Die Schachtel mit dem Blubb!

Sozialdemokratische Politik darf sich gegenüber den Jungen nicht billig machen, aber sie muss anders werden

Rebellieren? Gegen wen oder was?" Protest war für sie nie ein Thema, bekennt Jasmin Gerat. "Vielleicht mussten sich früher Jugendliche auflehnen. Uns stehen so viele Möglichkeiten offen, nur, für welchen Weg sollen wir uns entscheiden?" Jasmin weiß, wie ihre Altersgruppe denkt: Als Liederansagerin bei Bravo-TV und MTV war sie Zentralorgan der jungdeutschen Spaßgemeinde. Und die beherrscht alle neuen Videospiele, mit den Problemen der realen Welt aber will die neue Generation möglichst wenig zu tun haben.

Jede Zeit braucht ihre eigenen Antworten, gab Willy Brandt seiner SPD einst mit auf den Weg. Doch welche Antworten gibt sich eine Generation, die kaum noch Fragen stellt? Immer mehr Jugendliche stehen dem Treiben von Parteien, demokratischen Wahlen und dem Staat insgesamt mit Distanz gegenüber. Staat und Gesellschaft erscheinen unübersichtlich, die Programme der Parteien ohne Unterschied. Politische Beteiligung, Engagement für Interessen und Ideen: Die Ideale der Demokratie sind leider out.

Nun gehört es zum Schicksal jeder Jugendgeneration, dass sie von den Älteren die Note "mangelhaft" erhält und pauschal der Demokratie für unwürdig befunden wird. So erging es den 68ern, und ebenso hielten es diese mit ihren eigenen Kindern, indem sie das Credo ihrer Jugendjahre zur zeitlosen Wahrheit politischen Denkens erhöhten. Erst jetzt, kurz vor der Pensionierung, wird ihnen klar, dass nicht Kritikfähigkeit, sondern Orientierungsfähigkeit zur Mangelware, nicht Autoritätshörigkeit, sondern das Fehlen von Autorität, Werten und festen Strukturen heute zum Problem geworden sind. Die aktuelle Jugendgeneration ist umgeben von Freiheit, aber sie fühlt sich im Nichts.

Schulen, Medien und Parteien schaffen es offenbar nicht, ausreichend Verständnis für den eigenen Staat, seine Strukturen und den Sinn des politischen Streits um die bessere Idee zu wecken. Das Interesse der Jüngeren ist eher praktisch orientiert: Ausbildung, Beruf und Partnerschaft, soziale Sicherheit. Die Probleme sind heute anders als vor 30 Jahren. Und unter den heutigen Jobaussichten, hätten wahrscheinlich auch die 68er die Frage der "Berufsverbote" etwas anders akzentuiert.

Was vordergründig wie ein Interessenwandel aussieht, entpuppt sich jedoch bei näherer Betrachtung als Entwicklung von mittlerer Dramatik, wenn man diversen Untersuchungen über die politischen Einstellungen Jugendlicher folgt. "Der Demokratie droht eine ganze Generation abhanden zu kommen", titelte die zurückhaltende FAZ über das Ergebnis einer Studie aus Berlin, nach der die Ablehnung von demokratischen Parteien und deren Programmen nur noch von der Geringschätzung der Politiker insgesamt übertroffen wird. Auch außerhalb des Großstadtmilieus sind die Befunde kaum erfreulicher.

Es tröstet wenig, dass die SPD mit ihrer sinkenden Zustimmung bei Jüngeren zumindest voll im Trend liegt. 25 Prozentpunkte verlor die Brandenburger SPD bei den unter 30-Jährigen, 13 Prozentpunkte im Saarland. In Thüringen stimmten die Erstwähler zu 48 Prozent für die CDU, zu 15 Prozent für die SPD, in Sachsen waren es gar nur 7 Prozent. Auch bei den Kommunalwahlen in NRW zeigte sich: Jung und rot, das war einmal. Lafontaines wohlmeinender Versuch mit ein paar Takten Technotanz auf dem SPD-Jugendparteitag die jungen Massen in die Arme der Partei zu locken, hat offenbar wenig bewirkt. Das Erscheinungsbild des real existierenden Sozialdemokratismus hat mit dem Lebensgefühl eines 26-Jährigen so wenig gemein, wie ein Seniorenkränzchen mit VIVA.

Doch während es den Anbietern der käuflichen Artikel mit vertretbarem Aufwand gelingt, ihre Ladenhüter in neuem jugendlichen Glanz erstrahlen zu lassen, tun sich die Parteiverbände eher schwer mit der Modernisierung. Dass ein solcher Imagewechsel prinzipiell möglich ist, hat die Wahlkampagne der SPD bei der letzten Bundestagswahl gezeigt. Mit kluger Strategie ist es gelungen, Modernität, soziale Gerechtigkeit und Dynamik in Bilder und Begriffe zu fassen. So erfolgreich der Wahlkampf der SPD war, das neue Marketing auch im Regierungsalltag durchzuhalten, ist eine ungleich schwerere Aufgabe. Die abgesenkte, aber höher als in den vergangenen Jahren ausfallende Rentensteigerung ist in der Tat etwas sperriger zu vermitteln als die Anziehungskraft von Rahmspinat, der sich seit Verona Feldbuschs Unterhaltung mit dem Blubb wieder großer Beliebtheit erfreut.

Vor allem die SPD muss sich weiter konsequent modernisieren, programmatisch und im Stil. Wenn die deutsche Demokratie auch in Zukunft von Parteien getragen werden soll, die mehr als bloße Wahlkampfmaschinen nach amerikanischem Vorbild sind, dann müssen die Forderungen und Positionen, aber auch die Ortsvereine und Bezirksverbände vor allem junge Leute wieder für Politik begeistern. Wenn sich Jungwähler heute bei der CDU offenbar besser aufgehoben fühlen, zeigt sich darin die veränderte Einstellung zu grundlegenden Werten. Leistung, Elite, Konkurrenz - diese Begriffe müssen neu bestimmt werden. Subsidiarität, Eigenverantwortung und ein modernes Verständnis von Solidarität - die veränderten Einstellungen der jüngeren Generation müssen sich niederschlagen im neuen Grundsatzprogramm der SPD.

Es mag trösten, dass der Mangel an jugendlicher Begeisterung nicht allein das Problem der Mutter aller Parteien ist. Auch bei den Grünen bröselt es. Nur Junge Union, Junge Liberale und PDS schaffen Zuwachsraten, ein Umstand, den die Jusos gelegentlich mal zur Kenntnis nehmen könnten.

Schuld sind allerdings andere: Weil sich das Partei-Establishment lange Zeit mit Programm und Habitus der eigenen Jugendjahre durchschlagen konnte, hat die SPD den Anschluss an die späteren Jugendgeneration verpasst. Das beginnt sich erst jetzt zu ändern, seit die letzte Bundestagswahl zahlreiche neue Gesichter in die Parlamente und vor die Kameras und Mikrofone gebracht hat. Dass sie an Engagement, Sachkompetenz und Verständlichkeit die Altvorderen zuweilen in die Tasche stecken, mag ihrem Aufstieg nicht immer förderlich sein. Der SPD und der Politik insgesamt tut es allerdings schon mal gut, wenn Rentenprobleme auch von 32-jährigen erklärt und Sparzwänge von 28-jährigen gerechtfertigt werden.

Dennoch fehlt es noch immer an Normalität im Verhältnis zur Jugend. So wie seinerzeit die Jusos politische Veränderungen der Gesellschaft stets als "Projekt" bezeichneten, als wären alle Deutschen lediglich Bestandteil einer großen Versuchsanordnung, so reden Parteifunktionäre von der Jugend immer noch als "Zielgruppe", für die man gefällige Botschaften entwickeln muss. Es ist genau diese Künstlichkeit im Umgang mit der Jugend, die auffällt und verstimmt.

Fordern und fördern - das muss die Linie für eine neue Annäherung sein. Die Jüngeren müssen von ihren bequemen Zuschauerplätzen heruntergeholt und eingebunden werden. Die Meinung, dass Politik ein Insidergeschäft von 54-jährigen ist, mit dem man sich besser nicht die Finger schmutzig macht, darf nicht weiter zur Lebensmaxime jeder neuen Generation werden. Dazu wäre es hilfreich, wenn in Schulen und Universitäten mit all den romantischen Vorstellungen über Politik und demokratische Streitkultur aufgeräumt würde. Zum Beispiel mit der idiotischen Idee, dass es keine unterlegenen Minderheiten gibt, wenn nur alle lange genug miteinander reden und sich wirklich zuhören. Oder mit dem Ansinnen, jede Demonstration müsse umgehend zu einer Gesetzesänderung führen, jeweils so, wie die Sprechchöre es draußen gerade verlangen. Das gleiche gilt für die Grundprinzipien unserer Wirtschaftsordnung: Wenn Abiturienten zwar Sport als Leistungskurs wählen, nicht aber den Sinn des Unternehmergewinns in der Marktwirtschaft erklären können, wenn in Uni-Seminaren eine hohe Verzinsung der privaten Spareinlagen gefordert, aber hohe Unternehmergewinne prinzipiell für unmoralisch gehalten werden, dann läuft irgend etwas gründlich schief.

Während bei der Vermittlung der Werte, Prinzipien und Verfahren eine falsch verstandene Toleranz angelegt wird, ist man in anderen Bereichen weit weniger gleichgültig: Wenn die Jugendmannschaft des Fußballvereins beklagt, das Feld sei zu groß, die Pause zu kurz und überhaupt seien zu wenig Bälle im Spiel, lockert die Vereinsversammlung dann sofort die Regeln? Nein. Da wird erklärt, dass nunmal so gespielt wird, und dass, wer hier mitspielen will, sich daran zu halten habe. Offenbar mit Erfolg.

Was im Sport gilt, muss auch in der Politik zur Normalität werden: Regeln erklären, auch mitspielen lassen und Leistung belohnen. Eben fordern und fördern: Nur wenn die Parteien den Jüngeren echte Chancen einräumen, ist die Zumutung, demokratische Werte und Verfahrensweisen begreifen zu müssen, erträglich und fruchtbar.

Der Rest auf dem Weg zur Normalität ist kaum mehr als eine Stilfrage. In der SPD müssen 24-jährige ebenso über ihre Karriereplanung reden können wie über ihre Gerechtigkeitsvorstellungen. In der SPD darf MAX nicht mit Marx und Dr. Motte nicht mit einem Insektenpulver verwechselt werden. In der SPD muss eine 27-jährige einen 50-jährigen im Amte beerben und eine Rentnerin einem Studenten mal ordentlich die Meinung sagen können. Erst wenn das erreicht ist, haben sich die Beziehungen zwischen Jugend und Partei wieder normalisiert.

"Das Leben ist anderswo", kritzelte so mancher Besucher an die Wände der Parlamentstoiletten und Parteihauswände. Recht hatten sie. Die beginnende Modernisierung muss Programm, Arbeitsweise und Erscheinungsbild der SPD gerade für junge Leute wieder attraktiv machen. Möglich ist das. Bei der Schachtel mit dem "Blubb" hat es schon geklappt.

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