende eines langwierigen Prozesses wird nur ein äußerst sparsamer Text geboten. Um zu ihm zu gelangen, muss man das Fernsehprogramm, das man sich gerade anschaut, verlassen. Beim analogen TV geschieht das nebenher, „unterhalb“ des laufenden Programmes, dessen Ton man weiter hören kann. Beim analogen Fernsehen ist es spielend leicht, Untertitel zu laufenden Filmen hochzuholen. Nicht beim Digital-TV. In Großbritannien förderten Untersuchungen zu Tage, dass dieses Manko zumal ältere Benutzer zutiefst irritiert.

Desweiteren: Das digitale Signal besitzt die unangenehme Eigenschaft, nicht immer allen Haushalten das versprochene, gestochen scharfe Bild zu liefern. Bei ungünstigen Wetterbedingungen friert das Bild häufig ein, sofern es nicht sogar zeitweilig ganz verschwindet. Der 14-Watt-Decoder lässt sich nicht abstellen, was nicht gut in eine Zeit wachsender Energiekosten passt. Die Kosten digitaler Umrüstung werden in aller Regel beschönigt. Die Box alleine reicht bei vielen Haushalten nicht, um ein anständiges Bild zu garantieren. Oft bedarf es einer teuren, verbesserten Antenne. Auch braucht jedes Zweit- und Drittgerät einen eigenen Decoder. Der Chefingenieur einer Landesmedienanstalt räumte kürzlich ein, dass es „noch viel zu tun gibt“, um die digitale Technologie so benutzerfreundlich zu machen wie es das analoge Fernsehen ist.

Jetzt werden die Bits knapp

Auch beim digitalen Rundfunk DAB ist längst nicht alles Gold, was glänzt. In Deutschland führt digitaler Rundfunk immer noch ein Schattendasein. In einem Land wie Großbritannien, in dem man weit vorangekommen ist, erkennt man nun die Schattenseiten dieser Technologie. Viele Radiohörer, die sich einen digitalen Empfänger zulegten, haben mit Befremden bemerkt, dass die Tonqualität tatsächlich schlechter ist als die ihres alten Hifi-Gerätes, das sie womöglich schon auf Ebay verscherbelt haben. Digitales Radio bietet durchweg einen schlechteren Klang als UKW. Warum? Weil DAB ein Opfer des eigenen Erfolges ist und zugleich eine immanente Schwäche der Technologie zu Tage gefördert wurde. In Großbritannien erwies sich digitales Radio als so populär, dass die Sender das notwendige Signal nicht mehr liefern können. DAB bietet CD- Tonqualität, wenn das Signal für Stereomusik 192.000 bits per Sekunde (192 kb/s) erreicht. In den frühen Jahren, als die BBC mit der Ausstrahlung begann, war das kein Problem. Seit mehr Sender digital eingestiegen sind, drängen sich zu viele von ihnen auf begrenzter Bandfrequenz. Seither herrscht „bits-Knappheit“, die der Hörer auszubaden hat. Allein der Klassiksender BBC Radio 3 operiert mit den nötigen bits, im Übrigen erweist sich DAB inzwischen ein bisschen als Mogelpackung. Wird ein UKW-Signal gestört, etwa durch ein Flugzeug, rauscht es im Äther, aber man kann in aller Regel weiterhören. Nicht so beim digitalen Signal. Zwar ist es insgesamt stabiler, doch wenn es zu sehr gestört wird, verschwindet es ganz. Von sicherem, perfektem Radiogenuss kann noch lange nicht die Rede sein.

Spezialhandschuhe für Blackberry-Daumen

Der Technomediale Komplex leidet an den Folgen einer doppelten Illusion: Da ist zum einen der Irrglaube, es wäre genug Zeit vorhanden, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die uns geboten werden. Der Mensch bleibt ein analoges Wesen, wie schnell Informationen und Unterhaltung ihm auch digital geliefert werden. Die „processing power“ von Computerchips ist in den vergangenen vier Jahrzehnten exponential gewachsen, unsere menschliche „processing power“ hat sich nicht gesteigert.

Die zweite Illusion, der sich derzeit Mobilfunker und Handyhersteller hingeben, ist die Annahme, dass wir im permanenten Kontakt mit der Welt sein wollten, ob durch Handy, E-Mail oder den Blackberry. Im Harvard Business Review schrieb kürzlich der Psychiater Edward Hallowell, viele Manager litten heute nicht nur unter einem geschwollenen „Blackberry-Daumen“ (für den bereits ein fleischfarbener Spezialhandschuh als Gegenmitttel angeboten wird), sie litten an „Attention Deficit Trait“, das nicht gleichzusetzen ist mit der wohlbekannten „Attention Deficit Disorder“, einem Syndrom, das bei Kindern und Jugendlichen weit verbreitet ist. Beim „Attention Deficit Trait“, sagt Hallowell, handele es sich nicht um eine neurologisch bedingte Störung; dieses Syndrom hänge mit moderner Arbeitsabläufen zusammen, die zu permanentem „information overload“ geführt hätten. Die Schläfenlappen des menschlichen Gehirns würden permanent überfordert. „Niemals zuvor in der Geschichte wurde dem Gehirn die Verarbeitung so vieler Daten abverlangt“, sagt Edward Hallowell. Die Folge: Ablenkbarkeit, Ungeduld und innere Unruhe. Der Manager verliere an Kreativität; Irritation und Ungeduld führten zu falschen Entscheidungen, vor allem verliere er „das größere Bild“ aus dem Auge.

Wohl wahr. Zur Internet- und Technologieblase zu Beginn dieses Jahrzehnts wäre es wohl kaum gekommen, hätte nicht eine Mischung aus Technologiegläubigkeit, Gier und mangelndem Realitätssinn die Köpfe vieler Entscheidungsträger vernebelt. Umso erstaunlicher, dass aus den Fehlern der Vergangenheit nur selten die richtigen Lehren gezogen werden.

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