Die Parteien verdorren von innen her

Thomas Leif beschreibt die Malaise unseres politischen Systems

Nach der Bundestagswahl 2009 fand im Bundestag ein bemerkenswerter Generationenwechsel statt. Die letzten Abgeordneten der Achtundsechziger-Ära setzten sich zur Ruhe und machten Platz für Mandatsträger der jüngeren Generation. Doch kaum im Bundestag angekommen, wurden die Jung-Politiker öffentlich dafür gescholten, nur an der eigenen Karriere interessiert zu sein und Politik als „Business“ frei von Grundwerten zu verstehen. Dieser vermeintlich angepasste Politiker-Typus verkörpert die „Nachwuchsfalle“ der deutschen Parteien – zu diesem Befund kommt Thomas Leif in seinem neuen Buch, das die Parteien und das politische Personal auf den Prüfstand stellt. Der Journalist lässt führende Experten und Politiker zu Wort kommen, prüft „Köpfe von morgen“, stellt Think Thanks und Berater der Politikbranche vor und berichtet über Organisationsreformen und interne Strategiepapiere der Parteien.

Für den promovierten Politikwissenschaftler Leif geht das Schrumpfen und Vergreisen der Parteien sowie die Profillosigkeit vieler Politiker auf den Verlust ihrer gesellschaftlichen Wurzeln zurück. Die Folge sei eine stetig sinkende Wahlbeteiligung verbunden mit einer grassierenden Politikverdrossenheit. Der Autor warnt vor einer essentiellen Gefährdung der demokratischen Grundpfeiler. Dabei sei das Problem der Parteien hausgemacht: Sie seien einfach nicht mehr attraktiv. Vor allem junge Menschen fänden es „uncool“, in einer Partei mitzuarbeiten und engagierten sich eher projektbezogen in den zahlreichen Nichtregierungsorganisationen. Allerdings stellt die diagnostizierte Krise, wonach die Parteien ermatten, leidenschaftslos und von den Bürgern abgeschottet sind, alles andere als ein neues Krankheitsbild dar. In der Parteien- und politischen Partizipationsforschung wird dies seit Jahren beschrieben.

Leif analysiert die Angemessenheit der langjährigen Kärrnerarbeit der innerparteilichen Ochsentour in Zeiten beruflicher Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen, untersucht die Instrumente der professionalisierten Trainee- und Mentoringprogramme der Parteien für die Schulung des politischen Nachwuchses und diskutiert die Erfolgsaussichten von Quer- und Seiteneinsteigern. Seine zentrale These: Der Zugang zu politischen Ämtern erweise sich für die wenigen Jungen häufig als steiniger Weg, da die mittlerweile gealterten Machteliten über das Vorankommen des Einzelnen entscheiden. Dabei versprächen weniger Leistung, Fleiß und Eignung den Aufstieg, als vielmehr der so genannte Stallgeruch in Form von Loyalität, Ortsverbundenheit sowie das Ansammeln von Meriten einer zeitintensiven Parteiarbeit. Jenen Jungpolitikern, die die Karriereleiter in die Beletage der Parteien hinaufsteigen, attestiert Leif Opportunismus, mangelnde Sachkenntnis und fehlendes Esprit. Die stromlinienförmigen „Karrieristen“ ließen sich durch eine pragmatische Geschäftsführermentalität leiten und vermieden Konflikte, um der eigenen Karriere nicht zu schaden. Man stimmt dem Autor zu: Die Parteien täten gut daran, anstatt des konsensorientierten Mainstreams mehr Raum für eine gesunde Streitkultur zuzulassen.

Neuer Massenzustrom? Ein Wunschgedanke!

Der Chefreporter des SWR beschreibt in seinem Buch ein Symptom, dessen Ursachen schon länger bestehen. Leider geht er nur am Rande auf die Vormachtstellung der mittlerweile in die Jahre gekommenen Achtundsechziger ein. Auch wenn die Angehörigen dieser Generation langsam ihre Mandate an Jüngere abgeben, dominieren sie weiter die (lokalen) Machtstrukturen. Diese in jungen Jahren streitlustige, zur Provokation bereite Generation strömte in die damals ebenfalls veralteten Parteien und formte sie nach ihrem Belieben. Während die Achtundsechziger noch ein konfliktträchtiges Verhältnis zu ihrer Elterngeneration hatten, scheint die Generationenbeziehung zwischen ihnen und ihren Kindern und Enkeln vergleichsweise harmonisch zu sein. Warum sollten also die Jungen die Parteien revolutionieren und damit ihre Patronage gefährden? Und überhaupt: Um die Parteien wirklich neu zu beleben und eine Renaissance des „Primats der Politik“ einzuläuten wäre heute wohl ein ähnlicher Zustrom von jungen Menschen notwendig, allein um der quantitativen Hegemonie der Älteren entgegenzuwirken. Dies ist gegenwärtig ein Wunschgedanke.

Die eigentlichen Strippenzieher und Machtlenker, so Leif, sind informelle Seilschaften und Cliquen. Trotz aller Warnhinweise bestehe an Organisationsreformen kein ernsthaftes Interesse. Parteireformen scheiterten nicht zuletzt deshalb, weil kein Vorsitzender oder Spitzenpolitiker diese je zur Chefsache mache. Zielführende Veränderungen bedeuteten eben auch die Neuverteilung der Macht. Auch die Nähe von Politikberatern und Lobbyisten zu den Parteistrategen beäugt Leif kritisch, weitere Entfremdung zwischen Partei und Gesellschaft sei die logische Konsequenz: „Die Parteien verlieren zunehmend ihre Problemsensorik, ihre Orientierungsfunktion für die Bürger, ihren inneren Kompass.“ Aber findet die Entfremdung nicht schon viel früher in den eigenen Reihen zwischen Parteibasis und Parteiführung statt?

Die Vergreisung der Platzhirsche


Sodann formuliert Thomas Leif 17 Therapievorschläge für den kranken Patienten. Die Öffnung der Parteien könnte etwa mittels stärkerer Beteiligung der Bürger in Form eines projektbezogenen Engagements für Berufstätige erfolgen. Auch das Internet könnte dem verfassungsrechtlichen Auftrag der Parteien zur politischen Meinungsbildung eine neue Grundlage liefern. Diese Ideen sind alles andere als neu und werden in den Parteien bereits ambivalent diskutiert. Um der Vergreisung entgegenzuwirken und die Machtkartelle der alten Platzhirsche in den Führungsetagen der Parteien aufzubrechen, plädiert der Autor für eine Jugendquote. Leider diskutiert er diesen interessanten Vorschlag nur kurz. Ähnlich wie bei der Frauenquote sollen den Jungen qua Quorum Stimmen in den Gremien zugesprochen werden. Tatsächlich würde ein solch altersspezifischer Proporz den Politikern der jungen Generation mehr Stimmengewicht verleihen als ihr aufgrund der realen Altersstruktur der Partei zustünde. Jedoch ist davon auszugehen, das die „Quoten-Jungen“ ein ähnliches Schicksal ereilt wie die „Quoten-Frauen“: Ihre Kompetenz wird an einem einzigen Merkmal festgemacht, Geschlecht oder Alter. Dabei werden nach wie vor jene Politiker als kernige, authentische Persönlichkeiten bewundert, die während ihrer innerparteilichen Sozialisation an Gitter gerüttelt, den Älteren die Stirn geboten und sich dabei Kanten und Profil geschliffen haben.

Thomas Leif liefert eine Fülle an Anschauungsmaterial für die anhaltende innere Austrocknung der deutschen Parteien. Die Stärke des Bandes ist seine Perspektivenvielfalt. Die Kehrseite sind einige Redundanzen. Auch ist der Aufbau des Buches durch die vielen Kurzkapitel verwirrend. Für den interessierten Bürger, der sich bisher nicht tiefgreifender mit den Machtstrukturen in den Parteien auseinandergesetzt hat, bietet das Buch erkenntnisreiche Einblicke. Aus politikwissenschaftlicher Sicht wünschte man sich an der einen oder anderen Stelle ein wenig mehr Analyse und Interpretation. Gerade weil das Buch von einem ausgewiesenen Kenner des Berliner Politikbetriebes geschrieben wurde und damit eine breite Resonanz erhält, könnte es ein Anstoß sein für eine ernsthafte Debatte um die Vitalisierung der Parteien. 


Thomas Leif, Angepasst und ausgebrannt: Die Parteien in der Nachwuchsfalle - Warum Deutschland der Stillstand droht, München: C. Bertelsmann 2009, 494 Seiten, 22,95 Euro

zurück zur Ausgabe