Die Macht der jungen Frauen

Wer wissen will, wie es weitergeht in Deutschland nach dem 22. September, sollte sich bei jungen Frauen nach deren Wahlabsichten erkundigen. Ihre politischen Präferenzen geben oft genug Auskunft über gesellschaftliche Basistrends

Eigentlich lässt sich die Sache ganz einfach auf den Punkt bringen: Am politischen Verhalten junger Frauen lässt sich vortrefflich ablesen, welche politische Chance eine Partei oder ein politischer Trend hat, sich gesellschaftlich durchzusetzen. Denn es sind die jungen Frauen, die einer Partei oder einem Trend zum Durchbruch verhelfen und dann politische Kontinuität garantieren. Zugegeben, die These ist etwas zugespitzt. Aber sie lässt sich belegen, und zwar in ihren positiven wie auch in ihren negativen Aspekten.

Fangen wir mit dem Negativen an, mit dem Rechtsextremismus: Am Verhältnis von jungen Frauen zur rechtsextremistischen Szene oder zu rechtspopulistischen Parteien zeigt sich, wie weit diese gesellschaftlich in die Mitte rücken und auf Akzeptanz stoßen. Seit nunmehr zehn Jahren beobachten Journalistinnen und Sozialwissenschaftlerinnen, dass Mädchen und junge Frauen zunehmend in rechtsextremistischen Kontexten auftauchen, eigene Gruppen gründen, selbst bei Gewalttaten nicht mehr nur die Rolle von Zuschauerinnen einnehmen, sondern sich aktiv beteiligen. Sie sind nicht mehr nur die "Bräute" oder die unterstützenden "Ehefrauen" von männlichen Skinheads oder DVU-Funktionären. Sie beschränken sich nicht mehr darauf, eine Partnerin zu spielen, die ihrem Freund nach "gekämpften Schlachten" die Wunden verbindet oder die das Parteibanner näht. Zunehmend verstehen sich Mädchen und junge Frauen in der Szene als "Reenies", also Mitkämpferinnen oder unabhängige Kämpferinnen.

Mittlerweile sind auch einige Landesämter für Verfassungsschutz - etwa in Niedersachsen und Bayern - auf diese Veränderungen in der Szene gestoßen. Sie haben nun Zahlen vorgelegt, die Einschätzungen aus Medien und Wissenschaft stützen: Bei Kameradschaftstreffen, die eigentlich als besonders männerbündisch gelten, werden immer häufiger Frauen gesichtet, die bereits einen Anteil von gut 20 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer insgesamt ausmachen. In der rechts orientierten Skinheadszene liegt der Anteil der aktiven Frauen mittlerweile bei 11 bis 16 Prozent. Wurde Anfang der neunziger Jahre noch gesagt, nur 3 bis 5 Prozent der wegen rechtsextremistisch motivierten Straftaten Beschuldigten seien Frauen, so bewegt sich diese Quote inzwischen auf die 10-Prozent-Marke zu. Staatsanwaltschaften meinen sogar, dass ungefähr 30 bis 40 Prozent der rechtsextremistisch und fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten ohne die Beteiligung oder Anfeuerung von Frauen nicht passieren würden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Justiz und Verfassungsschutz den weiblichen Teil der Szene überhaupt erst seit kurzem zur Kenntnis nehmen.

Ist die CSU ein Männerproblem?

Bei rechtsextremistischen Parteien spielen Frauen in Führungspositionen nur eine geringe Rolle, obwohl es hier sehr aktive Funktionärinnen gibt. Unter den Mitgliedern der "Republikaner", der NPD oder DVU sind sie jedoch mit 13 bis 14 Prozent vertreten - so jedenfalls in Bayern. Das könnte nach allen Beobachtungen aber auch bundesweit gelten. Oft wird der Einwand erhoben, dieser weibliche Mitgliederanteil sei doch recht gering, so dass der Rechtsextremismus weiterhin als ein Männerproblem gedeutet werden solle. Doch wollte man so argumentieren, müsste man zugleich sagen, auch die etablierten Parteien seien ein Männerproblem. Besonders würde das dann für die CSU gelten: Bei ihr machen Frauen nicht einmal 17 Prozent der Mitgliedschaft aus.

Noch interessanter als Mitgliederanteile sind die Wahlergebnisse rechtsextremistischer Parteien. Hier gilt die Faustregel: Ein Drittel der Gesamtwählerschaft der "Republikaner", der DVU und der NPD sind Frauen - und dies, obwohl sich das rechtsextremistische Einstellungspotential in der Wahlbevölkerung ungefähr im Verhältnis fifty-fifty zwischen den Geschlechtern verteilt. Bei Wahlen sind es im Übrigen vorrangig junge Wählerinnen, die rechtsextremistischen Parteien ihre Stimme versagen, die älteren sind diesen schon eher zugetan.

Was lernen wir daraus? Noch sind rechtsextremistische Gruppierungen und Parteien nicht in der gesellschaftlichen Normalität angelangt. Doch immerhin: Das Verhalten von jungen Frauen in der Szene zeigt, dass ein Prozess in Gang gekommen ist, der dem Rechtsextremismus schon etwas mehr "Normalität" verleiht als in der Vergangenheit.

Junge Frauen wählen eher links

Im rechtspopulistischen Bereich ist dieser Prozess bereits weiter fortgeschritten, was sich plastisch am Beispiel der "Schill-Partei" zeigt. Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 23. September 2001, die der "Schill-Partei" insgesamt fast 20 Prozent der Stimmen einbrachte, bestand die Wählerschaft der Partei nämlich zu über 45 Prozent aus Frauen. Bei etablierten Parteien gängig ist eine relativ ausgeglichene Verteilung von Wählerinnen und Wählern - die "Schill-Partei" kommt dem gefährlich nahe. Zugegeben: Besonders favorisiert wurde diese rechtspopulistische Partei von älteren Jahrgängen und weniger von jungen; jedoch gilt dies für beide Geschlechter gleichermaßen.

Inzwischen hat der Bundestagswahlkampf begonnen. Wie er ausgehen wird, wissen wir nicht. Oder doch? Zwar ginge es zu weit zu behaupten, an den politischen Präferenzen junger Frauen ließen sich bereits heute die Wahlergebnisse des Septembers ablesen. Dennoch gibt es einige bedenkenswerte Indizien, die für den Wahlkampf und seinen Ausgang wichtig sind. Und damit wären wir bei der positiven Seite des Themas.

Zunächst einmal können drei grundsätzliche Punkte festgehalten werden: Erstens wählen junge Frauen tendenziell links, ältere Generationen eher rechts. Das gilt für die jüngeren Jahrgänge seit Anfang der siebziger Jahre. Frauen in mittleren oder höherem Alter hingegen favorisieren seit jeher eher die Unionsparteien. Bei den Männern ist das schon weniger klar:
Mal wählen die Jüngeren eher links als die Älteren, mal ist es umgekehrt. Das Pendel schlägt bei ihnen zwar nicht von Wahl zu Wahl neu aus, in längeren zeitlichen Wellen aber schon.

Wer zweitens glaubt, das Links-Rechts-Denken spiele in der Politik keine Rolle mehr, der täuscht sich heftig. Denn zum einen werden Parteien von Wählerinnen und Wählern weiterhin nach dem Links-Rechts-Schema politisch eingruppiert, zum anderen ordnen sich Befragte in Einstellungsuntersuchungen auch selbst noch immer mehrheitlich auf einem Kontinuum links oder rechts von der Mitte ein. So auch Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 16 und 29 Jahren im Jugendsurvey des Deutschen Jugendinstituts, das 2000 veröffentlicht wurde. Danach stufen sich mehr junge Frauen links statt rechts orientiert ein, und sie tun dies im Vergleich zu jungen Männern häufiger. Anders formuliert: Mehr Frauen als Männer sehen sich als politisch links oder eher links stehend. Das ist in Westdeutschland deutlicher zu erkennen als in Ostdeutschland, gilt aber in der Grundstruktur für beide Teile der Republik.

Der letzte Kick kommt von den Frauen

Drittens sind es in Deutschland die jungen Frauen, die den letzten Kick für die politischen Wechsel geben. So war es beim Wechsel von der Adenauer-Ära über die große Koalition zur Wahl der sozial-liberalen Regierung 1969, so war es auch beim Wechsel von der sozial-liberalen zur konservativ-liberalen Koalition 1983, und so war es auch beim ersten kompletten Regierungswechsel, der durch eine Bundestagswahl eingeleitet wurde und 1998 zur rot-grünen Koalition führte. Die jungen Wählerinnen sind dabei nicht mit wehenden Fahnen von einem politischen Lager zum anderen übergelaufen; dass taten die jungen Männer auch nicht. Im Unterschied zu ihnen jedoch blieben die jungen Frauen mit ihrer Zustimmung zu einer neuen politischen Farbzusammenstellung jeweils zunächst zögerlich, traten dann aber umso eindeutiger für den Wechsel ein und verliehen ihm dadurch Stabilität.

Aus der Ära Brandt ist dieses Phänomen hinlänglich bekannt: Brandt konnte sich dieser Wählerinnen recht sicher sein. Wenn sie jedoch anfangen, sich wieder abzuwenden, wie bei der Bundestagswahl 1976 zu beobachten, sollten die Warnlampen der Regierung hell aufleuchten. Was für die damalige Regierung Schmidt zutraf, galt dann auch für die Kohl-Regierung. Die Regierung Schröder hatte noch nicht die Gelegenheit zu demonstrieren, ob ihr die längere Bindung junger Frauen gelingt. Klar ist nur, dass sie 1998 von diesen Frauen gewählt wurde - in der Altersgruppe der 25- bis 34-Jährigen waren es sogar mehr Frauen als Männer.

Von Edmund Stoiber halten Frauen nicht viel

Von einem hohen Zuspruch gerade auch junger Frauen profitieren - fast schon traditionell - die Grünen und die PDS. Diese Parteien haben generell ein besseres Standing bei Frauen als bei Männern. Bei der FDP ist das Geschlechterverhältnis in allen Altersgruppen relativ ausgeglichen und wenig schwankend. Die Unionsparteien hingegen haben das Problem, dass ihre Stammwählerinnen und -wähler eher aus älteren Jahrgängen stammen, während sie unter Jüngeren sowieso nicht die besten Karten haben. Insgesamt heißt das, dass vor allem die beiden großen Volksparteien auf die jungen Wählerinnen achten müssen, um zu wissen, wie gut sie im Spiel sind.

Noch sieht es so aus, als ob die Frauen Rot-Grün 2002 die Stange halten. Zumindest auf sie konnte sich Gerhard Schröder verlassen, als die K-Frage in der Union im Januar geklärt war. Das Politbarometer im ZDF, von der Forschungsgruppe Wahlen in Mannheim mit Umfrageergebnissen gefüttert, gibt neuerdings Auskunft über die Präferenzen von Männern und Frauen bei der Bundeskanzler-Frage, wenn auch nicht differenziert nach Alter. Die Ergebnisse sind hoch interessant: Als Edmund Stoiber zum Kanzlerkandidaten der Union gekürt war, holte er gegenüber Gerhard Schröder sofort in der Gunst der Wähler auf - wohlgemerkt: nicht in der Gunst der Wählerinnen. Denn die Wählerinnen hätten gerade einmal zu 38 Prozent lieber Stoiber als Bundeskanzler gesehen, zu 50 Prozent dagegen Schröder. Offenbar sattelten die Männer sofort auf das neue Pferd um: Sie favorisierten zu 49 Prozent Stoiber und nur noch zu 46 Prozent Schröder. Im Februar besannen sie sich wieder eines anderen, und das Pendel schlug wieder eindeutig zugunsten des Amtsinhabers aus. Die Frauen bevorzugen ihn im Februar sogar zu 53 Prozent und zeigen Stoiber zunehmend die kalte Schulter.

Nachhilfeunterricht für weibliche Bürger?

Was lernen wir aus all dem? Ohne Frauen und ohne junge Frauen ist weder Start noch Staat zu machen. Gerade die jungen Frauen springen nicht auf jedes neue Pferd, das ihnen vor die Nase gestellt wird, lassen sich wohl nicht so schnell beeindrucken, sondern schauen genauer hin, sind abwartender, bevor sie umsatteln. Nur wenn sie es dann tun, bleiben sie erst einmal bei ihrer Entscheidung. Auch Gerhard Schröder und die SPD haben längere Zeit gebraucht, um sich die Gunst von Wählerinnen wieder zu erwerben. Nun haben sie diese - einstweilen. Es wäre nämlich kurzschlüssig zu glauben, dass man damit für die Bundestagswahl schon alles geklärt hätte, dass sich die SPD nun keine Gedanken mehr um die Wählerinnen und vor allem um die jüngeren zu machen brauche. Relativ viele junge Frauen - mehr als die älteren - haben 1998 noch die Unionsparteien gewählt, noch ist die elektorale Altersstruktur der SPD vor allem mit Blick auf die Erst- und Zweitwählerinnen nicht ausgeglichen, noch ist der politische Wechsel unter den jungen Frauen nicht ganz vollzogen. Das alles belegt, dass die Situation für die SPD noch labil ist.

Bleibt die Frage, womit (junge) Frauen eigentlich überzeugt werden können. Natürlich geht es nicht nur um besondere, auf sie zugeschnittene Themen, sondern auch um allgemeine wie etwa die Arbeitsmarktlage oder die wirtschaftliche Entwicklung. Daneben existieren aber auch Themen, mit denen Frauen besonders konfrontiert sind. Innerhalb der SPD hat sich augenscheinlich die Meinung durchgesetzt, eine "Frauenförderpolitik" sei obsolet. Das ist richtig und falsch zugleich. "Förderung" ist sicherlich nicht die richtige Bezeichnung für das, was in diesem Politikfeld nötig ist. Denn das Wort vermittelt den Eindruck, es gebe Schwächen auf seiten von Frauen, die nun gleichsam durch Nachhilfeunterricht behoben werden sollen. Darum geht es in der Tat nicht. Es geht um eine Gleichstellungspolitik, die diesen Namen auch verdient. "Gender mainstreaming" lautete denn auch das Credo - aber davon ist nur noch wenig zu spüren. Öffentlich ist also von Gleichstellungspolitik nicht viel zu hören und zu sehen.

Das Berufsleben trifft Frauen beinhart

Dabei liegen die Themen auf der Straße. Ein Beispiel: Junge Frauen gehen nach der Schule oft mit der Überzeugung in betriebliche Ausbildung und Beruf, dass die Gleichstellung der Geschlechter heute kein wirkliches Thema mehr sei. Jede Frau sei selbst in der Lage, ihre Interessen durchzusetzen und ihre Chancen wahrzunehmen. Die Ernüchterung kommt dann allerdings schnell, wenn diese Frauen merken, dass ihnen die Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht nicht nur blöde Sprüche einhandelt - es erwachsen sogar ganz handfeste Nachteile aus ihr. Häufig sind die Diskriminierungen äußerst subtil, kaum thematisierbar. Viele Frauen spüren nur, dass ihre beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten irgendwie beschränkter sind, dass sie weniger verdienen als ihre Kollegen, obwohl sie doch gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, sich mindestens im gleichen Umfang engagieren. Und dann stellt sich auch irgendwann die Frage nach einem Kind und einer Familie.

Und der Beruf? Aus Untersuchungen wissen wir, dass junge Frauen - ebenso wie ihre älteren Kolleginnen früher - das Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf als ein individuell zu lösendes Problem ansehen. Mit Politik bringen sie es kaum in Verbindung - und das nach dreißig Jahren neuer Frauenbewegung und Debatte! Was junge Frauen in der Schule nicht erleben, kommt also im Berufsleben beinhart, ist aber zugleich kaum politisiert. Ob sich all das nun durch ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft ändern könnte, wie es zu Beginn der nun auslaufenden Legislaturperiode vollmundig angekündigt wurde, mag dahin stehen. Vielleicht ist es mindestens ebenso wirksam und - vor allem auch in Richtung junger Frauen - öffentlich viel besser zu transportieren, wenn etwa ein Erziehungsurlaubsgesetz zur Debatte gestellt würde, das nicht dem tradierten Familienbild folgt wie das zur Zeit gültige.

Die Niederlande haben im vergangenen Jahr vorgemacht, wie ein solches Gesetz aussehen kann. Im Kernbereich zwingt es Arbeitgeber, zur Kenntnis zu nehmen, dass Arbeit und Beruf nicht familienfrei gehalten werden können. Denn nach dem Gesetz müssen auch die Väter Erziehungsurlaub nehmen, wenn dieser nicht gänzlich - und damit auch für die Mütter - verfallen soll. Zudem ist die finanzielle Seite so geregelt, dass nur geringe Einbußen im Haushaltsbudget einer Familie entstehen. So wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Thema, das nicht mehr allein auf die Frauen abgewälzt bleibt. Statt dessen wird sie für Männer attraktiver und für Arbeitgeber zur unternehmerischen Größe. Eine Benachteiligung von Frauen in Arbeit und Beruf ergibt dann nur noch wenig Sinn.

Was bleibt? Die schlichte Einsicht, dass das politische Verhalten von Frauen nicht einfach immer nur danach zu bewerten ist, ob es sich dem politischen Verhalten von Männern anpasst - eine beliebte Sichtweise in Politik und Politikwissenschaft. Das politische Verhalten von Frauen gibt viel umfassendere Aufschlüsse: über gesellschaftliche Trends und die politischen Chancen der Parteien. Beide großen Parteien können ihre Chancen bei den Frauen durchaus verbessern. Das geht aber nicht zum Nulltarif.

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