Die SPD auf verlorenem Posten?

Gegen Angela Merkel scheint kein sozialdemokratisches Kraut gewachsen, das noch vor 2017 wirksam werden könnte. Doch danach beginnt eine neue politische Zeit

Es ist inzwischen aus dem Gedächtnis verschwunden, dass die zweite Große Koalition, in die die SPD 2005 nach der Abwahl von Rot-Grün genauso unfreiwillig eintreten musste wie in die jetzige, zumindest bis zum Ausbruch der Finanzkrise 2007 ausgesprochen konfliktreich war. Danach geriet die SPD durch das Ypsilanti-Debakel in Hessen und die Demontage ihres Vorsitzenden Kurt Beck selbstverschuldet in eine Führungskrise, die sie jeglicher Chancen bei der anstehenden Bundestagswahl beraubte.

Systemverschiebung nach rechts

Heute scheint das Motto der Sozialdemokraten dagegen an beiden Fronten zu lauten: Bloß keinen Streit! Nimmt man die Umfragen als Gradmesser, geht es der Partei damit aber keineswegs besser. Obwohl die Regierungspolitik eine sozialdemokratische Handschrift trägt und mit der Rente ab 63 sowie dem Einstieg in den gesetzlichen Mindestlohn zentrale Wahlkampfversprechen realisiert wurden, kann die SPD den Abstand zur Union, der bei der Bundestagswahl 2013 bereits 15 Prozentpunkte betrug, nicht verringern. Das Ziel, 2017 den Wechsel zu schaffen und wieder den Bundeskanzler zu stellen, rückt so in weite Ferne.

Theoretisch gäbe es zwei Konstellationen, in denen die SPD dieses Ziel erreichen könnte: eine rot-rot-grüne „Linkskoalition“ oder eine Ampelkoalition zusammen mit FDP und Grünen. Das eine ist aus derzeitiger Sicht so unwahrscheinlich wie das andere. Denn einerseits steht bereits infrage, ob die beiden Dreierbündnisse überhaupt eine Mehrheit erreichen könnten. Und andererseits würden sie vermutlich ohnehin von mindestens einem der Beteiligten schon vorab als „politisch unmöglich“ ausgeschlossen werden.

Die fehlende Mehrheitsfähigkeit hat vor allem mit dem Aufstieg der AfD zu tun. Diese zieht nämlich nicht nur Wähler aus dem Lager von Union und FDP ab, sondern auch von SPD und Linkspartei –

mit der Folge, dass sich das elektorale Parteiensystem insgesamt nach rechts verschiebt. Innerhalb des bürgerlichen Lagers setzt die neue Konkurrenz wiederum den Liberalen stärker zu als der Union. Dass sich neben der Union zwei weitere Mitte-rechts-Parteien halten beziehungsweise etablieren können, scheint zweifelhaft; realistischer dürfte ein Verdrängungswettbewerb zwischen der FDP und den Rechtspopulisten sein. Die Chancen für die AfD stehen hier zumindest bei den kommenden Landtagswahlen recht gut, solange sich die Partei – was durchaus möglich ist – nicht zuvor durch interne Führungs- und Richtungsstreitigkeiten selbst „zerlegt“.

Kommt die FDP erneut ins Spiel?

Was die politische Möglichkeit der Bündnisse betrifft, ist die wechselseitige Annäherung von SPD, Grünen und Linkspartei bisher ausgeblieben, die sich viele nach der Bundestagswahl erhofft hatten. Daran ändert auch die rot-rot-grüne Regierungsbildung in Thüringen nur wenig. Wie die Ukraine-Krise deutlich gemacht hat, trennen beide Seiten besonders in der Außenpolitik tiefe Gräben. Ob die Linkspartei den Einfluss ihres fundamentalistischen Flügels bis 2017 soweit beschneiden kann, dass die Hindernisse für ein Zusammengehen beseitigt werden, ist fraglich. Die SPD könnte sich deshalb erneut gezwungen sehen, ein Zusammengehen schon vor der Wahl auszuschließen, obwohl sie eine solche Vorabfestlegung nach der Erfahrung der vergangenen Bundestagswahl gerade vermeiden wollte.

Etwas besser dürften die Chancen für eine Renaissance der Zusammenarbeit mit den Freien Demokraten stehen. Sigmar Gabriels Strategie, die SPD durch einen wirtschaftsfreundlichen Kurs stärker in der politischen Mitte zu positionieren, verringert nebenbei auch die Differenzen mit der FDP. Zudem müssten die Liberalen nach ihrer Leidensgeschichte in der gemeinsamen Regierung mit CDU und CSU selbst ein Interesse daran haben, sich koalitionspolitisch zu öffnen. Der Kalender der Landtagswahlen erscheint dafür durchaus günstig. So hätte beispielsweise Olaf Scholz, wenn die Hamburger SPD ihre jetzige absolute Mehrheit bei der Bürgerschaftswahl im Februar verliert, die Möglichkeit, eine Koalition mit der FDP (anstelle der Grünen) einzugehen. Und in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, wo 2016 und 2017 gewählt wird, könnte die FDP den dortigen rot-grünen Koalitionen erneut zur Mehrheit verhelfen, wenn sie nach einem Einzug in den Landtag zum Sprung über den Lagergraben bereit wäre. Genau das bleibt allerdings die Frage.

Die Rolle des koalitionspolitischen Züngleins kommt bei diesen Wahlen den Grünen zu. Als Scharnier zwischen den beiden Noch-Volksparteien wären sie in allen denkbaren Konstellationen vertreten. Entweder bilden sie eine Zweierkoalition mit der Union, oder sie sind Teil eines um die Linkspartei oder die FDP erweiterten Dreierbündnisses mit der SPD. Bescheidener sind dagegen die Optionen der Union: Wenn es für eine Koalition mit der FDP rechnerisch nicht reicht und eine Zusammenarbeit mit der AfD politisch nicht infrage kommt, verbleibt nur die Wahl zwischen den Grünen oder der SPD als Koalitionspartner. Nachdem sich Schwarz und Grün bereits nach der Bundestagswahl fast handelseinig geworden waren und in Hessen der erste Probe­lauf einer solchen Koalition in einem Flächenland offenbar gelingt, dürfte es für die Union naheliegen, schwarz-grüne Bündnisse auch in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen anzustreben. Geben die Grünen diesem Werben nach, wäre das zugleich ein Signal für den Bund.

Wer folgt in der CDU auf Merkel?

Für die SPD ist das natürlich ein wenig erbauliches Szenario. Ihr mutmaßlicher nächster Kanzlerkandidat Sigmar Gabriel mag sich damit trösten, dass die Partei angesichts der guten Wirtschaftslage und einer ungebrochenen Popularität der Bundeskanzlerin gegen die Union 2017 so oder so auf verlorenem Posten stehen dürfte. Ob Angela Merkel überhaupt erneut kandidiert, ist allerdings noch gar nicht sicher, und selbst dann würde sich irgendwann die Frage ihrer Nachfolge stellen. Insofern sollte der Blick über den Wahltag hinaus gerichtet werden. Kommt es 2017 tatsächlich zu Schwarz-Grün und tritt die Kanzlerin im Verlauf der Legislaturperiode von der politischen Bühne ab, könnten sich die Karten der SPD im Kampf um die Regierungsmacht wieder verbessern.

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