Die Internationale der Geheimdienste



Nichts ahnend betrat Muhammad Naeem Noor Khan den Flughafen der pakistanischen Stadt Lahore. Er war gekommen, um ein Paket abzuholen, das ihm sein Vater aus Karachi geschickt hatte. Doch Khan sollte am Morgen des 13. Juli 2004 keine Zeit mehr finden, das Paket auszupacken. Angehörige des Nachrichtendienstes und der Polizei verhafteten den 25-jährigen Ingenieur. Khan wurde vorgeworfen, eine Schlüsselfigur für die Kommunikation zwischen der untergetauchten Führung von Al Kaida und international agierenden Zellen zu sein.

Nach dem 11. September 2001 mussten sich Osama Bin Laden und seine engsten Vertrauten im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet verstecken. Satellitentelefone konnten sie nicht mehr benutzen, weil diese leicht abzuhören sind. Stattdessen schmuggelten sie Disketten oder handgeschriebene Notizen zu Khan, der die Botschaften verschlüsselte und sie als E-Mails weiterleitete.

Den Hinweis auf den Computer-Experten bekamen die pakistanischen Behörden von der CIA, die den Chefplaner des 11. Septembers, Khalid Sheikh Mohammed, gefangen hält. Er wurde mit Methoden verhört, die vor dem Angriff auf das World Trade Center einen Aufschrei der amerikanischen Öffentlichkeit verursacht hätten. Im Sommer 2003 sprach Mohammed erstmals über den pakistanischen Ingenieur. Und er erwähnte einen weiteren Mann, der ebenfalls zu der Garde jüngerer Kaida-Mitglieder zählte, die zunehmend Führungsaufgaben erhielt. Mohammed behauptete, er habe Anfang 2001 einen gewissen Issa al-Britani („Issa der Brite“) nach Kuala Lumpur geschickt, um die Aktionen von Al Kaida mit den islamistischen Terrorgruppen in Südostasien abzustimmen. Außerdem habe er al-Britani auf Anweisung von Osama Bin Laden nach New York entsandt, um dort geeignete Ziele für Anschläge auszukundschaften. Bestätigt wurde diese Information aus anderer Quelle, als die CIA dank der Aussagen im August in Thailand Riduan Isamuddin alias Hambali verhaften konnte. Hambali war der Kontaktmann zwischen Al Kaida und der indonesischen Organisation Jamaa Islamya, die für die Sprengstoffanschläge auf Bali die Verantwortung trägt.

Hambali gab zu, sich mit dem von Khalid Sheikh Mohammed erwähnten al-Britani getroffen zu haben. Wer der Brite allerdings war, vermochte die CIA nicht aufzuklären. Die Spur verlief im Sande, während die Amerikaner ihren pakistanischen Bundesgenossen den Tipp bezüglich Khan gaben. Auf dessen Computer fanden die Ermittler zahlreiche Dokumente, darunter genaue Angaben über die von al-Britani in Amerika ausspionierten Finanzinstitutionen. Khan kannte von al-Britani überdies einen weiteren Decknamen – al-Hindi („der Inder“) –, und er konnte eine Personenbeschreibung und einen Hinweis auf den Wohnort des Gesuchten liefern. Diese Angaben übermittelte die CIA an die Briten. Und diese identifizierten al-Britani ein Jahr nachdem sein Name in einem Verhör mit Khalid Sheikh Mohammed gefallen war. Am 3. August 2004 verhaftete die Polizei bei London den 32-jährigen Dhiren Barot sowie sieben weitere Männer, die meisten von ihnen pakistanischer Herkunft. Bei Barot handelte es sich um den fieberhaft gesuchten al-Britani alias al-Hindi.

Ohne den Informationsaustausch der westlichen Nachrichtendienste untereinander wäre die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus nicht denkbar. Obwohl Nachrichtendienste zum Schutz ihrer Informanten und aus Geheimhaltungsgründen zurückhaltend sind, gab es schon immer Formen der Kooperation. Vor allem nach dem Ende des Kalten Krieges intensivierten die „großen Drei“ in Europa – neben dem BND der britische SIS und die französische DGSE – ihre Zusammenarbeit. Während des Balkan-Konfliktes rekrutierten sie gemeinsam Agenten in Serbien, Montenegro und im Kosovo. Zur Koordination traf sich in Paris regelmäßig eine Runde ranghoher Mitarbeiter aus den Spionage-Abteilungen. Zu Auseinandersetzungen kam es zwischen den Partnern nur wegen der Rolle der CIA. Die Amerikaner wollten sich an dem Dreierbund beteiligen, was die Franzosen ablehnten. Die Zusammenarbeit auf dem Balkan bildete den Testfall für die neuen und flexibleren Formen nachrichtendienstlicher Kooperation nach dem Fall der Berliner Mauer.

Durch den islamistischen Terrorismus hat sich die internationale Zusammenarbeit abermals verstärkt. Michael Hildebrandt, bis vor kurzem im BND Referatsleiter für den Bereich Internationaler Terrorismus, vertritt die Ansicht, dass der Informationsaustausch kaum noch zu verbessern ist: „Inzwischen ist die internationale Kooperation oft nur noch durch die vorhandenen personellen und zeitlichen Ressourcen begrenzt.“ So treffen sich Vertreter des Nordamerika-Referats des BND mehrmals in der Woche mit ihren Ansprechpartnern in den Residenturen der CIA in Berlin und München. In Paris hat die CIA ein multinationales Terrorabwehrzentrum eingerichtet, in dem Geheimdienstleute aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada und Australien vertreten sind. „Alliance Base“, wie das in einer Kaserne am Stadtrand untergebrachte Zentrum heißt, dient einerseits dem Informationsaustausch. Zugleich bereiten die Geheimdienste hier Operationen vor, die dann in nationaler Verantwortung ausgeführt werden. Die CIA wie in den neunziger Jahren bei der deutsch-britisch-französischen Runde auszusperren ist undenkbar, denn die Amerikaner besitzen vor allem wegen ihrer internationalen Vernetzung einen erheblichen Informationsvorsprung. In zwei Dutzend Ländern in Osteuropa, dem Nahen Osten und Asien betreibt die CIA eigene Counterterrorist Intelligence Centers (CTIC), in denen neben Amerikanern handverlesene Beamte aus den Gastgeberländern Dienst tun.

Das syrische Regime nimmt auf Menschenrechte keine Rücksicht

Alle westlichen Nachrichtendienste stützen sich zur Abwehr des Terrorismus auf die Kooperation mit Partnerdiensten im Nahen Osten, in Afrika und in Südasien. Ohne deren Mithilfe ist keine Erfolg versprechende Bekämpfungsstrategie denkbar. Die Hauptquelle des westlichen Wissens über den aus Jordanien stammenden Terroristen Zarkawi bildete der jordanische Nachrichtendienst. Niemand hat einen besseren Einblick in die Netzwerke von Taliban und Mujaheddin in Afghanistan als die Pakistani, die diese Kräfte bis zum 11. September tatkräftig unterstützt hatten. Zwischen den nahöstlichen Diensten existieren allerdings erhebliche Unterschiede hinsichtlich Professionalität und Skrupellosigkeit. Mit dem jordanischen Geheimdienst beispielsweise arbeitete der BND schon in der Vergangenheit gut zusammen; so lieferten die Jordanier Hinweise auf in der Bundesrepublik operierende palästinensische Terrorzellen. Das syrische Regime hingegen nimmt auf Menschenrechte keine Rücksicht. Überdies gehören die Syrer zu den aktivsten Nachrichtendiensten, die auf deutschem Boden Spionage betreiben. Dennoch erklärte ein Vertreter des BND: „Wenn man weiß, die Syrer haben einen bestimmten Terroristen in ihrem Gewahrsam, dann muss man mit ihnen reden.“

Nach dem 11. September hat sich die gesellschaftliche Vorstellung davon, welche Verhaltensweisen für einen Auslandsnachrichtendienst noch akzeptabel sind, markant verschoben. Am weitesten gehen dabei die Vereinigten Staaten. Den Häftlingen im Lager Guantanamo verweigert die Regierung in Washington den Schutz der Genfer Konvention. Man billigt ihnen weder den Status von Kriegsgefangenen noch von internierten Zivilpersonen zu. Die Haftdauer ist unbegrenzt. Mit der Begründung, der auf Kuba gelegene Militärstützpunkt befinde sich außerhalb der Vereinigten Staaten, nahm man den Gefangenen auch das Recht, sich an ein Gericht in den USA zu wenden. Im Jahr 2004 entschied das Verfassungsgericht in Washington jedoch, dass den Inhaftierten der reguläre Rechtsweg offen steht. Die Regierung Bush umging das Urteil, indem sie Militärtribunale einrichtete, vor denen die Fälle aus Guantanamo verhandelt werden sollten. Nachdem ein Häftling dagegen geklagt hat, entschied der Supreme Court Ende Juni, dass die Sondertribunale rechtswidrig sind. Amnesty International bezeichnete Guantanamo als moderne Version des Archipel Gulag, der sowjetischen Straflager zu Zeiten Stalins. Der polemische Vergleich macht die Unterschiede deutlich: Die Internierten des Anti-Terror-Krieges genießen ein Mindestmaß an juristischem Schutz, und die Regierung muss sich wegen der Zustände vor dem amerikanischen Kongress und der Weltöffentlichkeit rechtfertigen.

Verteidigungsminister Donald Rumsfeld autorisierte im Jahr 2002 Verhörmethoden an der Grenze zur Folter. Häftlinge werden mit Hunden eingeschüchtert, angeschrieen, sie müssen über längere Zeit in schmerzhaften Positionen ausharren und sie werden gedemütigt, indem man ihnen die Kleider wegnimmt. Isolationshaft und „milder“ Körperkontakt, also Schläge, sind erlaubt. Aufseher enthielten den Internierten über 18 Stunden Wasser und Nahrung vor und setzten sie lauter Musik und grellem Licht aus. Um das offizielle Verbot der Folter zu umgehen, überstellt die CIA zudem Verdächtige in Staaten wie Ägypten und Syrien. In den achtziger Jahren hatte Präsident Reagan erstmals die Praxis gebilligt, Personen unter Umgehung des Völkerrechts in die Vereinigten Staaten zu verschleppen oder von dort aus in andere Länder zu deportieren. Im Anti-Terror-Kampf hat sich dies zu einem Freibrief für die CIA entwickelt. Zwischen 50 und mehrere Hundert Personen fielen – je nach Schätzung – dieser als „Rendition“ bezeichneten Praxis seit dem Jahr 2001 zum Opfer. Vermutlich betreibt Washington unter anderem in Jordanien, Ägypten, Pakistan, Thailand und auf dem US-Stützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean geheime Haftzentren oder lässt diese durch die Geheimdienste der jeweiligen Länder betreiben. Die amerikanische Regierung hat selbst eingeräumt, Personen an unbekannten Orten außerhalb der Vereinigten Staaten gefangen zu halten. Außerdem fehlen in den publizierten Listen der Gefangenen von Guantanamo die Namen zahlreicher Personen, die nachweislich verhaftet wurden.

Die Fehler der Ära Clinton

Dass Präsident Bush die Terrorbekämpfung als Krieg versteht, in dem die Tötung oder Gefangennahme des Gegners anderen Regeln unterliegt als zu Friedenszeiten, ist auch eine Reaktion auf Versäumnisse seines Amtsvorgängers Clinton. Dessen Regierung hatte nach dem ersten Anschlag auf das New Yorker World Trade Center im Jahr 1993 die Jagd auf die Attentäter ausdrücklich als reguläres Ermittlungsverfahren betrieben: Das FBI sollte die Verdächtigen im Ausland festnehmen und in die Vereinigten Staaten bringen, wo man ihnen den Prozess zu machen gedachte. Während diese Methode bei den unmittelbaren Tatverantwortlichen funktionierte, gelang es der amerikanischen Justiz nie, der Hintermänner habhaft zu werden. Schlimmer noch: Man erkannte mehrere Jahre nicht einmal, welche zentrale Rolle Osama Bin Laden im Netzwerk des islamistischen Terrorismus spielte. Als man Bin Laden dann als „Staatsfeind Nummer Eins“ identifiziert hatte, scheiterte dessen Ausschaltung mit militärischen Mitteln auch an den rechtlichen Bedenken der Streitkräfte. Diese wollten nicht die Verantwortung für eine Tötung übernehmen, die nach den Maßstäben einer regulären Polizeiaktion unverhältnismäßig war und auf unzulänglichen Beweisen beruhte.

Das amerikanische Rechtssystem erwies sich als unfähig, mit einer globalen terroristischen Bedrohung in angemessener Weise umzugehen. Denn es ist zugeschnitten auf Verbrechen, die in den Vereinigten Staaten verübt werden und mit den Mitteln von Polizei und Strafrecht aufgeklärt und abgeurteilt werden können. Die Antwort der Regierung Bush auf dieses Problem verletzt in vielfacher Hinsicht rechtsstaatliche Standards und ist deshalb abzulehnen. Zugleich aber machen es sich die Europäer sehr einfach, wenn sie bei ihrer Kritik dieses Dilemma gänzlich ausblenden. Gerade in Deutschland sollte man sich daran erinnern, wie schwierig es war, die Staatsverbrechen des SED-Staates mit dem Strafgesetzbuch der Bundesrepublik zu ahnden. Der Stasi-Chef Erich Mielke kam nur dank eines juristischen Tricks hinter Gitter. Verurteilt wurde er nicht wegen des Repressionsregimes der Stasi, sondern für einen in der Weimarer Republik begangenen Mord. Die Blamage, dass Erich Honecker straffrei ausgehen könnte, umging man, indem man ihn als verhandlungsunfähig einstufte und nach Chile ausreisen ließ. Immer wieder entstehen politische Konstellationen, in denen reguläre Jurisdiktion an ihre Grenzen stößt.

Ohnehin ist die Bundesrepublik auf verschiedene Weise in die amerikanischen Praktiken verwickelt. Deutschland ist eines der wichtigsten Luftdrehkreuze der US-Luftwaffe, so dass es mehr als erstaunlich wäre, wenn die CIA bei ihren Häftlingstransporten nicht die auf deutschem Boden gelegenen amerikanischen Flughäfen für Zwischenlandungen nutzen würde. Zudem hat der Geheimdienst auch in der EU Verdächtige verschleppt. Kidnapping im Auftrag der Regierung ist bisher eine Spezialität der CIA. Allerdings profitieren die europäischen Nachrichtendienste indirekt davon, da die Amerikaner die auf diesem Weg gewonnenen Informationen an sie weitergeben. Zudem erhalten auch die Europäer Zugang zu den Verschleppten.

Wenn es die europäischen Staaten mit ihren Protesten gegen die Praxis der „Rendition“ ernst meinen würden, müssten sich ihre Geheimdienste aus dieser Form von Kooperation zurückziehen und außerdem darauf verzichten, die in den geheimen Verhörzentren gewonnenen Informationen zu verwerten. Dazu aber ist kein EU-Staat bereit. Die Europäer äußerten ihre Kritik in der Erwartung, dass diese keine Wirkung zeigen und sich an der Zusammenarbeit nichts ändern werde. Bei den Protesten in Washington geht es hauptsächlich darum, den Unmut der Öffentlichkeit zu kanalisieren. Für Länder wie Deutschland gibt es ferner keine wirkliche Möglichkeit zu kontrollieren, ob die auf ihrem Territorium gelegenen Militärflughäfen der Amerikaner für Gefangenentransporte genutzt werden.

Partner mit eingeschränkter Vertrauenswürdigkeit

Die enge internationale Kooperation der Europäer wirft aber nicht nur moralische Fragen auf. Die westlichen Nachrichtendienste begeben sich bei ihrer Zusammenarbeit mit den Geheimpolizeien nichtdemokratischer Länder in gewissem Umfang in die Abhängigkeit von Partnern, denen man nur eingeschränkt trauen kann. Denn es ist nicht auszuschließen, dass diese ihre „Gefälligkeiten“ mit Hintergedanken verbinden. Viele Länder sind auf amerikanische oder europäische Hilfe angewiesen. Sie könnten der Versuchung erliegen, das zu liefern, wovon sie annehmen, dass es in westlichen Hauptstädten gerne gehört wird. Dies gilt umso mehr, wenn die westliche Seite für einzelne Informationen bezahlt; in den Genuss deutscher Zuwendungen kamen unter anderem die türkischen und tadschikischen Geheimdienste.

Solange die Berichte nahöstlicher Partner nur dazu dienen, ein allgemeines Bild der Lage zu entwerfen, stellt deren eingeschränkte Zuverlässigkeit kein Problem dar. Sie fließen nur als eine Quelle unter anderen in die Analysen ein und haben keine unmittelbaren Auswirkungen. Eine andere Brisanz bekommen solche Informationen, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft damit etwa einen Haftbefehl in Deutschland begründen. Dann sind ganz andere Anforderungen an die Zuverlässigkeit des Materials zu stellen, zumal Gerichte keine Möglichkeit haben, den Wahrheitsgehalt der Informationen zu überprüfen. Das Wissen über das Innenleben der auch in Deutschland aktiven irakischen Terrorgruppe Ansar al-Islam stammt im Wesentlichen von den Nachrichtendiensten der Kurdenparteien KDP und PUK. Welchen Wert haben aber Feststellungen kurdischer Geheimdienste, die seit Jahrzehnten im Nordirak einen Guerillakrieg gegen Saddam Hussein und untereinander ausgefochten haben? In diesen Kämpfen waren alle Mittel recht, Täuschung ebenso wie Folter. Zugleich haben die Kurden ein Interesse daran, die Bedrohung als möglichst groß darzustellen, um sich so dauerhafter amerikanischer Hilfe zu versichern. Es ist daher nicht auszuschließen, dass sie die Bedeutung einer Gruppe wie Ansar übertreiben. Mitarbeiter des BND müssen immer wieder auf der Basis der von den Kurden stammenden Informationen in Prozessen gegen angebliche Mitglieder von Ansar al-Islam aussagen. Gegenwärtig findet in Stuttgart ein Prozess gegen Iraker statt, denen man vorwirft, ein Attentat in Deutschland geplant zu haben. In München wurde im Januar ein Iraker zu einer langjährigen Haftstrafe wegen der Unterstützung von Ansar al-Islam verurteilt. Während vor amerikanischen Gerichten ein umfassendes Verwertungsverbot für Erkenntnisse existiert, die nicht auf rechtsstaatlichem Weg zustande gekommen sind, sind die einschlägigen Vorschriften in der Bundesrepublik deutlich laxer.

Kooperation nach dem Prinzip „Stille Post“

So notwendig die internationale Kooperation ist, so sehr birgt sie zugleich die Gefahr von Falschmeldungen. Allzu oft funktioniert sie nach dem Prinzip des Kinderspiels „Stille Post“. Dabei wird eine Geschichte so lange kolportiert, bis die Fakten nicht mehr stimmen. Nach dem Londoner Anschlag vom 7. Juli 2005 behaupteten amerikanische Geheimdienste, dass ihre britischen Kollegen die Explosionen hätten verhindern können, da sich der Selbstmordattentäter Germaine Lindsay auf einer internationalen Liste von Terrorverdächtigen befunden habe. Die Amerikaner hatten jedoch den Jamaikaner mit einem Mann namens Lindsay Jermaine verwechselt. Nachrichtendienstliche Informationen sind häufig keine Tatsachen, sondern plausible Annahmen. In ihrer Rohform enthalten sie Ungenauigkeiten oder Übertreibungen. Dies traf in der Vergangenheit auch in europäischen Augen unverdächtige Organisationen wie die Vereinten Nationen. So beschuldigte die Uno den in der Schweiz und in Italien tätigen Ägypter Youssef Nada, mit einem Geflecht aus Banken und Briefkastenfirmen den Terrorismus zu finanzieren. Nach dreijährigen Ermittlungen stellte die Schweizer Bundesanwaltschaft ihr Verfahren gegen Nada im Mai 2005 ergebnislos ein. Die Indizien reichten nicht für die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens aus, Nada blieb aber in den Sanktionslisten der Uno.

Entführungen wie die des Deutsch-Libanesen Khaled el-Masri durch die CIA nach Afghanistan sind spektakulär, aber sie sind auch Einzelfälle. Allerdings sind Ermittlungsverfahren auf Grund falscher Informationen, die im Extremfall dazu führen, dass die Betroffenen über Jahre auf internationale Listen geraten, ohne sich dagegen wehren zu können, vergleichsweise zahlreich.

Die Bekämpfung des Terrorismus spielt sich in einer Grauzone ab. Die bundesdeutschen Behörden foltern nicht, aber sie benutzen Aussagen aus Verhören, die andere Geheimdienste mit solchen Methoden führen. In Einzelfällen haben deutsche Beamte auch selbst Verdächtige befragt, die in Syrien, im Nordirak oder in Guantanamo inhaftiert sind. Würden deutsche Stellen diese Kooperationen aufgeben, würden sie auf wichtige Informationsquellen verzichten. In letzter Konsequenz bedeutete dies, dass sie selbst Hinweise auf bevorstehende Anschläge ignorieren müssten. Der BND oder das Bundeskriminalamt können oft nicht beurteilen, woher das Wissen ihrer Partnerdienste stammt, weil diese ihre Quellen schützen. Außerdem räumt kein Nachrichtendienst freimütig ein, Geständnisse mit Zwang zu erpressen, zumal die Definitionen von Folter auseinander gehen. Verschiedene Staaten haben wie die Vereinigten Staaten stillschweigend oder in aller Öffentlichkeit die völkerrechtlichen Bestimmungen wie die Vierte Genfer Konvention oder die internationale Konvention gegen Folter außer Kraft gesetzt. So billigte das israelische Verfassungsgericht bereits im Jahr 1996 die Anwendung „moderaten physischen Drucks“ bei Verhören von Palästinensern, wenn die Möglichkeit besteht, dass Verdächtige Kenntnisse von einem geplanten Attentat besitzen. Der israelische Auslandgeheimdienst Mossad ist einer der engsten Partner des BND. Während die deutsche Öffentlichkeit die Praktiken der CIA scharf kritisiert, schweigt man zu den Verhältnissen in Israel.

Um jede Verstrickung zu vermeiden, würde es nicht genügen, nur die Kontakte zur CIA, zum israelischen Mossad oder zu arabischen Geheimdiensten abzubrechen. Deutschland müsste sich auch in Europa isolieren, denn der britische SIS oder die französische DGSE wären ebenfalls keine Partner mehr. Vor allem Paris geht bei der Terrorbekämpfung in einer Weise vor, die sich nicht mit dem deutschen Verständnis des Rechtsstaates deckt. Gerade die Bundesrepublik, die sich nicht am Irak-Krieg beteiligte, fühlte sich lange moralisch überlegen und stellt nun fest, dass es so etwas wie eine unangreifbare Position bei der Terrorbekämpfung nicht gibt. Eindeutige Regeln, wie deutsche Stellen mit dieser Herausforderung umgehen sollen, lassen sich kaum aufstellen. Ein genereller Verzicht auf die Teilnahme am internationalen Austausch würde ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko für Deutschland bedeuten. Letztlich kommt es daher auf den Einzelfall an, welchen Gebrauch man von problematischen Informationen macht: Bilden diese die Grundlage für einen nachrichtendienstlichen Bericht oder für eine polizeiliche Ermittlung, ist das noch vertretbar. Vor Gericht aber dürfen die aus trüben Quellen geschöpften Erkenntnisse gar nicht oder nur sehr eingeschränkt verwertet werden.

Die Geheimdienste in der Dunkelzone

Terrorabwehr bedeutet immer eine Güterabwägung zwischen den individuellen Freiheitsrechten und dem Anspruch der Gesellschaft auf Sicherheit. Wo die Prioritäten gesetzt werden, hängt hauptsächlich von der Gefahrenwahrnehmung und dem Ausmaß ab, in dem eine Gesellschaft von politisch motivierter Gewalt betroffen ist. Auf dem Höhepunkt des Terrorismus der Roten Armee Fraktion griff die Bundesrepublik zu rigorosen Mitteln: Die Haftbedingungen der Gefangenen wurden verschärft und die Rechte ihrer Strafverteidiger eingeschränkt, die Polizei warf ein elektronisches Schleppnetz über das ganze Land und speicherte die Daten von Unbeteiligten. Trotz hartnäckiger Kritik aus dem europäischen Ausland behandelte die deutsche Justiz die RAF-Mitglieder als gewöhnliche Kriminelle, obwohl der politische Hintergrund evident war.

In den achtziger und neunziger Jahren setzte man in Europa wie in den Vereinigten Staaten den staatlichen Eingriffsrechten gegenüber dem Individuum zunehmend Grenzen – der Ausbau des Datenschutzes in der Bundesrepublik im Gefolge des Volkszählungsurteils des Bundesverfassungsgerichtes ist nur ein Beispiel. Nach dem 11. September 2001 schlug das Pendel in die Gegenrichtung aus. Neuerdings ist abermals eine Gegenbewegung zu beobachten. Die erweiterten Vollmachten für Polizei und Nachrichtendienste unterliegen vermehrt der Kritik, in der EU ebenso wie in den Vereinigten Staaten. Bei diesen unvermeidlichen „Wellenbewegungen“ kommt es darauf an, nicht in Extreme zu verfallen. Der auf Betreiben der vereinten Populisten von PDS bis FDP eingesetzte Untersuchungsausschuss des Bundestages stellt ein ziemlich untaugliches Mittel dar, um die zulässigen Methoden der Nachrichtendienste bei der Terrorbekämpfung zu definieren. Teile der angeprangerten Methoden betreffen ohnehin die USA, die jede Kooperation mit dem Ausschuss verweigern.

Im Fall el-Masri kann es daher nur darum gehen, das Verhalten einer längst abgewählten Bundesregierung zu bewerten. Selbst wenn sich herausstellen sollte, dass die BND-Führung absichtlich Wissen über die Entführung des Deutsch-Libanesen verschwieg, wäre dies politisch ärgerlich, aber nicht illegal. Die Nachrichtendienste unterliegen im Gegensatz zur Polizei nicht dem Legalitätsprinzip. Sie müssen Straftaten nicht zur Anzeige bringen, sondern können von ihren Erkenntnissen nach eigenem Ermessen Gebrauch machen. Der Gesetzgeber hat die Nachrichtendienste bewusst in einer Dunkelzone angesiedelt, um dem Staat ein von Polizei und Justiz unterschiedenes Aufklärungsinstrument zu geben. Wer dies nicht akzeptieren kann, sollte offen sagen, dass er Nachrichtendienste generell abschaffen will.

Das von der Opposition behauptete Kontrolldefizit existiert nicht

Da die internationale Kooperation die wichtigste Informationsquelle über den islamistischen Terrorismus darstellt, werden Bundesregierung, Bundeskriminalamt und BND diese nicht aufgeben – gleichgültig, zu welchen Feststellungen der Ausschuss gelangt. Ein generelles Befragungsverbot für im Ausland inhaftierte Verdächtigte wäre ohnehin nicht praktikabel, zumal sich argumentieren lässt, dass Gefangene in einem nahöstlichen Verließ eher gegen die Gefahr des spurlosen Verschwindens geschützt sind, wenn deutsche Sicherheitsbeamte Zugang zu ihnen erhalten. Die Existenz des Untersuchungsausschusses hat bisher allerdings bewirkt, dass der BND übervorsichtig geworden ist. Entschied früher ein Referatsleiter darüber, ob ein deutscher Geheimdienstler einen Gefangenen im Ausland befragen sollte, wird heute jeder Fall dem Kanzleramt zur Prüfung vorlegt. Wenn nun aber das Kanzleramt genötigt wird, in das operative nachrichtendienstliche Geschäft einzugreifen, erreicht man nur das Gegenteil des ursprünglich Gewünschten: nämlich einer klareren Kompetenzverteilung und einer transparenteren Kontrolle.

Ohnehin gelten für die deutschen Nachrichtendienste strengere Vorschriften als für jeden anderen Partnerdienst. Das Trennungsgebot, das polizeiliche und nachrichtendienstliche Befugnisse abgrenzt, ist selbst in einer unverdächtigen Musterdemokratie wie der Schweiz unbekannt. Der BND hat auch stets vorsichtiger agiert als die anderen großen westlichen Dienste. Während die CIA Staatsstreiche en suite organisierte und französische Politiker bis zum heutigen Tag Geheimdienste für innenpolitische Machtkämpfe einsetzen, beschränken sich die Affären des BND auf Waffengeschäfte mit zwielichtigen afrikanischen Potentaten in den sechziger Jahren oder die Beschattung einzelner Journalisten im vergangenen Jahrzehnt. Der deutsche Auslandsdienst nutzte seit dem Ausscheiden seines Gründers Gehlen auch nicht seine Sonderstellung, um an der Bundesregierung vorbei auf eigene Faust zu operieren. In der Terrorabwehr sind alle Schritte mit Berlin abgestimmt. Dies gilt auch für die militärische Unterstützung des BND für die Alliierten im Irak-Krieg. (Zwar lieferte das deutsche Zweimannteam in Bagdad keine präzisen Zielkoordinaten für Bombenangriffe, aber der BND half den Amerikanern bei der allgemeinen Zielplanung, indem er in Deutschland Asylbewerber aus dem Irak befragte. Außerdem trugen die zwei BND-Leute mit ihren Beobachtungen in Bagdad zur Beantwortung der für die Alliierten wichtigen Frage bei, ob sich Saddams Truppen auf einen Endkampf im Häusermeer der irakischen Hauptstadt vorbereiteten – die so genannte Stalingrad-Option.) Selbst über die Kontakte zu Journalisten, besonders des Magazins Focus, war Kohls Kanzleramt in den Grundzügen orientiert. Das von der Opposition behauptete Kontrolldefizit existiert nicht. Allerdings kann die Aufsicht nicht so weit gehen, dass der Bundestag Einblick in laufende Operationen erhält, da das Parlamentarische Kontrollgremium die Vertraulichkeit nicht wahrt.

Der BND operiert auch deshalb im internationalen Vergleich zurückhaltend, weil er genau weiß, dass er in Krisensituationen nicht mit der Rückendeckung der Politik rechnen kann. Als Anfang der neunziger Jahre bekannt wurde, dass der BND Waffen aus DDR-Beständen nach Israel verschiffte, ging Bonn auf Tauchstation, obwohl die wechselnden Bundesregierungen den Dienst seit Jahrzehnten mit den geheimen Rüstungslieferungen beauftragt hatten. In der „Focus-Affäre“ kündigte Kanzleramtsminister de Maizière umgehend an, der BND dürfe künftig nicht mehr versuchen, seine Sicherheitslecks durch Recherchen im Medienmilieu aufzuklären. Dass ein Geheimdienst ohne funktionierende Eigensicherung letztlich sinnlos ist, kümmerte Merkels ersten Helfer nicht.

Die Grünen verhalten sich grundsätzlich opportunistisch

Die historischen Erfahrungen mit Gestapo und Stasi haben dazu geführt, dass die Öffentlichkeit sensibel auf tatsächliches oder vermeintliches Fehlverhalten der Nachrichtendienste reagiert, während sie ungleich gravierendere Einschränkungen individueller Freiheitsrechte durch andere staatliche Stellen hinnimmt. So regt sich kaum jemand über die erleichterte Kontenabfrage durch die Finanzämter oder die geplante Totalkontrolle der Patienten im Rahmen der elektronischen Versicherungskarte auf. Zugleich bleibt die „Vergeheimdienstlichung“ der Polizei unerörtert, obwohl sich diese im Zuge der Terrorismusbekämpfung sukzessive Befugnisse aneignet, die einmal den Nachrichtendiensten vorbehalten waren. Präventive Ermittlungen, noch bevor eine Straftat geplant wurde, waren einmal ein Privileg der Geheimen, die dafür weder Verhaftungen noch Verhöre oder Hausdurchsuchungen vornehmen können. Der Untersuchungsausschuss beschäftigt sich nicht einmal mit der Problematik, die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten die größte Bedeutung besitzt: der Umgang mit nachrichtendienstlichen Erkenntnissen in deutschen Strafprozessen. Keine Rolle spielt ferner die Frage, wie sich die Qualität der international ausgetauschten Informationen verbessern ließe.

Das einzige unmittelbar erkennbare Ziel des Ausschusses ist es, die Geheimdienstpolitik der Regierung Schröder zu delegitimieren. Die rot-grüne Koalition hatte eine Kehrtwende gegenüber der Ära Kohl eingeleitet. Nach der Kahlschlagspolitik der Jahre nach dem Kalten Krieg, als der CDU-Kanzler nur über die „Schlapphüte“ spottete und ihnen die Mittel kürzte, begann Rot-Grün den BND intensiv als Instrument einer aktiven deutschen Außenpolitik zu nutzen. Die finanziellen Mittel wurden wieder erhöht, Schröder stimmte in einer Sitzung des Sicherheitskabinetts spontan dem Umzug von Pullach nach Berlin zu. Kein Außenminister verließ sich so sehr auf die Expertise des BND wie Fischer, der Mitte der neunziger Jahre noch die Abschaffung des BND gefordert hatte. Er förderte die Zusammenarbeit zwischen Auswärtigem Amt und Geheimdienst, während das Außenministerium in den Jahrzehnten zuvor möglichst Distanz zum Pullacher Dienst gewahrt hatte. Die Grünen verhalten sich grundsätzlich opportunistisch: In der Opposition gerieren sie sich als Kritiker der Geheimdienste, als Regierungspartei bedienen sie sich ihrer. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, wie die SPD mit diesem Erbe ihrer Regierungszeit umgeht.

Dieser Essay ist eine überarbeitete und aktualisierte Passage aus Eric Gujers Buch "Kampf an allen Fronten: Wie sich der BND dem Terrorismus stellt." Der Band ist erschienen im Campus Verlag, Frankfurt/New York. 316 Seiten kosten 24,90 Euro.

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