Die leise Revolution in den Familien

Moderne Familien- und Generationenpolitik setzt bei den Lebenswünschen und der Lebenswirklichkeit der Menschen an. Männer und Frauen sollen Zeit für ihre Familie und Zeit für ihren Beruf haben. Deshalb müssen wir die Debatte über die Familienarbeitszeit offensiv führen

Die Berliner Republik ist seit 15 Jahren eine Plattform für Debatten der progressiven linken Mitte. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Jubiläum! Wenn ich überlege, was eine progressive Mitte ausmacht, dann denke ich heute zuerst an die Familien. Von ihnen geht eine leise Revolution aus. Familie ist heute zum einen Vielfalt: Familie, das sind die vielen Paare, ob mit Trauschein oder ohne, die Alleinerziehenden, aber auch die Regenbogen- und Patchworkfamilien. In Familien leben Menschen mit unterschiedlichen religiösen und kulturellen Zugehörigkeiten. Mit dieser Vielfalt stehen Familien für die Zukunft unseres Landes. Zum anderen wollen Mütter und Väter Familie und Beruf heute anders vereinbaren als noch vor 15 Jahren. Mütter gehen früher und häufiger wieder arbeiten. Mehr Väter als je zuvor betreuen ihre Kinder. Das Elterngeld und der Ausbau der Betreuungsangebote für Kinder machen es möglich. Eine große Mehrheit der Eltern findet, dass beide Elternteile für das Einkommen in der Familie sorgen und sich um die Kinder kümmern sollten. Der Wunsch nach mehr Partnerschaftlichkeit ist ein Wunsch nach einer neuen Qualität in der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Familien müssen über ihre Zeit selbst entscheiden können

Ich möchte Familien unterstützen, partnerschaftlich zu leben. Ich möchte, dass Männer und Frauen in Familien so leben können, wie sie es wollen – und zwar gleichgestellt, auf Augenhöhe. Familien müssen selbst entscheiden können, was sie mit ihrer Zeit anfangen, nicht die Wirtschaft mit einem starren Arbeitszeitmodell und nicht die Kita, die mittags schließt. Wir brauchen eine neue Zeitpolitik für Familien, die die Lebenswünsche und Lebenswirklichkeiten der neuen „Generation Vereinbarkeit“ zum Ausgangspunkt nimmt. Deshalb habe ich die Diskussion über eine Familienarbeitszeit angestoßen. Mir geht es darum, dass es für Menschen, die sich um ihre Familie kümmern – ob mit Kindern oder mit pflegebedürftigen Angehörigen –, möglich ist, in einem reduzierten Umfang erwerbstätig zu sein. Männer und Frauen sollen Zeit für Familie und Zeit für den Beruf haben. Eine solche Zeitpolitik verbessert die Teilhabe an Arbeit und die Chancen auf berufliches Fortkommen, sie verhindert Benachteiligungen der Frauen gegenüber den Männern und der Eltern gegenüber den Kinderlosen.

Die Solidarität zwischen den Generationen stärken

Wir haben mit dem ElterngeldPlus den ersten Schritt zur Familienarbeitszeit gemacht. Es erleichtert die Verbindung von Elterngeld und Teilzeitarbeit. Mit dem Gesetz zur Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf sind wir den nächsten Schritt gegangen. Es fördert die Verbindung von Pflege und Teilzeitarbeit, denn zu einer partnerschaftlichen Vereinbarkeit im Lebensverlauf von Familien gehören auch flexible und abgesicherte Zeiten für die Fürsorge und Pflege älterer und hilfsbedürftiger Familienangehöriger. Familie ist ein Thema für das ganze Leben. Der dritte Schritt ist der weitere Ausbau der Kinderbetreuung: Dazu gehört ein bedarfsgerechtes Angebot ebenso wie eine gute Qualität.

Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität – das sind die Werte, die dieser Politik zugrunde liegen. Sich auf den Weg zu einer Familienarbeitszeit zu machen heißt, die Solidarität der Generationen zu stärken, indem wir den Menschen Möglichkeiten eröffnen, im gesamten Lebensverlauf Zeit für die Familie zu gewinnen. Es heißt, die Freiheit zu stärken, weil jeder und jede nach den eigenen Vorstellungen leben kann. Es stärkt aber auch die Gerechtigkeit, weil es Männern und Frauen die gleichberechtigte Teilhabe an der Familie und der Arbeitswelt ermöglicht. Frauen spüren immer noch, dass sie in der Arbeitswelt benachteiligt sind. Sie bekommen weniger Lohn und haben schlechtere Aufstiegschancen als Männer – obwohl gerade die junge Generation der Frauen besser ausgebildet ist denn je. Die verbindliche Frauenquote ist ein wichtiges Signal an diese Generation, ein Signal für die Gerechtigkeit. Das geplante Gesetz zur Entgeltgleichheit wird ein weiteres sein.

Gerechtigkeit, Freiheit, Solidarität – alle drei!

In einer zukunftsorientierten Gesellschaft sind Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität gleichermaßen stark und stehen in einem ausgewogen Verhältnis zueinander. Eine moderne Gesellschaft beruht auf Solidarität, auf dem Zusammenhalt der Generationen. Sie beruht auf der Freiheit der Frauen und Männer, ihre Lebensentwürfe mit der notwendigen Unterstützung zu leben. Und schließlich beruht eine moderne Gesellschaft auf Gerechtigkeit und Gleichberechtigung von Frauen und Männern – ein Leben lang. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Werte gelebt werden können, heute und in Zukunft. Das ist die Aufgabe einer modernen Gesellschaftspolitik, wie ich sie verstehe und wie ich sie vorantreiben will.

zurück zur Person