Die SPD als Kanzlerpartei

In der Politik muss man über lange Zeit hinweg das Richtige tun, damit die Wähler Vertrauen fassen. Nötig sind plausible Konzepte und ein klarer Kurs. Beherzigt die SPD diese Einsichten, hat sie keinerlei Grund, an ihrem Wiederaufstieg zu zweifeln

Wenn es in diesen Wochen und Tagen in der öffentlichen Diskussion an einem nicht mangelt, so an Ratschlägen für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands: Welchen Kurs wir einschlagen sollten, um auf Bundesebene künftig mehr Erfolg zu haben. An welche Wählerklientel sich unsere Politik wenden müsse, um in Umfragen besser abzuschneiden. Welche Themen die SPD „hochziehen“ solle, um die Meinungsführerschaft zu erringen. Viele dieser Ratschläge sind gut gemeint. Sie übersehen aber eine zentrale Wahrheit der Politik: Die Bürgerinnen und Bürger wählen nicht taktisch. Sie wollen wissen, woran sie mit uns sind und wofür wir stehen. Sie wollen das Gefühl haben, dass das, was eine Partei vorschlägt, innerer Überzeugung entspringt – und keinem Wahlkampfkalkül.

In dieser kleinen Einsicht liegt eine große Chance, denn die SPD hat einen klaren inneren Kompass – seit 153 Jahren. Das Konservative fürchtet den Fortschritt, ist von der Angst vor einer ungewissen Zukunft geprägt und klammert sich an Bekanntes. Die SPD hingegen ist eine optimistische Partei. Wir begreifen die Zukunft als Chance. Die Ideen der Sozialdemokratie waren von Anfang an mit der Vorstellung verbunden, dass demokratische Politik in der Lage ist, die Verhältnisse zu verbessern und eine positive Perspektive für die Zukunft zu entwickeln. Für jeden Einzelnen und für uns alle gemeinsam.

„Mit uns zieht die neue Zeit“, heißt es in unseren Liedern. Die Sozialdemokratische Partei möchte diese neue Zeit mit kluger Politik gestalten. Wir machen Politik für jene, wie der frühere amerikanische Präsident Bill Clinton mal treffend formuliert hat, die tüchtig sind, hart arbeiten und sich an die Regeln halten. Genauso im Übrigen, wie wir für diejenigen Politik machen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Wir denken darüber nach, wie jeder klarkommen kann. Die SPD sorgt dafür, dass sich die Wirtschaft gut entwickelt, weil das Arbeitsplätze sichert und neue schafft, und gleichzeitig stärkt sie den sozialen Zusammenhalt. Sie will, dass es gerecht zugeht in unserem Land. Die SPD fühlt sich verantwortlich dafür, mit einer klugen Bildungspolitik genügend Leute auszubilden, die ein Unternehmen gründen, ein Handwerk erlernen oder ein Studium aufnehmen, um auf dem Arbeitsmarkt ein ordentliches Einkommen zu erzielen.

Die SPD ist Volkspartei. Mit dem Godesberger Programm hat sie vor bald 60 Jahren ihren Anspruch als Volkspartei klar formuliert. Einen Anspruch, hinter den wir niemals zurückfallen werden. Volkspartei zu sein ist keine Frage von Umfrageergebnissen, sondern von Haltung. Als Volkspartei haben wir das große Ganze im Blick und vertreten Positionen, die mehrheitsfähig sind. Wir bündeln die unterschiedlichen Interessen, sorgen für einen klugen Ausgleich und integrieren verschiedene Milieus. Wir stehen für eine vernünftige Politik, die gesellschaftlichen Zusammenhalt und Liberalität miteinander verbindet.

Liberalität und Zusammenhalt

Was simpel klingt, ist eine historische Leistung: Denn in vielen Ländern Europas haben die Bürgerinnen und Bürger nur noch die Wahl zwischen einer rechtspopulistischen Partei mit sozialer Fassade auf der einen Seite und wirtschaftsliberalen Bewegungen auf der anderen Seite, die sich keinerlei Gedanken um den sozialen Zusammenhalt machen. In Deutschland gibt es mit der SPD eine einzige Partei, die Liberalität und gesellschaftlichen Zusammenhalt verbindet. Darauf können wir stolz sein.

Wir sind eine von nur zwei Parteien in Deutschland, denen die Wählerinnen und Wähler überhaupt zutrauen, das Land zu führen und den Kanzler oder die Kanzlerin zu stellen. In der Politik muss man über lange Zeiten hinweg das Richtige tun, damit die Wähler Vertrauen fassen. Deshalb sollten wir cool bleiben. Mit unserer Politik in der Großen Koalition, in der wir die Akzente gesetzt und unsere zentralen Programmpunkte wie den Mindestlohn, die Absicherung von Beschäftigten mit Leiharbeits- und Werkverträgen, die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren, die Frauenquote und die Mietpreisbremse durchgesetzt haben, haben wir dafür eine gute Grundlage gelegt. Und auch in der Mehrzahl der Länder und in sehr vielen Städten und Gemeinden regieren wir mit guter Politik. Die SPD hat wahrlich keinerlei Anlass zu Kleinmut.

Wahlen gewinnt man aber nicht mit dem Verweis auf Verdienste der Vergangenheit, sondern mit überzeugenden Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft. Der Maßstab sozialdemokratischer Politik dabei ist immer: Wie kommt jemand klar, der alles richtig macht? Es geht um Gerechtigkeitsfragen, um Fragen der Löhne und der Absicherung im Alter. Die Erwerbsbiografien verändern sich und unsere Politik muss auf diese veränderten Bedingungen kluge Antworten finden.

Im Augenblick stehen die westlichen Industrieländer vor einer strategischen Herausforderung, die viele Regierungen noch gar nicht recht begriffen haben. Die Wachstumsraten aller klassischen Industrieländer, ob in Westeuropa oder Amerika, in Asien oder Australien, sind seit den achtziger Jahren sehr gering oder stagnieren. Die Einkommen der Mittelschichten in diesen Gesellschaften wachsen ebenfalls nicht mehr. Und für viele, die wenig verdienen, sind die realen Einkünfte sogar zurückgegangen. Das klassische Lebensmotiv lautete: „Sei tüchtig, dann geht es deinen Kindern einmal besser.“ Doch dieses Versprechen erfüllt sich für eine wachsende Anzahl von Menschen in vielen Staaten längst nicht mehr ohne weiteres.

Selbstverständlich haben Beobachter für jedes einzelne dieser Länder eine eigene Erklärung für die jeweilige der Wachstumsschwäche parat. Weil sich das Phänomen aber überall gleichzeitig und in ganz unterschiedlichen politischen Konstellationen vollzieht, spricht viel dafür, dass die anhaltende Schwäche der Industrieländer eine strukturelle Ursache hat. Manche Ökonomen wie der Amerikaner Robert Gordon sagen voraus, dass diese Schwäche noch länger anhalten wird; selbst die Digitalisierung und die damit verbundenen Innovationen würden daran nicht wirklich etwas ändern. Die SPD als Partei, die sich für sozialen Zusammenhalt und eine gute Zukunft von allen in der Gesellschaft einsetzt, ist aufgerufen, auf diese neue Herausforderung eine passende Antwort zu finden.

Mitte oder Unten? Der SPD muss es um beide gehen

Wichtig ist dabei, glaubwürdig zu bleiben. Die Politik sollte nicht mehr versprechen, als sie halten kann. Die Wählerinnen und Wähler haben ein feines Gespür und wenig Verständnis dafür, wenn ihnen vor einer Wahl blumig etwas versprochen wird, was hinterher nicht einzulösen ist. Und kein noch so kernig formulierter politischer Wille kommt an den Gesetzmäßigkeiten der Ökonomie vorbei. Markige Forderungen werden früher oder später von der Wirklichkeit überführt und gefährden dann das Vertrauen in jene, die sie aufgestellt haben.

Für das Vertrauen in die Sozialdemokratische Partei ist es zentral, Konzepte zu präsentieren, die glaubwürdig und plausibel sind. Darauf sollten wir unsere ganze Kraft richten. Wir müssen uns gleichermaßen Gedanken machen über die Zukunftsperspektiven der Mittelschichten und der unteren Lohngruppen. Unser Ziel sollte es sein, beide zu entlasten. Zum Beispiel durch einen Wohnungsbau, der bezahlbar bleibt für ein Durchschnittseinkommen – und das ist eben doch nicht so hoch, wie sich einige das vorstellen. Es muss möglich bleiben, das Leben mit Kindern gut zu meistern.

In Hamburg haben wir deshalb nach der Regierungsübernahme drei zentrale Entscheidungen getroffen: den massiven Ausbau von Krippen und Kindergärten, die Abschaffung der Kitagebühren sowie ein flächendeckendes und kostenloses Angebot von Ganztagsbetreuung in allen Grundschulen. Zugleich haben wir, wie alle anderen SPD-Regierungen in den Ländern auch, die Studiengebühren wieder abgeschafft. Diese Entlastungen wirken sich gleich dreifach aus: finanziell für die betroffenen Eltern, organisatorisch durch eine qualitativ hochwertige und verlässliche Kinderbetreuung. Und sozial, weil wir die Durchlässigkeit der Gesellschaft immer im Blick behalten und gute Bildung dafür entscheidend ist. In einer Gesellschaft, die so sehr in Bewegung ist, müssen junge Menschen die Gelegenheit bekommen, ihr Talent zu nutzen, um zu studieren oder eine ordentliche Berufsausbildung zu machen. Uns ist egal, woher jemand kommt, wichtig ist, wohin er oder sie will, und dabei wollen wir alle unterstützen.

Und natürlich spielt die Arbeitswelt eine zentrale Rolle im Programm der Sozialdemokratischen Partei. Wir wollen sichere Arbeitsplätze, die gut bezahlt sind. Wir stehen zur Teilhabe der Beschäftigten. Die Mitbestimmung im Betrieb und im Unternehmen ist für uns eine demokratische Notwendigkeit. Dabei nehmen wir immer auch die unteren Lohngruppen in den Blick: Mit der Gesetzgebung zu branchenbezogenen Mindestlöhnen und einem allgemeinen flächendeckenden Mindestlohn haben wir einen Anfang gemacht.

Wir gewinnen neues Vertrauen, wenn wir über lange Zeit das Richtige tun, mit überzeugenden Konzepten und einem klaren Kurs. Wenn man uns zutraut, dass wir mit den Herausforderungen, die sich uns stellen, gut umgehen. Und das gilt dann für alle Fragen der Politik. Egal, ob es die innere oder die äußere Sicherheit ist, ob es die Europapolitik betrifft, die Haushaltspolitik, die Währungspolitik, die Schuldenfrage oder die Aufnahme von Flüchtlingen: Wenn die Bürgerinnen und Bürger einen Sozialdemokraten oder eine Sozialdemokratin im Kanzleramt sehen wollen, kann das in Umfragen rasch zusätzlich zehn Prozentpunkte bringen. Zehn Prozentpunkte beträgt im Augenblick der Abstand zwischen uns und der Union. Das ist keine schlechte Ausgangslage für die nächste Bundestagswahl.

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