Die heilende Affäre

Der CDU-Spendenskandal als apokalyptische Reinigung

Zuerst war von Sumpf die Rede, von Strudeln, Schlammlawinen und Wasserschäden, dann ging es um Reinigung. Die Kommentatoren der Tagespresse haben aus der CDU-Spendenaffäre eine apokalyptische Erzählung gemacht. Das ist nicht, wie die Umgangssprache suggeriert, eine Geschichte vom Weltuntergang oder von einer Katastrophe ohne Sinn und Ende, sondern ganz im Gegenteil: Eine Apokalypse ist die Geschichte einer Transformation, bei der das Neue nur aus der Zerstörung des Alten entstehen kann. Die apokalyptische Figur besteht aus drei Elementen: der Enthüllung einer Krise, der Reinigung durch Zerstörung und dem Neubeginn. Dazu liefert die Bibel das Vorbild. Das griechische Wort "Apokalypse" bedeutet Enthüllung, Aufdecken einer verborgenen Wahrheit. Für die von Rom verfolgten Christen war die Offenbarung des Johannes die Geschichte ihrer Rettung. Nach dem Weltkampf der Bösen gegen die Gottesmächte wird die Welt von den Sündern gereinigt. Sie werden im Feuersee sterben, während für die Gerechten ein neuer Himmel und eine neue Erde bereit stehen.

Auf die apokalyptischen Elemente Enthüllung, Reinigung durch Untergang und Neuanfang haben die Kommentatoren der Spendenaffäre zurückgegriffen. Nach der "Enthüllung" der illegalen Geldwirtschaft verkündeten sie den Untergang zuerst von Kiep, dann von Kohl, der CDU und schließlich der Demokratie. Das ist das erste Kapitel der apokalyptischen Erzählung: Die Anfangskatastrophe wird zum Zeichen für einen größeren Untergang. Das Schiff versinkt, und die Welt geht unter. Der Rhein hat Hochwasser, und das Weltklima verändert sich. Die Aktien schwanken, und die Weltwirtschaft kollabiert. Ein paar Politiker brechen Gesetze, und die Partei, ja, die Demokratie muss untergehen. "Der Sumpf (...) wird noch tiefer werden", schreibt Jochen Siemens in der Frankfurter Rundschau (6. Januar). "Die Partei kann dabei sogar zerschellen." Und Uwe Rada in der tageszeitung (14. Januar): "Auf dem Prüfstand steht derzeit nicht nur das System der Parteienfinanzierung, sondern die Parteiendemokratie selbst." Schließlich Heinrich Jaenecke im Stern (20. Januar): "Eine Drecklawine sondergleichen ist über das Land gegangen und hat die scheinbar solide Fassade der Republik in ein Trümmerfeld verwandelt."

Doch die apokalyptische Erzählung erschöpft sich gerade nicht darin, eine Gefahr zu übertreiben und aus einer kleinen Katastrophe eine große zu machen. In einem zweiten Schritt gibt die apokalyptische Erzählung der Krise einen Sinn. In den Kommentaren, die politischen Lager übergreifend, klingt das dann so: Wenn die CDU, die Parteien oder gleich die ganze Demokratie durch die Spendenaffäre in eine Krise gestürzt sind, dann soll das wenigstens ihrer Reinigung dienen. So schreibt etwa Peter Lösche in der Woche (14. Januar) von einem "heilenden Fieber, (...) sehr heftig und kurz, am Ende Kräfte freisetzend". Mathias Döpfner in der Welt: "Aber sie (die CDU) hat eine Chance, wenn sie jetzt einen radikalen Neubeginn wagt. (...) So liegt selbst im Sumpf von Betrug und Heuchelei ein Trost - und die Chance zur Katharsis." Und Stefan Kuzmany in der tageszeitung vom 14. Januar: "Die allgemeine Austrocknung der Politsümpfe, die wir nun endlich erleben dürfen, ist keineswegs ein Zeichen für das Scheitern unseres Systems - ganz im Gegenteil. Dass es eine funktionierende Presse gibt, (...) stärkt das Vertrauen in die Demokratie."

Die Apokalypse als traditionelle Form der Krisenbewältigung: Sie liefert mit der Ankündigung des Untergangs den Neuanfang gleich mit. Wenn schon Krise, dann richtig. Dann muss die Gefahr gleich riesengroß sein, aber dann muss am Ende auch alles besser werden. Das ist apokalyptisch: Erst übertreiben und dann retten. Offenbar möchte man, dass allem Schlechten etwas Gutes abzugewinnen ist. Die nackte Enthüllung, dass eine staatstragende Partei jahrelang systematisch Gesetze missachtet hat, ist ohne Wendung zum Guten nicht zu ertragen. So macht man daraus die "reinigende Krise" (Tagesspiegel vom 13. Januar), "ein freies Feld, auf dem die CDU fröhlich ackern kann" (Tagesspiegel vom 29. März) oder gar die "Frischzellenkur für die Demokratie" (Kölner Stadtanzeiger vom 1. Februar). Seit Februar findet sich der Topos von der "Krise als Chance" in beinahe allen Kommentaren.

Was bedeutet diese Chance? Apokalyptische Erzählungen sind in der Geschichte immer dann aufgetaucht, wenn die Grundlagen einer Gemeinschaft in Gefahr waren: das Buch Daniel beispielsweise, als das Judentum unter dem Einfluss des Hellenismus zu verwässern drohte, die Offenbarung des Johannes, als die Christen von Rom verfolgt wurden, und die Bilanzen des Club of Rome, als sichtbar wurde, dass die Wirtschaftsweise der westlichen Welt die Lebensgrundlagen gefährdet. Wenn eine apokalyptische Erzählung mit dem Untergang droht und Rettung verheißt, dann kann sie die Gläubigen oder die Überzeugten mobilisieren und im Kampf für das große Ziel einen.

Die Medien allerdings nutzen oft die wirkungsvollen dramaturgischen Elemente der Apokalypse, ohne das dritte Element, die Verheißung des Neuanfangs, mit Inhalt zu füllen. Was heißt das, wenn die Kommentatoren der Spendenaffäre von Bruch, Aufbruch, Neuanfang, Erneuerung und Chance sprechen? Sie fordern Aufklärung und den Generationswechsel. Ein Gesetzesbruch soll aufgeklärt werden und ein ohnehin alter Politiker einen Nachfolger bekommen. Ist das ein Neuanfang, eine Chance?

Die Wahl Angelas Merkels zur Parteivorsitzenden hat die Geschichte von Untergang und Rettung der CDU abgeschlossen. Merkel ist das dritte Element der CDU-Apokalypse. Was es da sonst noch zu klären gab - die Frage der politischen Einflussnahme der Spender, des Verhältnisses von Politik und Wirtschaft - hat keinen Platz in dieser Dramaturgie.

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